Noch mehr Awards, noch mehr Highlights und noch mehr Enttäuschungen. Die Fortsetzung zu unserem ersten Teil der Film-Jahrescharts ist wie ein ideales Hollywood-Sequel: mehr von allem und besser zugleich.
Verstört und Schweißgebadet Award
Selten in diesem Filmjahr war wohl ein Werk für diesen Award besser geeignet als Damien Chazelles Whiplash: Nicht nur auf der Leinwand konnte eine wahre Flut an Schweißbächen bei Hauptdarsteller Miles Teller beobachtet werden, sondern auch dank der geradezu sadistischen Dramaturgie bei den Zusehern während und nach der Sichtung des Films. Wenn ein Protagonist so beinhart an die Grenzen der physischen und psychischen Belastbarkeit getrieben wird, stellt sich jene Verfassung wohl fast gezwungermaßen auch beim Publikum ein, das konnte am eigenen Leib nachvollzogen werden. Verstörender, aber nicht minder eindrucksvoller gibt sich da schon Jonathan Glazers Arthouse-Kunststück Under the Skin. Von der ersten bis zur letzten Filmminuten verblüfft hier nicht nur die gewagte und vor allem unerwartet freizügige Darbietung von Scarlett Johansson, sondern auch die extrem reduzierte, gleichermaßen prägnante Bildgestaltung und irre Soundkulisse.
Award für außergewöhnliche Leistungen in Sachen Dummheit
Spannende Drehbücher ohne gravierende inhaltliche Lücken zu schreiben ist schwer, die filmische Umsetzung erweist sich offensichtlich aber nochmals mühevoller. So finden sich in vielen Blockbustern von 2014 haarsträubende Entscheidungen, die der Normalbürger auch mit viel Nachsicht einfach nicht akzeptieren kann oder will. Besondere Dummheit findet sich an allen Ecken und Ende etwa bei der Vorgehensweise der US-Armee sowohl in Transformers: Age of Extinction als auch Godzilla: Aus Fehlern lernen scheint wohl nicht täglicher Drill zu sein, anders kann man nicht erklären, warum die eigene Belanglosigkeit angesichts übermächtiger Gegner nicht akzeptiert wird. Auf einem noch höher angesiedelten Level an unklugem Handeln findet sich aber auch gleich mal die gesamte Menschheit in Transcendence und Dawn of the Planet of the Apes wieder. Eine potentielle globale Bedrohung in Form von Johnny Depps Skynet-Variante oder durch eine Vormachtstellung intelligenter Affen? Egal, Homo sapiens macht einfach gleich weiter und begeht die selben Fehler einfach immer wieder – und sei es nur zugunsten der Bequemlichkeit des vom Filmemacher intendierten Handlungsverlaufs. Auch toll: Statt einfach Zeit, Ressourcen und Arbeitskräfte richtig zu nutzen und eine eigene Arche zu basteln, probiert die verstoßenen Menschen in Noah, dessen Arche zu stürmen. Einfach nicht weiter nachdenken, dann ergibt ja alles einen Sinn, oder?
Rest in Pieces Award
Die Filmbranche weiß oft nicht, wann es einfach genug ist und man Filmreihen oder Figuren besser in Frieden Ruhen lässt. So der Fall mit der gesamten Cast von The Expendables 3 oder Jim Carrey und Jeff Daniels in Dumm und Dümmehr, die nicht nur lust- und leblos durch ihre Filme wandeln, sondern weder für wirklich gelungene Action, noch Humor sorgen können. Ähnlich ausdruckslos und im wahrsten Sinne veraltet erscheinen die Actionlegende Arnold Schwarzenegger in Sabotage und der (ehemalige?) Schauspieltitan Robert De Niro in Grudge Match. Irgendwann ist es einfach an der Zeit den Ruhestand anzutreten. Diese Filme waren nicht deshalb Flops, weil sie vorher schon im Internet geleaked wurden oder ein PG13-Rating bekamen oder schlecht beworben wurden. Diese Filme waren deshalb Flops, weil sich schlichtweg kaum noch jemand für sie und teilweise (leider) auch ihre vermeintlichen Stars interessiert. Genießt euren Ruhestand und hört auf euer filmisches Vermächtnis zu demontieren. Das Publikum wird es euch danken.
