Jean-Baptiste Massillon
Ihr Lieben,
heute möchte ich Euch eine Geschichte von Jean de La Fontaineerzählen:
"Die Taube und die Ameise"
"An einem heißen Sommertag flog eine durstige Taube an einen kleinen, rieselnden Bach. Sie girrte vor Verlangen, neigte ihren Kopf und tauchte den Schnabel in das klare Wasser. Hastig saugte sie den kühlen Trunk.
Doch plötzlich hielt sie inne. Sie sah, wie eine Ameise heftig mit ihren winzigen Beinchen strampelte und sich verzweifelt bemühte, wieder an Land zu paddeln.
Die Taube überlegte nicht lange, knickte einen dicken, langen Grasstengel ab und warf ihn der Ameise zu. Flink kletterte diese auf den Halm und krabbelte über die Rettungsbrücke an Land.
Die Taube brummelte zufrieden, schlurfte noch ein wenig Wasser und sonnte sich danach auf einem dicken, dürren Ast, den der Blitz von einem mächtigen Baum abgespalten hatte und der nahe am Bach lag.
Ein junger Bursch patschte barfüßig durch die Wiesen zum Wasser. Er trug einen selbstgeschnitzten Pfeil und Bogen. Als er die Taube erblickte, blitzten seine Augen auf. "Gebratene Tauben sind meine Lieblingsspeise", lachte er und spannte siegesgewiß seinen Bogen.
Erbost über dieses unerhörte Vorhaben gegen ihren gefiederten Wohltäter kroch die Ameise behende auf seinen Fuß und zwickte ihn voller Zorn.
Der Taugenichts zuckte zusammen und schlug mit seiner Hand kräftig nach dem kleinen Quälgeist.
Das klatschende Geräusch schreckte die Taube aus ihren sonnigen Träumen auf, und eilig flog sie davon.
Aus Freude, dass sie ihrem Retter danken konnte, biß die Ameise noch einmal kräftig zu und kroch dann wohlgelaunt in einen Maulwurfshügel."
Ihr Lieben,
diese kleine feine Geschichte erzählt uns zwei wunderbare Dinge:
Zum einen:
Es kommt nicht auf die Größe und die eigene Stärke an, wenn man in dieser Welt helfen möchte.
Zum anderen:
Dankbarkeit ist eine der schönsten und wertvollsten Eigenschaften.
Ich komme mir auch oft vor wie die kleine Ameise. ich kann auch nicht viel ausrichten in dieser Welt, aber ich gebe dennoch niemals auf.
Wer sich einmal in einem Wald in aller Ruhe einen großen Ameisenhaufen angesehen hat, begreift, was viele Einzelne, die allein kaum etwas vollbringen könnten, in der Gemeinschaft schaffen können.
Mein kleines Licht kann weder die Welt, noch Deutschland, nicht einmal die Straße, in der ich wohne, erhellen, aber wenn viele Lichter zusammenkommen, wenn wir alle unser Licht der Liebe in dieser Welt leuchten lassen, wird es heller, menschlicher und wärmer in dieser Welt werden.
Ebenso wichtig ist die Dankbarkeit. Mir haben viele Menschen auf dem Weg heraus aus dem Grauen meiner Kindheit und Jugend geholfen.
Mit den Menschen, die mir Böses angetan haben, habe ich mich versöhnt, das Böse habe ich hinter mich geworfen. Die Erinnerung ist noch da, aber es hat keine Gewalt und keinen Einfluss mehr auf mein heutiges Leben.
Den Menschen aber, die mir geholfen haben, bin ich unendlich dankbar und versuche, in ihrem Sinne weiterzugehen und ebenfalls anderen Menschen zu helfen und sie zur Versöhnung aufzurufen und dazu, ihr Licht in dieser Welt leuchten zu lassen.
Ihr Lieben,
Ich wünsche Euch heute einen fröhlichen Tag, einen Tag der Dankbarkeit und der Freude und ich grüße Euch herzlich aus dem schönen und heute sonnigen Bremen
Euer fröhlicher Werner
Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt