Am Montag fahre ich mit Martha nach Estelí. Die Fahrt gestaltet sich wieder abenteuerlich, der Bus ist hoffnungslos überfüllt. Ungefähr 50 sitzende und 50 stehende Menschen wollen alle nach Estelí, wir zählen zu der Gruppe der Stehenden. Das alleine ist nicht weiter schlimm, allerdings ist mir der Bus zu klein. Entweder ich neige meinen Kopf ungefähr 45°, oder ich gehe in die Knie. Beim Aussteigen jedenfalls merke ich, dass mein Rücken davon noch den ganzen Tag erzählen wird. Dann beginnt der Lauf durch die Stadt.
Es sieht in etwa so aus, wie in Condega, nur dass sich das Gebiet der gepflasterten Straßen viel weiter ausgedehnt ist und die Transamericana etwa doppelt so breit wird. Die höchsten Gebäude sind drei Stockwerke hoch, was natürlich die Ausdehnung in der Fläche erklärt. An der „Bankenkreuzung“, wie sie auch von Einheimischen genannt wird, befindet sich an jeder Ecke eine Bank. Es stehen bei jeder Eingangstür Wachleute von privaten Sicherheitsfirmen (G4S, Securitas, …), einige sogar mit Kevlarwesten und Pumpguns ausgerüstet. Wollte man ein der Banken betreten, müsste man Rucksack öffnen, Kapperl abgeben, Taschenmesser und ähnliche Waffen abgeben und den Metalldetektor über sich drüberhuschen lassen. Da aber die Bankomaten an der Außenseite angebracht sind, ersparen wir uns diese Prozedur und kommen direkt zur Sache: Geld!
Ich kaufe mir ein „Erfrischungsgetränk“ und zwar, weil ich es wissen will, ein Big Roja. Big ist eine hier recht populäre Getränkemarke, die Cola, Lemón (wie Sprite) und eben auch Roja anbietet. Letztens habe ich von dem picksüßen Getränk im Schwimmbad erzählt … nun, das Roja ist noch schlimmer. Es schmeckt ein bisschen nach Kaugummi und ganz gewaltig viel schmeckt es nach süß. Erfrischung bringt das „Getränk“ also nur, wenn man es sich an die Stirn hält, trinken heißt Maul verkleben.
Auf der Suche nach Ohropax klappern wir noch einen Block nach Apotheken ab, in denen aber immer nur auf die nächste Apotheke verwiesen wird. Nach der dritten finden wir uns damit ab und gehen in die Bank, in die Martha noch schnell wollte. Die liegt nicht an der Bankenkreuzung und ist eher eine einheimische Bank. Auch hier empfängt einen ein G4S-Mitarbeiter (allerdings passiere ich eigenartigerweise ohne Kontrolle), von drinnen wird aufgesperrt (auch ein G4S) und aufgemacht. Während Martha sich in die Schlange einreiht setze ich mich in der Nähe der Tür in den Wartebereich und warte. Dabei beobachte ich die G4S-Menschen, die akribisch jedes männliche Wesen absuchen und alles Überflüssige abgeben lassen. Warum gerade ich ohne Kontrolle durch darf, ist mir nicht klar. Jedenfalls dauert die Prozedur fast zwei Stunden, weil die Schlange gewaltig elends unglaublich lang ist und jeder mindestens 15 Minuten am Schalter steht, bis er sich endlich verzieht.
Nach der langen Warterei (ich weiß jetzt immerhin ganz genau, was man in Banken alles nicht tun darf: Handy einschalten, Kopfbedeckung tragen, Rucksäcke mit zum Schalter nehmen, Waffen mitnehmen, ausrauben, Leute als Geiseln halten und/oder abmurksen) gehen wir in ein kleines Lokal, das wie ein Café wirkt, in dem es aber zwischen Fast Food und Mittagsmenü ziemlich viel zu Essen gibt. Ich esse „Dedos de Pollo“, was sich mit „Hühnerzehen“ korrekt übersetzen lässt, was sie aber in Wahrheit gar nicht sind. Dazu trinke ich Eistee, der natürlich wieder so zuckersüß ist, dass man glaubt, man hört schon Herrn Karies freundlich anklopfen.