Blockbuster die tatsächlich gelungen sind
2014 war wieder einmal ein wahres Blockbuster-Jahr. Überraschenderweise gab es diesmal sogar einige, die tatsächlich überzeugen und viel wichtiger, unterhalten konnten. Im Gegensatz zum hundertsten Transformers oder den lächerlichen Ninja-Schildkröten, die mit noch so viel Explosionen und Zerstörungswut nichts als Langeweile aufkommen ließen, wusste vor allem Captain America 2: Return of the First Avenger zu überzeugen. Eine der besten Marvel-Verfilmungen und gleichzeitig ein rundum gelungener Actionfilm, der gekonnt klassische Action mit neuer Technik mischt. Ebenso überzeugen konnte auch Edge of Tomorrow, der nicht nur ein typisches Tom Cruise-Vehikel war, sondern ein überraschend humorvoller Sci-Fi-Actionfilm, der vor allem das perfide Bedürfnis, Cruise leiden zu sehen, auf unterhaltsame Weise stillt. Nicht ganz so stark, aber trotzdem ein perfekter Sonntag-Nachmittags Film ist Guardians of the Galaxy, der zwar viel von seinem Potenzial nicht nutzt, aber doch die ein oder andere Überraschung bereit hält. Und wer liegt beim Dance-Of nicht vor Lachen am Boden, so halb halt zumindest? Blockbuster-Filme, wie sie sein sollten: unterhaltsam, nicht gerade anspruchsvoll, aber perfekt zum Abschalten. Ach ja, eine ebenfalls interessante Gemeinsamkeit: Es sind allesamt Comicverfilmungen.
Femme Fatale Award
Intrigant, verschlagen, auf den eigenen Vorteil bedacht und auch nicht abgeneigt, über Leichen zu gehen, um ihr Ziel zu erreichen: Das sind nur einige Eckpunkte der klassischen Femme Fatale-Filmfigur, die auch in zeitgenössischen Werken ihren Platz gefunden hat. Besonders psychopatische und skrupellose Beispiele in diesem Jahr sind sicherlich Mia Wasikowska in Maps to the Stars, Rosamund Pike in Gone Girl sowie Eva Green in Sin City 2: A Dame to kill for. Wer sich diesen Damen in den Weg stellt, hat ein Problem – im besten Fall. Mit tödlicher Präzision und oftmals auch unter Einsatz der eigenen weiblichen Vorzüge wird hier vorgegangen, auf das kein Stein auf dem anderen bleiben soll. Minimal zurückhaltender und wortwörtlich das eigene Überleben im Sinn haben die namenlosen Protagonistinnen in Under the Skin und A Girl walks Home alone at Night, wobei hier den männlichen Opfern alles entzogen wird, was Leben spendet: Sei es “nur” Blut oder gleich alles abseits der Epidermis. Angst und Schrecken vor und auf der Leinwand.
Zerstörungsorgasmus-Award
Letztes Jahr hat Man of Steel die Messlatte an städtischer Zerstörungswut ja ungemein hoch gelegt, doch das war noch nichts im Vergleich zu Godzilla und Transformers: Age of Extinction, die gleich eine globale Vernichtungsorgie entfacht haben. Und auch wenn man in Zeiten der jugendfreien Bockbuster gerne zeigt, dass unschuldige Passanten rechtzeitig entkommen, ist ein gigantischer Collateralschaden in diesen Filmen selbstverständlich. Überraschend viel Zerstörung verbreiten auch die Sentinels in X-Men: Zukunft ist Vergangenheit und im Finale Michael Fassbender als Magneto. Hierbei handelt es sich weniger um “Sachbeschädigung”, sondern viel mehr um – gerade für Blockbuster ungewohnte – Brutalität im Kampf Mutant gegen Maschine. Aber die wahrhaft erschütterndste Zerstörungsorgie findet sich in Hercules. Weniger in Bezug auf Städte und Filmfiguren, sondern in Hinsicht auf den Zuschauer selbst. Was anfängt wie eine originelle Neufassung des mythischen Herakles (so sein eigentlich griechischer Name), entpuppt sich im Verlauf als entsetzlich banale, plumpe, voller Logik- und Handlungsfehler strotzende, öde und wahrlich verdummende Muskelschau. In Hercules wird sogar das orgiastische Glücksgefühl einer Zerstörungswelle zunichte gemacht.
