Veröffentlicht am 26. Dezember 2013 | von Marco Rauch
0Jahrescharts der Redaktion 2013: Filme – Teil 2!
Es war kein leichtes Unternehmen, aber es ist geschafft. Hier präsentieren wir nun den zweiten Teil der Jahrescharts 2013 des pressplay Filmteams.
Kleine Anmerkung: Rot unterlegter Text führt zu den jeweiligen Filmkritiken oder Filmtrailer.
Nach-Luft-schnappen Award
Vielleicht etwas undurchsichtig betitelt, hat dieser Award aufgrund der Gewinner aber wirklich seine Daseinsbereichtigung erlangt. Jeder, der The Impossible gesehen hat, kann wohl das beklemmende Gefühl nachvollziehen, das aufkam, als man als Zuseher das Auftreffen des Tsunamis auf das thailändische Festland direkt miterleben konnte. Auch schauerhaft: Die konstante Angst des anstehenden Verlustes von Atemluft in Gravity – noch selten wurde dies so imposant zur Schau gestellt. Eine Bloßstellung, die nicht nur die Betroffenen sprachlos macht, ist komplett unvermittelt, ja fast live in The Act of Killing sichtbar: Einem gefeierten Massenmörder und Kriegs-”Helden” sein eigenes Treiben vor Augen führen und die Einsicht miterleben? Da sind auch die Lobpreisung seitens Dokumentarfilmlegenden wie Werner Herzog (Grizzly Man) und Errol Morris (The Fog of War) nicht übertrieben. Und wer jemals das Gedankenexperiment wagen und sich in Paul Danos Haut während jeder Dialogszene mit Hugh Jackman versetzen will, dem entbieten wir ein herzliches “Hut ab”.
Beziehungskiste
Eine Beziehung ist immer verschieden, aber gewisse Konstanten sind doch vorhanden. In unserer Beziehungskiste finden sich alle Stadien wieder, dargestellt von Filmen. Zugegeben, Silver Linings und Before Midnight sind in gewisser Weise durchaus klassische Beziehungsfilme. Der eine stellt den aufregenden Anfang einer Beziehung dar, der andere den Alltag im Leben einer langjährigen Beziehung. The Loneliest Planet zeigt wie eine simple, unüberlegte Handlung alles bisherige ändert und man seinen Partner plötzlich in einem anderen Licht sieht. The Place Beyond the Pines stellt eine Etappe dar, wo es darum geht für eine (überraschend auftauchende) Familie alles zu tun, für seine Kinder alles zu tun, damit sie ein gutes Leben haben. Und Rush? Na ja, Rush zeigt den ehrgeizigen Konkurrenzkampf zwischen zwei Personen und das ist ja auch sowas wie eine Beziehung, oder nicht?
Woody Allen Award für den produktivsten Schauspieler/Regisseur
Auch wenn nicht alle seine Auftritte mit Begeisterung aufgenommen wurden (Gangster Squad), so war Gosling doch einer der produktivsten und präsenttesten Schauspieler des Jahres und konnte zumindest mit der erneuten Refn-Kollaboration Only God Forgives und dem beeindruckenden, wenn auch nicht durchgehend geglückten The Place Beyond the Pines das Jahr positiv ausklingen lassen. Nicht zu verachten ist natürlich auch der Ulrich Seidl Kraftakt mit seiner Paradies-Trilogie (Liebe, Glaube, Hoffnung) – drei derart intensive Dramen in einem Jahr ins Kino zu bringen ist schon eine erstaunliche Leistung.
Weil-Foltern-gerade-en-Vogue-ist Award
Was ist da los, Hollywood? Haben reale Vorgänge rund die Veröffentlichungen der US-Folterskandale tatsächlich so eine gewichtige Bedeutung, das die Thematik weiterverwurschtelt werden muss? Klar, in Zero Dark Thirty macht das Ganze ja irgendwie Sinn, schließlich hat Regisseurin Bigelow ja den Aufschrei der Medien erhofft (oder etwa nicht?) und die Szene versetzt die Handlung erst ins Rollen. Das bei Django Unchained in Sachen Sklaverei auch Foltern dabei ist, liegt wohl am Regisseur, der dies ja öfters in seinen Werken unterbringt (mal drüber nachdenken: Reservoir Dogs, Pulp Fiction, Kill Bill). Als ein doch eher behäbiges, weniger kreatives Mittel zur verstärkten (medialen) Aufmerksamkeitserregung ist es unserer Meinung aber dennoch anzusehen – man denke etwa an Paul Dano und Hugh Jackman in Prisoners: Hier wäre weniger wohl (dramaturgisch) mehr gewesen.
Starke Frauen Award
Dass Hollywood so seine Probleme mit starken Frauenrollen hat ist kein offenes Geheimnis, meist sind sie reduziert auf hübsches Beiwerk oder darum besorgt, wie sie ihren Traummann vor den Altar zerren können. Wenig verwunderlich, dass die stärksten Frauen des Jahres nicht unbedingt aus dem Hollywoodkino (wenn dann aus dem amerikanischen Independent Bereich) kommen. Zero Dark Thirty hat in seiner Hauptrolle nicht nur eine tatkräftige Protagonistin (Jessica Chastain), sondern auch einen ebensolche im Regiestuhl (Kathryin Bigelow). Auch der neue Francois Ozon Film Jung & Schön und der neue Chan-wook Park Stoker (zwar sein amerikanisches Spielfilmdebut, aber durchaus kein typisch amerikanischer Film) haben in ihrem Mittelpunkt Frauen, die konsequent ihren eigenen dramatischen oder erschreckenden Weg gehen. Hier haben die Frauen die Hosen an.
Lifestyle Award
Schöner Schein. Lieber gut aussehen und verlieren, als mies aussehen und gewinnen. So oder so ähnlich könnte die Devise der hippen Jungs und Mädels in Spring Breakers und The Bling Ring lauten. Denn wenn sie schon untergehen, dann doch wenigstens mit Stil. Eine Tatsache, die ihnen, ungeachtet der Qualität der Filme, durchaus gelingt. Auch exzessiver Umgang mit Körperflüssigkeiten und Sexualität ist in gewisser Art wohl ein Lebensstil und wohl kaum ein Film ist derart für diesen Award prädestiniert wie die Verfilmung des skandalumwitterten Films Feuchtgebiete. Da ist Schmutz das neue Schön … aber ob daraus ein Trend wird?
Psychopathen Award
Nett und schrullig, schräg und skurril, liebenswert und im Grunde ihres Herzens gute Menschen, schmutzig und gierig oder schlichtweg angsteinflößend, die Bandbreite der Leinwandpsychopathen ist breit und zeigt, dass letztlich auch die wahnsinnigsten von ihnen irgendwie doch nur Menschen sind. Ein Umstand, der meist viel grausamer wirkt (Stoker). Auch was ihre Genrevielfalt betrifft – von Komödie (Bernie), über Romanze (Silver Linings) bis hin zum Genretypischen Thriller (Drecksau) – setzen sie sich wie Verwandlungskünstler über alle Grenzen hinweg. Das beruhigende Fazit: Die Wahnsinnigen sind unter uns und längst ein Teil unserer “normalen” Gesellschaft.
Gerade-noch-das-Steuer-herumgerissen Award
Gerade noch einmal von des Messers Schneide gesprungen ist Peter Jacksons mit seinem zweiten Teil der Hobbit-Trilogie Der Hobbit – Smaugs Einöde. Obwohl er sich beim zweiten Teil fast noch weniger an die Kinderbuchvorlage von J.R.R. Tolkien hält als beim ersten Hobbit, wirkt der zweite Film weniger in die Länge gezogen und wieder mehr wie einer der berühmten Jackson Ring-Filme. In Flight hat Denzel Washington wohl im wahrsten Sinne des Wortes “gerade noch das Steuer herumgerissen” und das Flugzeug, mit zwar spektakulären, aber wenig realistischen Manövern, doch noch zum Landen gebracht. Der Rest des Films konzentriert sich dann mehr auf die Drogen- und Alkoholprobleme des Piloten und wurde überraschend subtil inszeniert. Michael Bay ist uns allen durch seine bombastischen, aber meist inhaltsleeren Actionkrachern bekannt. Mit Pain & Gain hat er jedoch bewiesen, dass er mehr kann und auch Sinne für Humor hat.
Unnötigste Titeländerung des Jahres
Wir könnten Berge an vollgeschriebenen Notizblöcken oder Terabyte an mit Word-Dokumenten befüllten Festplatten über den Wahnsinn schreiben, der bei der Eindeutschung von Spielfilm-Titeln vor sich geht. Exemplarisch zu arbeiten regt uns dabei etwas weniger auf, daher aufgepasst: Warum Thor: The Dark Kingdom im englischen Original Thor: The Dark World heißt, weiß wohl auch nur ein betrunkener Odin. Ebenso unverständlich: Silver Linings Playbook verliert im deutschsprachigen Raum sein letztes Wort – ist es daher verständlicher? Leichter zu vermarkten? Bei Walter Hills Bullet to the Head KANN man ja noch Verständnis haben, denn Shootout – Kein Gnade klingt ja beiweitem massentauglicher! Das wirklich “Beste” kommt aber zum Schluss: Die kommende, vermutlich sehr gute Gangsterkomödie American Hustle darf hierzulande als American Bullshit sein Dasein fristen. Können die Verantwortlichen uns ironisch Klatschen hören?
