Jan Böhmermann: Wenn Satire auf "den" Türken trifft

Auf meine dailyTV-App wurde die vollständige Version der viel diskutierten ZDF Neo Royale Sendung geladen, in der Moderator Jan Böhmermann einige herablassende Verse über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan vorliest (hier ab Min. 13:15), die er als Beispiel einer Schmähkritik präsentiert, das so nicht veröffentlicht werden dürfe und strafbar wäre. Dieser Rahmen macht bereits deutlich, dass der nun eingetretene Effekt - die Diskussion um die Strafbarkeit seiner Worte (denn Böhmermann meinte in der darauf folgenden Sendung, dass er für alle Texte verantwortlich sei, obwohl dem natürlich nicht so ist) - bereits von ihm vorweggenommen wurde. Dies ist ein Kennzeichen einer gelungenen Satire, die dadurch genial wird, dass sie den Anlass - Erdogans Kritik an einer vorherigen Satire eines anderen Fernsehsenders - neu erschafft, damit er gegebenenfalls nun gerichtlich zur Auslotung der wahren Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland führt (wie es etwa in der Zeit vorgeschlagen wird, sollte das Kanzleramt mit dem Justizministerium sich nicht gegen ein Strafverfahren aussprechen und somit in die Justiz eingreifen, wie man es gerade von Erdogan selbst gewöhnt ist).   Der Inhalt der rotzfrechen und beleidigenden Verse, in denen Worte wie "Ziegenficker" fallen, ist banal und vulgär. Böhmermanns wahre Freundin Anne Will hat in ihrer Talkshow davon gesprochen, es handele sich um eine Aneinanderreihung der schlimmsten Dinge, die man einem Türken sagen könne. Darum liegt in der Schlichtheit von Böhmermanns Worten ein weiteres Kennzeichen für die künstlerische Leistung seiner Satire. Gelegentlich bin ich in diesem Blog auf meinen ehemaligen Wohn-Block eingegangen und habe türkische Mitbürger als genau so empfindsam charakterisiert, wie sich Erdogan zeigt. Der Clou ist, dass die Widerreden meist als Argument die Asozialität und die mangelnde Bildung meines Umfeldes anführten. Erdogan beweist nun, dass der humorlose Ehrbegriff und die Rachsucht vieler Türken keineswegs auf die unteren Bildungsschichten beschränkt sind. Wenn irgendjemand noch nicht begriffen hatte, dass die Türkei nicht in die EU gehört, weil sie einen Staatspräsidenten demokratisch legitimiert, der offensichtlich unreif ist, dann hat Böhmermann nun dem Erkenntnisprozess Genüge getan. Und da unsere Kanzlerin Merkel nun keine "richtige" Entscheidung mehr treffen kann - ein Strafverfahren abzusegnen wirkt ebenso schwach wie es nicht zuzulassen -, aber bereits mit ihrer vorauseilenden Entschuldigung einen groben Fehler des Anbiederns beging, stellt sich uns sogar die Frage, ob wir nicht auch von einer Unreifen regiert werden. Die Situationen, die die jüngsten Satiren auf Erdogan im öffentlich-rechtlichen Fernsehen provozierten, erforderten, seinen Mann zu stehen. Und dafür taugt Merkel offensichtlich nicht. Auch wenn sie sogar viele Buddhisten auf ihrer Seite haben könnte, die rechte Rede fordern, aber nicht begreifen, wie man recht die Wahrheit sagen kann.   Etwas Gutes kann auf jeden Fall aus dieser Farce erwachsen, nämlich zumindest die Umformulierung des Paragraphen 103 im Strafgesetzbuch hin auf seine eigentliche Absicht gegen die Majestätsbeleidigung (sofern man daran überhaupt noch festhalten will). Damit würde er übrigens einem Gesetz ähneln, das in Thailand für Gesprächsstoff sorgt, weil es das Königshaus vor Kritik schützt. Doch Erdogan ist keine "Majestät". Unter den Fällen, in denen eine Strafverfolgung in Deutschland unterbleiben kann, wird die wenigstens stillschweigende Einwilligung in den beleidigenden Ton genannt. Genau die kann man Erdogan unterstellen, da er mit seinen Hassreden jenes Klima schaffte, das eine Satire wie die Böhmermanns in jedem Fall rechtfertigt. Sollte dies der Bundesregierung und dem Justizministerium nicht klar sein, könnte ein satirisch-ätzender Generalangriff auf Erdogan den diplomatischen Vermittlungsdienst in Sachen Türkei zum Erliegen bringen, den gerade Didi Hallervorden mit "Erdogan, zeig mich an" einleitete.   Die Entwicklung Jan Böhmermanns habe ich, chronologisch in umgekehrter Reihenfolge, erst in den letzten Wochen verfolgt, als ich meinen "Urlaub" vor allem den Late Night Shows der letzten Dekade widmete und mir dazu u.a. in der ZDF-Mediathek die noch verfügbaren Folgen von Neo Royale reinpfiff. Böhmermann hat nicht nur an politischer Treffsicherheit seinen angeblichen Mentor Harald Schmidt in den Schatten gestellt, sondern auch durch seine Vielseitigkeit (etwa die zahlreichen Musikvideos) mächtig gepunktet. Dass Merkel sich zunächst gegen ihn stellte, mag auch an seiner ehemaligen Satire auf deren Schwangerschaft und entsprechende Kitschromantik liegen. In den USA sind Stephen Colbert, Jon Stewart, Billy Maher und vor allem John Oliver die Exponenten treffender Sozialkritik im Late Night-Gewand. 
Bei aller vehementen Fürsprache für Böhmermann will ich nicht verhehlen, dass der größte Late Nighter für mich jedoch keiner der Genannten ist, sondern ein hierzulande beinahe Unbekannter, Craig Ferguson, den der folgende Ausschnitt aus seiner Late Late Show ebenso treffend charakterisiert wie seine selbstkritischen Worte zum Alkoholismus und Britney Spears.

    

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