Krampfadern-Award
Muskeln sind nicht gleich Muskeln. Während Leute wie Christian Bale, Tom Hardy oder Jake Gyllenhaal ihre Körper für gewisse Rollen stählen und eine beeindruckende physische Präsenz erlangen, sollten Leute wie Dwayne Johnson oder Sylvester Stallone in Zukunft lieber die Finger von ihren “Medikamenten” lassen. Ihre Muskelberge in Hercules bzw. The Expendables 3 erreichen schon groteske Ausmaße und werden in manchen Szenen nur noch von ihren hervortretenden Venen und Adern überschattet. Im Falle von Robert De Niro muss man wiederum sagen, dass sein Körper in Grudge Match einfach schon zu alt ist, um diese Muskeln zu tragen. Wodurch er, genau wie Aaron Eckhart in I, Frankenstein, einfach unglaubwürdig aussieht. Anstatt wie muskelbepackte, hartgesottene Burschen sehen sie aus als wären sie in einen Gummianzug mit Muskeln geschlüpft. Anstatt sie als gutaussehend zu empfinden kann man über ihre Adern und “Gummikörper” nur lächeln – andernfalls verhält es sich bei ihnen wie mit der Sonne: wer zu lange hinschaut, erleidet einen Augenschaden.
Altbekanntes, gut oder schlecht neu aufgewärmt
Remakes, Reboots, Neuinterpretationen: Oftmals ein Alptraum für Kenner der Originale. Das allerdings beizeiten auch mal die eine oder andere Neuauflage eines altbekannten Stoffs nicht nur Kopfschütteln hervorrufen kann, zeigt etwa Hercules: Gut, keine besondere Offenbarung und gegen Ende schlicht belanglose Actionkost, aber die Idee dahinter war vielversprechend. Mythenbildung durch fantasievolle Übertreibung hätte man wohl beim Einsatz von Muskelberg Dwayne Johnson nicht erwartet. Martin Scorseses The Wolf of Wall Street war zwar vergleichsweise hochqualitativer in allen Belangen, jedoch erneut eine typische Erzählung des US-Regisseurs: Exzentrischer Einzelgänger erarbeitet sich mühsam Erfolg und Ansehen, nur um seinen eigenen katastrophalen Untergang miterleben zu dürfen. Das hat man ja mehrmals besser, aber auch schon schlechter von ihm gesehen. Eine herkömmliche Vampirgeschichte mit Arthouse-Etikette stellt A Girl walks Home alone at Night dar, die wohl hauptsächlich aufgrund ihrer audiovisuellen Präsenz im Gedächtnis geblieben ist. Genauso schockierend wie auch schnell vergessen waren dagegen der Gladiator-Verschnitt Pompeji und die Samurai-Schlachtplatte 47 Ronin, die zwar theoretisch spannende Handlungen dank netter historischer Vorlagen inne hatten, jedoch kaum mehr als konfuse CGI-Spielplätze für fehlgeleitete Filmemacher darstellten. Wann kommt eigentlich John Wick, wenn wir schon beim Thema sind?
Großes Budget, aber nichts dahinter Award
Der Ausspruch “Style over Substance” muss nicht zwangsläufig etwas schlechtes sein – auch imposante Bilder und visuelle Reize sind schön anzuschauen. Enttäuschend ist es nur, wenn bei Filmen wie Interstellar oder Transcendence nicht nur Potenzial und ein (vor allem im Falle des ersteren) enormer Hype vorhanden ist, sondern auch ein gigantisches Budget, aus dem leider kein Kapital geschlagen wird. Schöne, künstliche Bilder, aber derart inhaltsleer, dass man sich fragt, wohin das Geld eigentlich verschwunden ist, denn in die Erschaffung des Films kann es ja wohl kaum gegangen sein. Geld alleine macht vielleicht glücklich (oder so), aber dass alleine damit kein guter Film zustande kommt, hat Peter Jackson mit seinem finalen Der Hobbit: Die Schlacht der fünf Heere eindrucksvoll bewiesen. Schon lange gab es keine so künstlich aufgeblasene, unnötige und nur auf Geldmacherei ausgelegte Trilogie. Tatsächlich ist es Jackson mit jedem Dollar, den er dafür ausgegeben hat, gelungen Mittelerde sämtliches Leben auszusaugen. Jackson wird sicher glücklich damit sein, immerhin hat er viel Geld damit verdient, unvergessliche Werke hat er der Kinowelt aber nicht beschert. Gut und bei Need for Speed hat wohl auch kaum jemand erwartet, dass hinter dem Budget mehr stecken würde, als eben genau das: ein Budget. Filmemachen einfach deshalb, weil man das Geld dazu hat.
