Jahresrückblick Teil 4

Das letzte Quartal 2013 dürfte allen noch gut in Erinnerung sein, war es doch geprägt von der Bildung einer weiteren Großen Koalition des “Weiter so” in diesem Land. Was es inoffiziell schon seit der Durchsetzung der Agenda-Politik ab dem Jahr 2002 im Vermittlungsausschuss gab, wurde nun auch formal ein weiteres Mal per Koalitionsvertrag besiegelt. Dass die FDP endlich aus dem Bundestag flog, ist zwar erfreulich, ändert aber nichts an der neoliberalen Grundausrichtung der Politik, um die es im vierten und letzten Teil des Jahresrückblicks auch gehen soll.

Oktober 2013

Der Deutsche hat sich im neuen Biedermeier eingerichtet und will von Krise, Altersarmut, zerbröselndem Gesundheits- und Pflegesystem sowie kaputten Straßen und der vermurksten Energiewende nichts wissen. Die Deutschen sind wild entschlossen, Angela Merkel gut zu finden. Hätte die Kanzlerin den fleischlosen Tag vorgeschlagen, alle hätten ihr zu Füßen gelegen und sofort Rezepte in allen sozialen Netzwerken gepostet anstatt zu protestieren. Fernsehsendungen wie die lange Kochnacht mit Lanz und Lafer hätte es gegeben wie auch eine vegane Sonderausgabe der Bildzeitung. Der Deutsche mag seine “Queen Mum” lieber als die Demokratie. Deshalb hat er auch so gewählt. So lautet das nüchterne Analyse der Kabarettisten in der letzten Ausgabe von Neues aus der Anstalt.

Die Fassade bröckelt dennoch weiter. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Herbstbelebung fällt aus und der Fachkräftemangel ist offenbar doch nicht so dramatisch, wenn Siemens und andere Unternehmen aus Wachstumsbranchen dem Arbeitsmarkt mal wieder eigene Mitarbeiter im großen Stil zur Verfügung stellen können. Nur in der Bundesregierung gilt das Versteinerungsprinzip, das alle unfähigen Ministerinnen und Minister auf ihren Posten belässt, bis andere Versager und Wahlverlierer, die zunächst unerkannt bleiben wollen, die Ämter freudestrahlend übernehmen. Die gewählten Abgeordneten bleiben dabei kastrierte Wackeldackel, die im Parlament herumhocken und an der kurzen Leine ihres Listenplatzes gehalten werden, sagt Pispers.

November 2013

Die SPD will in die Koalition. Doch keiner weiß so recht, worüber die Sozialdemokraten mit der Union eigentlich verhandeln. Die SPD Basis sollte sich dennoch nicht so anstellen und auf keinen Fall erwarten, dass Angela Merkel einen Koalitionsvertrag unterschreiben würde, der die Handschrift der SPD trage. Die SPD könne es sich nicht leisten, alles oder nichts zu sagen, so Parteichef Gabriel. Das gelte wenn überhaupt nur für die Pöstchen, die es nur auf Augenhöhe geben dürfe. Die SPD müsse also nach dem Motto verfahren, das Pelzig treffend so formulierte: Die Kanzlerin macht alles falsch, aber wir unterstützen sie dabei – aus Sorge um Deutschland.

Die Sorge um Deutschland ist berechtigt, aber aus einem anderen Grund. Und zwar dem Irrglauben, der die Wirtschaftspolitik weiter bestimmt. Statt über die Folgen der düsteren Aussichten innerhalb der Eurozone zu beraten und einen Masterplan zu entwickeln, reden 75 Leute am Verhandlungstisch lieber über die Förderung von Internet-Geschäftsideen. Die Kritik des Auslands an den enormen deutschen Überschüssen in der Leistungsbilanz ist kein Thema. Es fehlt der Sachverstand, um die Tragweite einer Fehlentwicklung zu begreifen. Die Kirche mit ihrem Gott ist nichts gegen die absurde Gläubigkeit der Deutschen an die herausragende Qualität ihrer Waren auf dem Weltmarkt, bei denen der Preis angeblich keinerlei Rolle spielen soll.

Als Antwort auf die berechtigte Kritik von außen, bekommt der Michel, der ohnehin nicht sonderlich helle zu sein scheint, weil er es offenbar liebt, den eigenen Gürtel immer enger schnallen zu dürfen, dummdreiste Deutschtümelei serviert. Das relative Konstrukt der Wettbewerbsfähigkeit sowie der weltweite Handel werden dabei kurzerhand in ein Schlachtfeld umgedeutet, auf dem Deutschland seine gute Wettbewerbsposition mit aller Macht verteidigen müsse. Diese ist bei näherer Betrachtung aber nicht auf fairen Wege, sondern unter dem dauernden Verstoß gegen Regeln in der Währungsunion zustande gekommen.

