Jedem Anfang wohnt die Rachsucht inne

Die Problematika, die Umwerfungen mit sich bringen, ist dieser Tage wieder leicht zu lesen. Nach langer und zäher Tyrannei entledigte sich das ägyptische Volk seines Despoten. Nun wütet eine Militärjunta, die die Demokratie nach Maghreb-Art einführen soll. Behäbig natürlich, nur langsam versteht sich. Man will nicht verschrecken, den Pöbel nicht überfordern. In der Kriechspur jener Schnecke, die hier Demokratisierung genannt wird, droht nun die Hinrichtung des ehemaligen Quislings, einst bezahlt von seinen Auftraggebern des demokratischen Westens, jetzt fallengelassen.

Damit sich alles ändert, muß alles gleich bleiben?

Besonders dramatisch sind jene zwei Paradebeispiele, die man aufführt, wenn man belegen will, dass der Geist der Revolution sich immer an den Überresten des vorherigen Regimes verschluckt. Der Zar schickte vornehmlich nach Sibieren, was zwar keiner humanistischen Gesinnung geschuldet war, doch eine unvergleichliche Besserstellung zum leninistisch-stalinistischen Massenmord war. Bevor das Fallbeil einziger Gegenstand französischer Innenpolitik war, konnte man sich im königlichen Frankreich jedenfalls noch vorstellen, Dissidenten einzusperren, sie nicht gleich auf Nackenhöhe zu durchschlagen. Einige Nummern kleiner dann dasselbe Trauerspiel. In Havanna liquidierte man weiterhin unliebsame Personen, so wie einst unter Fulgencio Batista - nachdem die Europäer abgezogen waren, gab es weiterhin massenhaften Tod in den unabhängigen Staaten Afrikas, die freilich so unabhängig nie waren - nachdem die Unterschriften auf der Unabhängigkeitserklärung eingetrocknet waren, wurde nicht etwa die Todesstrafe als unfreiheitlich diffamiert und abgeschafft, sondern als Gabe der vormaligen Herren weiterhin praktiziert; wahrscheinlich sah man die Todesstrafe für nicht besonders unfreiheitlich an, weshalb sie im Freiheitsdrang der Amerikaner keine Rolle spielte.

Man ist fast geneigt den Umkehrschluss von Guiseppe Tomasi di Lampedusas Bonmot zu ziehen. Der schrieb einst in seinem Leoparden, es müsse sich alles ändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist. Gilt dann etwa auch, dialektisch umgedreht quasi, dass alles so bleiben muß, damit sich alles ändern kann? Fast sieht es so aus. Man löst mörderische Machthaber und deren Systeme ab, läßt aber viel zu oft wesentliche Aspekte des Vergangenen atmen. Weniger abstrakt etikettiert: Mubaraks Regime wurde aufgrund eklatanter Ungerechtigkeiten und unrechter Triebe wegen ins Geschichtsbuch diktiert. Doch dasselbe Unrecht soll nun dem widerfahren, in dessen Namen Unrecht geschah. Hatte man nicht, eine Weile wenigstens, den Anspruch, besser sein zu wollen, als das, was es schon gab?

Leben lassen - jetzt erst recht!

Die westliche Welt buhlt mit denen, die Mord für nebensächliche Alltäglichkeit halten, jedenfalls nach hiesiger Auslegung der Geschehnisse, um die ideologische Vormachtstellung. Der Westen hier, demokratisch, milde, fair - der Osten dort, tyrannisch, grob, niederträchtig. Bin Ladin tötete man dann aber ohne Verfahren. Den Schlächter Hussein, den man verübelte, Legionen von Menschen in den Tod geschickt zu haben, überstellte man auch dem Tode - der Strang, an dem er baumelte, war sein Strang ehedem. Die demokratische Welt zog vor Jahrzehnten in einen globalen Krieg gegen Faschisten, gegen große wie kleine, gegen Weltverbrecher wie Westentaschen-Cäsaren. Die lieblichere Ideologie sollte obsiegen, hat sie letztlich auch. Am Ende richtete man die Verbrecher hin, ganz gnadenlos, fast mit faschistischer Selbstgerechtigkeit nach einem Verfahren, bei dem das Urteil schon anfangs in den Bart genuschelt wurde. Kurzum, die bessere Version der Welt, die man schnell ideologisch für sich in Anspruch nimmt, ist oftmals nur reine Schwätzerei. Wenn man den personifizierten Tod, der ohnmächtig wurde, und der nun wie ein Häufchen Kehricht vor seinen Richtern sitzt, selbst tötet, kann man dann noch behaupten, man sei vorteilhafter, man sei ein höhergestellter Entwurf?

Konsequent wäre gewesen, Hitler leben zu lassen - und da sich dieser entzog, wir trauern dieser Entscheidung nicht hinterher!, hätte man die Hitlerchens zu Nürnberg nicht erhängen dürfen. Man hätte der Welt zeigen müssen, dass man tatsächlich menschlicher ist, als die entmenschlichte deutsche Gesinnung jener Tage. Leben lassen - jetzt erst recht! Um es den Unrechten zu zeigen! Es geht auch anders!, wäre die Mahnung gewesen, die man damit vermittelt haben würde. Einsperren sicher! Lebenslänglich, mit Sicherheitsverwahrung, wenn nötig. Das wäre immer noch ein Fortschritt. Hussein hätte man einkerkern sollen, unter menschenwürdigen Bedingungen selbstverständlich, damit dieser Massenmörder und seine Anhänger gesehen hätten, wie großzügig ein besonnenes Staatswesen sein kann. Indem man Bin Ladin vor ein Gericht gestellt hätte, danach ab ins Gefängnis, wenn die Beweislast stimmte, wäre auch ihm bewiesen worden, dass Rachsucht nicht die Sache derer ist, die vorgeben besser zu sein. Aber so?

Auch der Schuft hat Anspruch auf eine bessere Gesellschaft

Mittel müssen dem Zweck gerecht werden. Belagert mit der protestierenden Absicht die Straße, mehr Gerechtigkeit walten zu lassen, muß dieses Prinzip auch für die Husseins, Bin Ladins und Mubaraks gelten. Alles andere ist nur Rachsucht, auch wenn man dieses Gefühl, Rache üben zu wollen, als Mensch natürlich nachvollziehen kann. Doch menschliche Affekte sind keine Basis, wären sie es, müsste man die Machtsucht, ohne Zweifel auch ein menschliches Attribut, als legitime Grundlage einer Regierung oder eines Diktators akzeptieren. Was zählt sind Ideale, die sich freilich nicht immer eins zu eins ins Leben spiegeln lassen, gleichwohl aber als Skalierung notwendig sind. Will man Veränderungen mit Mittel erwirken, die dem Zweck nicht gerecht werden, so sind sie abzulehnen. Frieden entsteht nicht durch Krieg, Freiheit nicht durch Gefangenschaft, Liebe nicht durch Hass - und eine gerechtere Gesellschaft kann nicht erblühen, wenn sie im Säuglingsalter schon Unrecht begeht.

Wer die Gewaltherrschaft des alten Despoten für einen Affront hielt, der muß auch die ihm drohende Todesstrafe für einen solchen halten. Mubarak gehört inhaftiert und enteignet, seine Kamarilla gleichfalls. Tötet man ihn, sei es auch noch so legal, noch so richterlich abgesegnet, so beweist man nur: man braucht keinen Despoten, um Unrecht zu tun - man braucht nur das Unrecht, um weitere Despoten zu züchten.


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