Da wo eigentlich sein Herz sein sollte, hat Jack eine Kuckucksuhr. Mathias Malzieus “Jack und das Kuckucksuhrherz”
Der kleine Jack könnte direkt aus einem Stop-Animation-Film Tim Burtons entsprungen sein. Ist er aber nicht. Denn Jack ist Franzose und wurde von Mathias Malzieu erschaffen. Nicht allein für den Animationsfilm Jack und das Kuckucksuhrherz, sondern viel mehr als eine medienübergreifende Figur in Geschichten verschiedenster Variationen. Zuerst war das La Mécanique du Coeur, das sechste Studioalbum der französischen Band Dionysos, dass als Ergänzung zum gleichnamigen Buch des Band-Frontmanns Malzieu fungiert. Mit der Musik und dem Buch in der Hinterhand, war es vermutlich ein Leichtes den Filmemacher Luc Besson, irgendwie überall in der französischen Filmkultur verstrickt, von einem Projekt für die Kinoleinwand zu überzeugen. Multitalent Malzieu schrieb also das Buch zu einem Drehbuch um, setzte seine Stimme gleich noch selbst als Hauptrolle des Jungen mit einer Kuckucksuhr anstelle seines Herzen ein.
Die Erklärung für diese Merkwürdigkeit liegt bei dem Tag, an dem Jack geboren wird. Es ist der kälteste Tag, den Schottland je zu spüren bekommen hat. So kalt gar, dass ein Baby mit einem gefrorenen Herzen auf die Welt kommt. Da dass nicht unbedingt die besten Lebensbedingungen sind, ersetzt die Hebamme das kalte Herz kurzerhand mit einer Kuckucksuhr. Damit kann er leben wie ein ganz normaler Junge, muss allerdings drei wichtige Regeln beachten, damit sein Kuckucksuhrherz nicht explodiert: er darf niemals an den Zeigern der Uhr drehen, niemals wütend werden und sich auch niemals verlieben. All diese Dinge würden sein Uhrwerk gänzlich durcheinander bringen. Natürlich ist es nicht einfach, sich niemals zu verlieben. Das merkt auch Jack als er auf die Sängerin Acacia trifft. Es ist nur ein kurzer Moment und sie ist schon wieder verschwunden. Doch mit der Hilfe eines gewissen George Méliès begibt sich Jack auf die Suche nach seiner Traumfrau, ganz gleich was mit seinem Kuckucksuhrherzen geschehen wird, wenn er sie erst einmal gefunden hat.
Malzieu, der gemeinsam mit Stéphane Berla auch die Regie geführt hat, hat sich für sein Steampunk-Goth-Musical für eine Optik entschieden, die nahe dran ist an Filmen wie Coraline und The Nightmare Before Christmas, aber eben auch Bezug nimmt auf Werke Tim Burtons: Corpse Bride und Frankenweenie springen einem ins Gedächtnis. Dabei muss sich Jack und das Kuckucksuhrherz zu keinem Zeitpunkt visuell hinter den genannten Produktionen verstecken, liefert ebenso beeindruckende am Computer animierte Bilderwelten wie seine großen Brüder und/oder Schwestern aus Hollywood.
Wo Tim Burton eine Langzeitkooperation mit seinem Komponisten Danny Elfman eingegangen ist, der die Burton-Filme immer musikalisch unterlegt, hat Malzieu derweil einen Film gedreht, den er sichtlich auf die bereits existierende Musik seiner Band zugeschnitten hat. Das kann als Stärke gewertet werden, wenn man diese märchenhaften Pop-Goth-Klänge in seine Hörgewohnheiten einbetten kann. In manchen Momenten wirkt die Musik etwas zu aufregend für die Handlung, geradezu auf Szenen drauf gedrückt. Das heißt allerdings nicht, dass die Musik sich nicht immer in das Gesamtbild einfügen würde. Es ist genau der Stil von Musik, den man nicht nur einem von der Steampunk-Gattung angehauchten Film zuordnen würde, sondern auch in das leicht viktorianische Flair von Jack und das Kuckucksuhrherz passt.
Die Handlung ist klassisch aufgebaut. Jack bekommt eine Warnung auferlegt, muss diese aber einfach im Namen der Liebe missachten. „Verfalle niemals der Liebe, sie wird deine Knochen zum Bersten bringen“ heißt es da ermahnend. Deutlich als Sinnbild für Herzschmerz zu verstehen. Je größer die Liebe, desto größer der Schmerz. Bei Jack gar würde dieses Herz gänzlich das Zeitliche segnen. Mit dieser philosophischen Düsternis kommt der Animationsfilm eher als ein Film für Erwachsene daher, die vermutlich auch mehr damit anfangen können, wenn Jack auf seinen Namensvetter Jack the Ripper trifft, oder aber eben à la Martin Scorsese in seinem Hugo Cabret zu den Anfängen des phantastischen Films zurückkehrt, wo George Méliès sein Unwesen treibt. Mitsamt trauriger Clownsbemalung führt es Jack dann bis auf einen Jahrmarkt, wo das Medium bekanntlich seinen ersten spektakulären Höhepunkt feiern durfte.
Jack mit seinem neu gefundenen Freund George Méliès
Auf einem solchen Jahrmarkt hat sich einst auch Pinocchio wiedergefunden, an den Jack ein wenig erinnert. Der Junge mit dem Kuckucksuhrherz, der sich so sehr danach sehnt, ein ganz normales Kind sein zu dürfen. Jack möchte, wie die Holzpuppe Pinocchio, mit all den anderen Kindern zur Schule gehen, nur um von der sorgsamen Hebamme gesagt zu bekommen, dass die Kinder auf dem Schulhof ihn für seine Andersartigkeit zum Narren halten werden. Und auch wenn Jack sich ihren Warnungen widersetzt, bekommt er dann doch genau das zu spüren. Wenn er, wieder wie Pinocchio, als eine Marionette herum geschubst wird.
Der Film hat jedoch ein großes Manko, dass so manche Schönheit zu Nichte macht. Er wirkt nämlich nicht wie für die Zuschauer gemacht, sondern eher als habe Malzieu den Film für sich selbst erschaffen. Fast schon möchte man in Jack den Filmemacher, Musiker, Autor sehen, wie er seine große Liebe zu verarbeiten versucht. Ein filmischer Tagebucheintrag, der wiederum das dazugehörige Musikalbum und das Buch ergänzen soll, aber nicht alleine dazu in der Lage ist, seine volle Intensität zu entfalten. Vor dem Hintergrund, wie viel Potential in Jack und das Kuckucksuhrherz steckt, ist das fast schon als ebenso tragisch wie ein explodierendes Kuckucksuhrherz anzusehen.
Jack und das Kuckucksuhrherz
Regie: Mathias Malzieu & Stéphane Berla, Drehbuch: Mathias Malzieu
Länge: 94 Minuten, freigegeben ab 6 Jahren, Kinostart: 3. Juli 2014
im Netz: Jack und das Kuckucksuhrherz bei Universum Film
alle Bilder © Universum Film