Jedermänner und Niemande

Von Robertodelapuente @adsinistram

Was sehen wir hier? Ein Wahlplakat aus dem Frankfurter Kommunalwahlkampf. Oberflächlich betrachtet vollkommen richtig. Die Frage war auch nicht konkret genug. Also: Was sehen wir darauf? Eine Botschaft über bezahlbaren Wohnraum. Für alle. Für jeden erschwinglich. Und wer ist darauf zu sehen? Ein junges Paar. Beide lächeln. Vielleicht sind sie verliebt, sie halten sich ja ihre Händchen. Ranzig angezogen sind sie nicht. Sitzen auf einem schönen Parkettboden. Laptop auf dem Schoß. Die Zähne sehen gepflegt aus. Weiß glänzend. Beide haben einen ordentlichen Haarschnitt. Man ahnt, diese Menschen haben einen Arbeitsplatz, der sie finanziell ausstattet. Sie haben einen Zahnarzt, bestellen online Einrichtung und gehen regelmäßig zum Friseur. Sie haben guten Grund fröhlich zu sein. Sehen aus wie Katalogmenschen, attraktive Agendawesen, denen alles zufliegt. Warum um Himmels Willen steht dann da, dass es für jeden erschwinglich sein soll?
So sieht nicht jeder aus. So geht es nicht jedem. Wenn auf dem Plakat ein etwas speckiges Paar gesessen hätte. Vielleicht mit gelben Zähnen, falls man die überhaupt gesehen hätte, denn dieses alternative Paar hätte weniger Grund zur Fröhlichkeit mit anschließender Zahnleistenschau. Oder wenn sie ein abgewetztes Möbelstück unter ihren Ärschen hätten, wenn man kurz gesagt erkennen könnte, dass es sich um Leute handelt, die seit Jahren zu kurz kommen, weil sie nur noch jobben dürfen, keinen Arbeitsplatz finden, von dessen Gehalt sie leben könnten, dann hätte der Slogan gepasst. Wenn Wohnraum für diese Leute erschwinglich wäre, dann wäre es wirklich für jeden erschwinglich. Aber wenn er für hübsche Musterpärchen ist, dann trifft es eben nicht alle, sondern eben nur solche und noch bessere.

Stimmt, es ist nur ein Plakat. Und ein Plakat ist manchmal nur ein Plakat. Aber ich finde, da steckt mehr dahinter. "Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun [...] Um sie - und nur um sie - muss sich Politik kümmern", sagte Peer Steinbrück vor Jahren schon. Das war Beleg dafür, wie seine Partei von einer Partei für diejenigen, die gesellschaftlich schlechter gestellt sind, zu einer elitäreren Ausrichtung fand. Nun ist das Plakat nicht von den Sozis. Aber die Konservativen hatten dieses Ansicht, die Steinbrück einst so trefflich auf den Punkt brachte, ja immer schon verinnerlicht und sie mit dem neoliberal turn noch verschärft. Das Wahlplakat ist Ausdruck dieses Denkens. Es zeigt uns lediglich, dass das die Agenda jeder politischen Betätigung in diesem Lande geworden ist. Verklärend in dem Begriff "die Mitte" bemäntelt. Sie ist der Adressat jeder Botschaft. Sie ist jeder und alle anderen sind nichts. Kommen gar nicht mehr vor.
Was sehen wir also auf dem Bild? Den Auftrag moderner Politik im neoliberalen Deutschland. Die Akzeptanz, dass es das Prekariat nicht nur nicht mehr schafft, sondern dass sie auch gar nicht mehr vorkommt. Es gehört nicht zu allen, hat keine Jedermänner in seinen Reihen, es findet in Wahlversprechungen gar nicht mehr statt, besteht nur aus einer Fülle an Niemande, für die es sich offenbar nicht mehr lohnt politisch zu streiten. Für schöne Erfolgsmenschen wird noch ein bisschen getan oder wenigstens wird das versprochen - für die ausgemergelten Schichten wird nichts getan und selbst Versprechungen erhält man keine mehr. Dieses Plakat ist das Eingeständnis der völligen Preisgabe einer egalitären Gesellschaft. Und ob es nun von der Union oder den Sozialdemokraten ist, bleibt zweitrangig. Von letzteren hat man solche Entwürfe ja auch schon gesehen.