Jagged Alliance ist das Paradebeispiel für ein Franchise mit Kultfaktor, dessen Ruf in den letzten Jahren von einigen Veröffentlichungen stark angekratzt wurde. Jetzt hat sich Cliffhanger Productions im Auftrag von THQ Nordic der Reihe angenommen und versucht, mit dem neuesten Teil die seit Jahren darbende Fangemeinde zurückzuholen und wieder zu begeistern.
Worum geht's?
Was Jagged Alliance von den anderen Rundenstrategen wie X-COM schon damals abhob, waren die mit ordentlich schwarzem Humor dargestellten Söldnerfiguren. Die besaßen nicht nur einen Namen, sondern auch allesamt eine Charakteristik und Beziehungen zueinander. Jeder Söldner war ein Individuum mit seinen eigenen Eigenschaften. Vor Spielstart hatte der Spieler ein Team aus verschiedenen Söldnern zusammenzustellen, doch Vorsicht: Nicht alle Teams funktionierten. Zum Beispiel wurden Ivan und sein Neffe Igor, die gut zusammenarbeiten, vom polnischen Bodybuilder Steroid gehasst. Scharfschützin Buns hasste Sanitäter Fox. Und so weiter. Unterstrichen wurden die Charaktere von Sprachausgabe und bissigen Kommentaren, die sie während der Einsätze so von sich gaben.
Mit Jagged Alliance 2 wurde die Reihe 1999 zum Kult. Das Spiel glänzte jetzt in 640×480 Pixeln und wurde in Umfang und Gameplay so gekonnt erweitert, dass alleine in Deutschland im Handumdrehen über 100.000 Exemplare verkauft wurden. Nachdem der Quellcode des Spiels veröffentlicht wurde, schuf die Fangemeinde schnell exzellente Mods wie v1.13 , Urban Chaos oder Deidranna Lives
Alte Bekannte
Schnell wird klar, dass das nicht der einzige Bezug auf die ersten beiden Serienteile ist: Das Inventarsystem erinnert frappierend an den Erstling aus 1994. Hier wie damals kann ein Söldner nur eine nachvollziehbare Menge als Utensilien mit sich führen, die sich lediglich durch das Umschnallen eines Rucksacks erweitern lässt. Packesel gibt's hier also keine, vielmehr erfordert diese Limitierung kluges Vorgehen bei der Ausstattung: Brauche ich diese oder jede im Kampf gesammelte Waffe wirklich?
Gameplay im alten Stil
Die Kämpfe laufen nicht exakt wie bei den ersten beiden Teilen ab, sondern erinnen eher an das 1998er Commandos: schleichen, meucheln, wegtragen. Die letzten Gegner, an die man nicht herankommt, werden eventuell mit Schusswaffen bearbeitet. Das erinnert auch sehr an die ersten Level der beliebten Jagged Alliance 2-Mod „SOG'69". Gleich im Einführungslevel lernt man das Prinzip schnell: Nachdem der erste Versuch mit einem gepflegten Rush-Angriff in die Hosen ging, positioniert man seine beiden Söldner folgend lieber auf einer Anhöhe und lässt sie sich dort ins hohe Gras legen. Aus dieser Deckung heraus lassen sich die ersten Gegner am besten mit Waffeneinsatz ausschalten. Verlaufen kann man sich auf den ziemlich kleinen Karten nicht, was aufgrund des rundenbasierten Aktionspunktesystems aber auch nicht negativ ins Gewicht fällt.
Und die KI macht manchmal verrückte Sachen. Gegnerische Soldaten werden nicht selten einen Zaun erklimmen, um sich dann umzudrehen und geradewegs wieder zurückzuklettern. Sie laufen wie ein Lemming direkt in die Schusslinie des Spielers und sind vor allem während der Nachtmissionen derart defensiv, dass sie regelrecht darauf warten, aus der Distanz erledigt zu werden, ohne jemals ihre eigene Waffe abzufeuern oder nachzusehen, was in ihrer Umgebung passiert. Das obligatorische „Leichenfleddern" nach dem Kampf ist ebenso unbefriedigend. Denn das Sammeln von Beute ist nicht nur lächerlich langweilig, die Entwickler haben auch vergessen, nach dem Ausschalten des letzten Gegners die Limitierung auf Aktionspunkte auszuschalten: Designfehler.
Fazit
Rage! ist kein Jagged Alliance in der Tradition von Teil 1 oder 2. Mit letzterem kann es sogar überhaupt nicht mithalten. Zu Beginn herrscht ein wahres Gefühl der Angst, wenn feindliche Trupps aus Basen sprießen, die sich auf der Karte verteilen, und das eigene Team regelrecht jagen. Ich hätte mir gewünscht, dass diese intensive Stimmung länger andauert, aber es gibt sehr zügig bessere Waffen und Rüstungen zu finden, so dass die Gegnerschar schnell an Bedrohung verliert. Glücklicherweise wird dies durch einen wachsenden Wunsch ersetzt, den Insulanern zu helfen, sich von ihrem Unterdrücker zu befreien. Was von den Originalspielen mitgenommen wurde, ist das Geplänkel und das Feedback der einzelnen Söldner untereinander. In bester Serientradition fügt der Titel so ein gutes Stück Humor zwischen die steifen, allgemeinen Dialoge und lockert das Geschehen auf. Rage! hat ein paar Elemente von dem, was Jagged Alliance großartig gemacht hat, ohne seinen Großvätern das Wasser reichen zu können. Als das, was es ist, ist es aber für einige Stunden unterhaltsame, witzige und gerade zu Beginn oft mordsspannende, 4X-Strategie.