Pelzigs Analyse über die Methoden der Meinungsmache war deshalb genial. Allein schon der Satz, dass Ökonomen wie Theologen sind, die nicht wissen, dass sie alles nur glauben, gehört in ein Lehrbuch über diese Zeit. Früher war die Wissenschaft frei, heute ist sie frei verkäuflich und das nutzt die wachsende PR-Industrie natürlich aus, um das starke Gegenlicht zu erzeugen, dessen greller Schein das Licht der Wahrheit locker überstrahlt. Und das Volk sitzt in seinem Wohnzimmer, der möblierten Uckermark, und lehnt die Wahrheit ab. Die Zinsentscheidung der EZB und die Warnung vor der Deflation, die nur mit dem Scheitern der bisherigen Rettungspolitik zu erklären ist, verstehen da die wenigsten.

“Für ausländische Beobachter mutet es kurios an, mit welcher Detailversessenheit die deutschen Parteien ihre Koalitionsverträge aushandeln, als seien diese notariell beglaubigte Rechtsdokumente und nicht letztlich unverbindliche politische Absichtserklärungen. So blieb auch von den hochgemuten Vereinbarungen der schwarz-gelben Vorgängerregierung im Alltag nicht viel mehr übrig als ein Haufen Papier” schrieb die Neue Züricher Zeitung und trifft den Nagel auf den Kopf. Denn wer Schuldenbremse und Fiskalpakt für alternativlos hält, ist zur Tatenlosigkeit verdammt, obwohl eine andere Politik unter günstigen Mehrheitsverhältnissen möglich gewesen wäre.

Was im November bleibt, sind mal wieder Wirre Trends in Prozent und Kampagnen hüben wie drüben, die jeweils auf das gleiche Ergebnis abzielen, nämlich die Zustimmung aller zur Großen Koalition, obwohl sie inhaltlich nicht das liefern kann, was sich die Mehrheit der Bürger gerne wünscht. 

Dezember 2013

Seit Dezember, Sie wissen es genau, steht die Koalition der großen Coups. Pünktlich zum Fest und buchstäblich in der letzten Minute präsentierten die Verhandlungspartner Ergebnisse, über die, wie könnte es auch anders sein, im Verlauf der Legislaturperiode noch einmal verhandelt werden müsse. Das Trommelfeuer gegen den in weiter Ferne liegenden Mindestlohn hat schon begonnen, denn Ökonomen ohne Sachverstand fürchten ihn schon jetzt. Derweil verfolgt die Kanzlerin unbeeindruckt vom Koalitionsvertrag und ohne großen Widerstand ihres neuen Koalitionspartners auch weiterhin ihr Ziel einer Troika für alle in Europa. Die Staats- und Regierungschefs sollen sich auf ein deutsches Europa verpflichten und jedes Jahr neoliberale Reformen umsetzen, die von der EU-Kommission streng überwacht werden.

In ihrer ersten Regierungserklärung als neugewählte Kanzlerin offenbarte Angela Merkel noch einmal ihre Uneinsichtigkeit, was volkswirtschaftliche Zusammenhänge anbelangt. Deutsche Interessen zu Lasten anderer haben Vorrang vor der Vernunft und einem friedlichen Europa, das auf den vermeintlichen Musterknaben verzichten müsste, weil er die Eurozone nur dazu missbraucht, sich einen unberechtigten Wettbewerbsvorteil zu erschleichen. Der Artikel Verzerrte Wahrnehmung des verzerrten Wettbewerbs geht auf diesen Punkt noch einmal ein.

Verzerrt war auch die Wahrnehmung bei der überraschenden Haftentlassung von Michail Chodorkowski, der mit dem Firmenjet in die Freiheit flog und in Deutschland eine Zuflucht fand. Im Checkpoint Charly, mehr entrückte Symbolik geht eigentlich nicht, gab er vor der versammelten Weltpresse Auskunft über nichts. Seitdem klar ist, dass der Ex-Milliardär nur seinem Geld in die Schweiz hinterherreisen will, ebbt der Hype um ihn ab. Dabei wäre es gerade jetzt interessant, etwas über die kriminellen Machenschaften des ehemaligen Oligarchen zu erfahren, deren er völlig zu Recht in Russland angeklagt und verurteilt worden ist. Jedenfalls fand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keinerlei Beweise für eine politische Motivation im Fall Chodorkowski.

Für die deutschen Medien war unterdessen klar. Ein Kreml-Kritiker ist etwas anderes als ein Whistleblower. Edward Snowden sitzt nach wie vor in Russland fest, einem Land, das nach deutscher Lesart nicht viel von Rechtsstaatlichkeit hält. Dennoch sind die Genschers rar, die bereit wären, ihm ein Visum und einen Firmenjet zur Verfügung zu stellen, um ihn für ein wesentlich gehaltvolleres Gespräch nach Deutschland zu holen.

Das und die alberne Konsumpropaganda an Weihnachten war es auch schon für dieses Jahr. Damit endet der Jahresrückblick 2013 in vier Teilen. Eine abgeschlossene Mission sieht freilich anders aus. Denn die Lage ist weiterhin trostlos. Aber rückblickend kann ich mit Priols Worten sagen. “Non, je ne regret rien.”

Mission Accomblished

In diesem Sinne, auf ein Neues.


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