Jack White: Furioses Stückwerk

Jack White: Furioses StückwerkJack White
„Boarding House Reach“
(Third Man Records)
Das ist schon eine elende Zwickmühle, in der man da jetzt steckt. Einerseits findet man den Typen richtig Klasse: Jack White hat nicht nur Ahnung von Musik, sondern lebt sie mit jeder Faser seines Körpers. Sagt die richtigen Sachen (gerade erst wieder in einem sehr lesenswerten Interview mit dem SZ-Magazin) und zwar nicht nur zu seiner Passion, sondern gern auch zu all den Dingen, die wir wie er als Unwucht im Lauf der Welt wahrnehmen. Wir bewundern sein Genie, seine Hingabe, seine Ausdauer. Andererseits hat er gerade sein drittes Album veröffentlicht und das ist derart anstrengend geraten, dass man es sogleich wieder in die Ecke pfeffern möchte. Zumindest im ersten Moment. Nun sind ja schon die solistischen Vorgänger „Blunderbuss“ und „Lazaretto“ nicht gerade Musterbeispiele für geschmeidigen Bluesrock neuer Schule gewesen, auch hier zickte der Mann stellenweise aus und versuchte sich mit versoffenen Moritaten am schlecht gestimmtem Kaschemmen-Piano, feierlichen Traditionals und ein paar bissigen Rapeinlagen. Hat gar nicht schlecht funktioniert, das Ganze, was vornehmlich daran lag, daß White meistenteils noch seinen elektrisierenden Stomp in die Auslage stellte, gern und oft die Gitarre drosch und seine Stimmbänder dazu malträtierte. Und selbst wenn dann Unerwartetes kam, hatte er es noch in klassische Kompositionen verpackt, blieb er bei allem stets ein Songwriter.
Dafür, dass ihm diese Fähigkeit beim aktuellen Werk nun abhandengekommen scheint, muß er kräftig Prügel einstecken. Pitchfork schickt „Boarding House Reach“ unter die kritische Fünf-Punkte-Marke und bei Stereogum wütet der Kritiker entrüstet wie selten: „Legends make garbage albums. It happens all the time. … He’s allowed to make some garbation. And that’s what Boarding House Reach is“, heißt es dort – und schlimmer: „It sounds like a man disappearing permanently up his own asshole.“ Tatsächlich springt White auf der Platte so wild und scheinbar ziellos zwischen all seinen Inspirationsquellen aus Blues, Funk, Jazz, Rock, Rap und Soul hin und her, daß ihm der Zuhörer irgendwann nicht mehr folgen möchte -  es jault, pfiept, furzt, kreischt und knallt an allen Ecken und man tut sich wirklich schwer, ein System dahinter zu erkennen. Halbherzigkeit (wie ein deutsches Musikmagazin) will man dem Künstler dabei aber nicht unterstellen, wer den Kerl jemals auf der Bühne unter Strom gesehen hat, der weiß, dass sein Problem nicht das halbe, sondern eher das übervolle, das berstende Herz ist, ganz offensichtlich überfordert er mit diesem stilistischen Kreuzfeuer den Großteil derer, die ihm bisher begeistert gefolgt sind.
Es könnte also sein, dass er auf seine Frage, die er beim Song „Corporation“ in die Runde ruft, am Ende nicht die gewünschte Antwort erhält: „I'm thinking about taking it all the way to the top! Who's with me? Yeah, I'm thinking about doing one giant drop! Who's with me?“ Es werden sich nicht viele finden, die da Schritt halten können/wollen. Trotzdem: Müll!? Weiß Gott nicht! Das Fehlen vertrauter Songstrukturen kann, ja muß man vielleicht bedauern, es gibt dennoch Grund genug auch mit diesem Album bei der Fahne zu bleiben. Denn die Gitarre als alles verbindendes Element bleibt so vielgestaltig wie furios, die Background-Chöre schmettern wunderbar ansteckend und wenn White bei „Everything You’ve Ever Learned“ im Stile des gerade verstorbenen Predigers Graham seine Tiraden herausbrüllt, wird wieder einmal klar, dass hier einer lichterloh brennt – man nennt das wohl „Seele“ und hört es so wahrlich nicht allzu oft. Ach, und den Humor hat er auch nicht an der Eingangstür zur hauseigenen Plattenpresse abgegeben. Ganz zum Schluß, nachdem er sich downtown noch schnell eine Knarre besorgt hat (Dan Auerbach ist wohl gewarnt), schiebt er noch eine kleine Dvorak/Capone-Variation nach: „If the children are dancing, lovers are all romancing, is it any wonder, everyone is singing?“ Irgendwie muß man ihn einfach lieben… http://jackwhiteiii.com/

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