Dummer Titel, noch blöderer Film
Wer sich bei I, Frankenstein eine existenzialistische, in bester Andreij-Tarkovsky-Tradition abgefilmte Analyse des Inneren eines Schöpfers erwartet … ist selber Schuld. Gleiches gilt für Dracula Untold, der im Grunde genau so gut Dracula Begins hätte heißen können. Ist die Geschichte wirklich unbekannt, sodass man sie nochmals erzählen MUSS? Beide Filme treten ihre literarischen Geschöpfe mit Füßen und drehen sie durch den Fleischwolf, bis nichts erkennbares mehr übrig bleibt außer einer uninteressanten Nach- bzw. Vorgeschichte, auf die (vermutlich) jeder Zuschauer lieber verzichtet hätte. Zu(guter)letzt bleibt eigentlich nur zu sagen: Dumm und Dümmehr geht’s nimmer (vielleicht ein guter Titel für den dritten Teil im Jahr 2034. Jim Carrey und Jeff Daniels blödeln sich durch ein Seniorenheim oder so dann halt).
Wenn schon Academy Award, dann diese Schauspieler bitte
Die Oscars sind jedes Jahr ein Ereignis und vor allem für den Marktwert eines Filmes oder seiner Beteiligten ein großer Bonus. Gleichzeitig ärgert man sich auch jedes Jahr über zahlreiche Leistungen, die es weitaus mehr verdient hätten gewürdigt zu werden. Kurz: die Academy Awards stehen nicht zwangsläufig für die besten Leistungen des Jahres. Gerade dieses Jahr gibt es bei den Schauspielern aber auch schwere Entscheidungen zu treffen. Wer war besser als bester Hauptdarsteller? Jake Gyllenhaal als perfider, besessener Sensationsfotograf in Nightcrawler, Michael Keaton als abgehalfteter Schauspieler in Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) oder Tom Hardys One-Man-Show in Locke? Ähnliches Dilemma bei den Frauen: Rosamund Pike als, sagen wir mal “Ehefrau der etwas anderen Art” in Gone Girl oder Scarlett Johansson als Außerirdische in Under the Skin? Nur bei den Nebendarstellern gibt es einen, der eigentlich den Preis schon in der Tasche haben sollte: J.K. Simmons als tyranischer Lehrmeister in Whiplash. Jeder von ihnen liefert absolut einmalige schauspielerische Leistungen und jeder von ihnen hätte sich einen Academy Award mehr als verdient. Selten gab es ein Jahr mit so vielen denkwürdigen Leistungen wie 2014.
Filmfestival des Jahres
Schlicht und ergreifend: die Viennale 2014. Einmal mehr ist es dem Festival gelungen ein beinahe unfassbar (weil man leider niemals ALLES sehen kann, was einem interessiert) umfangreiches Filmangebot zusammenzustellen. Am liebsten würde man alles sehen und selbst manche Filme, die etwas hinter den Erwartungen zurück bleiben (Listen Up Philip), sind dann trotzdem sehenswert, dank der Anwesenheit des Regisseurs, der bei einem Gespräch Einblick in das Machen des Filmes gewährt. Die Liebe zum Medium Film ist bei der Viennale einfach jedes Jahr spürbar und wenn das Festival dann auch noch mit so einer starken Auswahl auftrumpfen kann, dann gibt es einfach keinen Weg daran vorbei. Sorry, /slash, maybe next year.