Schwarzer-Fleck-in-der-Filmographie Award aka Alan Smithee Award
Der Umtriebige “Regisseur” Alan Smithee war auch dieses Jahr wieder eifrig oder hätte es zumindest sein sollen. Denn mit Elysium hat sich Neill Blomkamp wahrlich keinen gefallen getan, sondern eine mit mechanischen Exoskeletten überfrachtete pseudo-gesellschaftskritische Actionbanalität abgeliefert. Deshalb schreiben wir den Streifen lieber dem ohnehin schon mit schlechten Filmen vorbelasteten Herrn Smithee zu, der sich freundlicherweise dazu bereit erklärt hat, Elysium in seine Filmographie aufzunehmen, damit Neill Blomkamp weiterhin eine weiße Sci-Fi Weste hat. Bleibt nur zu hoffen, dass Blomkamps nächster Streifen nicht auch ein Reinfall wird, denn wer weiß, ob Alan Smithee dann wieder so großzügig bereit ist seinen Namen für solch eine Schandtat herzugeben.
Style over Substance
Film ist, mehr als alle anderen Medien, das Medium des Bildes. Film bietet beinahe unbegrenzte Möglichkeiten mit Ausstattung, Kameraführung und Montage die Zuseher in fremde Welten zu versetzen. Bei manchen Filmen gewinnen daher genau diese gestalterischen Elemente Oberhand über die eigentliche Geschichte. Regisseur Ruben Fleischer verlieh dem Film Gangster Squad mit einer aufwändigen Ausstattung ein spektakuläres Aussehen. Im Vergleich dazu wirken die Handlung und die Figuren beinahe einfallslos. Beeindruckend zu sehen war, wie sich Anthony Hopkins für Hitchcock tatsächlich in den gleichnamigen Altmeister der Suspense verwandelte. Leider aber blieb auch hier die eingentliche Handlung, über den Dreh von Psycho, auf der Strecke. Auch in die The Grandmaster steht mehr die perfekte Inszenierung der asiatischen Kampfkunst, mit Zeitlupen, schwarz-weiß Bildern und einer eindrucksvollen Choreografie im Mittelpunkt. Supermann kehrte 2013 als Man of Steel mit spektakulären Bildern auf die heimischen Kinoleinwände zurück. Doch auch hier setzten die Macher auf “Style over Substance”.
Szene des Jahres
Eigentlich könnte dieser Absatz aus nur einem einzigen Wort bestehen: Spoiler! Da wir, nicht wie manch andere österreichische Medien ungeniert inhaltliche Geheimnisse aus der Handlung einer Geschichte ausplaudern, können wir die Szenen der jeweiligen Filme nicht direkt beschreiben. Eine Kurzschlusshandlung in The Loneliest Planet, die ein glückliches Pärchen zu zerstören droht. Räuber und Gendarm und ihr erstes Aufeinandertreffen in The Place Beyond the Pines wird nicht nur für die beiden Wegweisend, sondern sogar für ihre Kinder bedeutende Auswirkungen haben. In A Field in England führt ein Mann einen anderen über ein Feld Gassie, damit er für ihn einen Schatz findet … oder so irgendwie.
Die-Serie-hat-doch-noch-Leben-in-sich Award
Dass Serien mittlerweile Filmen immer mehr den Rang ablaufen, wenn es um die Qualität der Geschichte und die Vielseitigkeit der Figuren geht, ist wohl selbst Serienmuffeln kein Geheimnis mehr. Trotzdem ist es nie leicht eine Geschichte über eine lange Zeit spannend zu halten, aber Homeland und Hannibal haben es doch noch geschafft ihr Publikum eines besseren zu belehren. Auch Masters of Sex und The Americans haben überraschendweise wieder zu alter Form zurück gefunden und erscheinen fitter denn je. Hoffentlich können sie diese Qualität weiter aufrechterhalten.
Lechzende Vorfreude Award
Wie wäre es mit hochkarätigen Dramen wie Dallas Buyers Club, The Wolf of Wall Street, All is Lost, 12 Years a Slave oder Nebraska, oder doch lieber ordentlich Action wie in Godzilla, Robocop oder Old Boy? Wer sich nicht entscheiden kann, der kann sich auf episches freuen wie in Noah oder Interstellar. Manche Geschmäcker bevorzugen etwas skurriles oder amüsanteres, dann gäbe es da ja auch noch The Zero Theorem, American Hustle oder The Grand Budapest Hotel. Und wer es lieber etwas härter mag, der darf sich auf Thriller wie Out of the Furnace und Labour Day freuen. Ach ja, und dann ist da ja auch noch Her, der wohl von allem ein bisschen was sein könnte. Wenn man selbst bei dieser Auswahl keinen Film findet, dem ist nicht mehr zu helfen – oder fällt die Entscheidung dann doch zu schwer? Am besten einfach alles anschauen.
Tags:Jahrescharts
Über den Autor
Marco Rauch Aufgabenbereich selbst definiert als: Kinoplatzbesetzer. Findet den Ausspruch „So long and take it easy, because if you start taking things seriously, it is the end of you” (Kerouac) sehr ernst zu nehmend.