Jeden Tag der gleiche Trott

„Tramway, Trott & Tiefkühlfisch / Nine to five“ eine bemerkenswerte Produktionen im Rahmen des 18. Internationalen Tanzfestivals Szene Bunte Wähne für junges Publikum

Tanzvorstellungen sind generell schwerer zu verkaufen als Produktionen, die das Label „Theater“ tragen. Tanzvorstellungen für Kinder sind noch einmal ein Kapitel für sich. Dass es aber sogar ein Festival gibt, das sich diesem Genre widmet, ist Stephan Rabl zu verdanken, der dieses vor nunmehr 18 Jahren ins Leben rief. Im Dschungel Wien hat dieses Festival seine Heimstatt. Einige der gezeigten Inszenierungen waren es wert, nicht nur von Kindern, sondern auch von Erwachsenen gesehen zu werden. Sowohl was den Inhalt, aber vor allem, was die künstlerische Arbeit anlangt.

Wie „Tramway, Trott & Tiefkühlfisch / Nine to five“ der Gruppe Nevski Prospekt aus Belgien. Im Original heißt es „Métro Boulot Dodo“ und ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für einen eintönigen Tagesablauf. Vier Männer in grauen Anzügen stehen allmorgendlich nach dem Klingeln des Weckers auf, machen sich auf den Weg, treffen sich in immer derselben U-Bahn, fahren ins Büro und arbeiten sich an Bergen von Papier ab. Zu Mittag wird aus einer kleinen Box geluncht, nach Dienstschluss der Körper noch brav im Fitnesscenter trainiert, um danach erschöpft wieder ins Bett zu fallen. Gregory Caers, Tom Ternest, Ives Thuwis-De Leeuw, Wim de Winne, Patrick Vervueren sind für Idee und Choreografie und die Performance selbst verantwortlich. Und wie sie performen! Der hier beschriebene Alltagstrott wird von einem teils realistischen Soundlayer begleitet, der den Eindruck erweckt, sich tatsächlich in der U-Bahn oder im Aufzug zu befinden.

So eng sie sich auch bei ihrer Fahrt ins Büro aneinander quetschen müssen, so sehr sie Hand in Hand ihrer Arbeit nachgehen, kommuniziert wird eigentlich gar nicht. Jeder für sich, keiner für den anderen. Ausscheren kommt gar nicht infrage. Einfach umwerfend, wie in einer zahnrädchengleichen Choreografie jeder einzelne Handgriff und jeder Schritt immer wieder auf die Sekunde sitzt. Wie sich Papierstapel um Stapel von einem Sessel auf den anderen verteilt, das ABC bemüht wird, um die einzelnen Einteilungen der unterschiedlichen Akten genauestens vorzunehmen.

Man meint schon, sich in einer Endlosschleife zu befinden, als einer der Protagonisten abends zuhause plötzlich Musik wahrnimmt. Die Barcarole aus Hoffmans Erzählungen ergreift dermaßen sein Herz, dass ab nun alles anders wird. Was erst nur als kleines Irritationslüftchen wahrgenommen wird, ein freundliches „Guten Morgen“ in der U-Bahn, wächst sich schließlich zum Verunsicherungs-Tsunami aus. Da bleibt kein Papier auf dem anderen und kein Auge trocken. Slapstick vom Feinsten kann man dazu nur sagen und eine Wonne, egal für welches Alter. Aus dem Buchstabierungscode wird nun anstelle von Alpha „Ananas“ und aus Beta „Ballerina Bum Bum“. Die mittägliche Pause wird nicht mehr abgewartet, sondern kurzerhand selbst ausgerufen, die abendlichen Fitnessübungen erhalten plötzlich kunstvolle Tanzschritte und das Chaos nimmt zu einem flotten Cha-Cha-Cha kontinuierlich zu. Alles kulminiert schließlich in jener wunderbaren Szene, in der ein vermeintliches Bild plötzlich zum Fenster in die Welt nach außen mutiert. Von dort bläst im wahrsten Sinn des Wortes ein „wind of change“ ins Büro und veranlasst einen weiteren Kollegen, zu seinem Selbst zu finden. Er zieht sich Damenpumps an und beginn einen wunderbaren Befreiungstanz zu Shirley Basseys Interpretation von „I am what I am“.

„Tramway, Trott & Tiefkühlfisch“ ist eine wunderbare Parabel auf die Gleichschaltung der Menschen im Alltagstrott und auf den befreienden Einfluss von Musik. Es ist ein Plädoyer, seine eigenen Träume zu leben, aber auch ein warmherziges Votum mit seinen Mitmenschen zu sprechen anstatt in der Anonymität zu verschwinden. Einzig und allein die Übersetzung des Originaltitels ist nicht wirklich gelungen. Zwar ergibt es eine schöne Alliteration, aber die Tramway ist durch die Soundeinspielungen eine eindeutige U-Bahn und der Tiefkühlfisch ein Lunch-Sandwich. Nur der Trott findet sich auch tatsächlich auf der Bühne wieder. Aber sei´s drum. Eine wirklich bemerkenswerte Produktion, die länger in Wien gezeigt werden könnte.


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