Dann klappern wir noch ein paar Geschäfte ab, um Lagerbestände aufzufüllen. In den Bus steigen wir dann mit drei richtig fetten Säcken voller Schampoos, Socken, Schuhcreme, Kleiderbügel und was sonst noch fällig war. Ich habe außerdem eine Jean, drei T-Shirts und eine kurze Hose erstanden, für unglaubliche 890C$. Das sind 32.469426€, für alle die mit dem guten alten Cordoba nichts anfangen können
Montag Abend werde ich dann eingeladen, einen Film bei der INPRHU anzusehen. Das ist eine Organisation, die, ähnlich wie La Fraternidad, ein Zentrum für Kinderbetreuung, allerdings ist die Organisation größer, zumindest auch in Estelí tätig und die Betreuer fahren regelmäßig auch in kleinere Ortschaften um die Alphabetisierung voranzutreiben, diverse Kurse anzubieten und mit den Kindern zu spielen. Auf jeden Fall wird „Good Bye Lenin“ gezeigt, ein deutscher Film, immerhin spanisch syncronisiert. Anwesend sind alle Deutschen, die ich am Samstag kennen gelernt habe und ein „neuer“ Deutscher, Lennart. Dazu gesellen sich etwa 10 Nicaraguaner.
Dienstag ist endlich der 14. September, der gefallene US-Soldat wird gefeiert und ein großer Trommelwirbel mit Tusch betritt die Straße. Vorne und hinten flankiert von Feuerwehrautos die genauso klingen wie sie aussehen: Laut.
Der Bombero gibt seinen Sirenen immer wieder die Sporen, was sie zu ungeahnten Höchstleistungen treibt. Ohropax bitte!
Es ist heiß und die Sonne scheint. Frechheit das, weil mir die Sombreras die Sicht auf die Parade rauben
Zum Beweis, dass das die selben Bandas sind, die auch im Stadion schon versucht haben, ihr Bestes zu geben folgt nun ein bekanntes Gesicht:
Vielleicht merkt man, dass ich den ganz witzig finde
Zwei Einheiten Stechschritt bilden die Nachhut
Es wird am Hauptplatz vorbeigezogen, bis zur Transamericana hinaus marschiert, um dann wieder zurückzukommen und sich rund um den Park in der Mitte aufzubauen. Dann wird gespielt, gedroschen und gehüpft. Ob der Hitze fallen dabei immer wieder Kinder um, um die sich die Bomberos dann kümmern dürfen. Es ist den Kindern nämlich nicht gestattet Trinken oder Essen mitzunehmen.
Auch den kennen wir schon: Sir Drillseargent mit Lyra im Anschlag
Jede Schulband hat einen eigenen Fotograf. Analog natürlich.
Es sind unglaublich viele Menschen auf der Straße, kaum zu glauben, dass das nur Condega ist.
Eingekesselt in der Menschenmenge wird gedroschen, getrommelt und getanzt
Natürlich kann bei einem heißen Event der Eismann nicht fehlen. Tatsächlich sind mindestens fünf unterwegs und verwandeln kaltes Wasser in heiße Scheine.
Der Eismann bringts. Viel Eis hierher und viel Geld nach Hause.
"Eis, Baby! Es gibt Eis!" Zitat Helge Schneider - Baby Eneri Reyes
Jóse, ein Cousin und Neffe der Familie, hat sein eigenes erbettelt
Zu guter Letzt berichte ich vom ersten gegessenen Tier, dass ich persönlich immerhin flüchtig gekannt habe. Montag Abend steht nämlich auf einmal ein Huhn im Garten, das ausnahmsweise nicht vom Nachbarn geflohen ist, sondern hierher gehört. Dienstag früh, vor Verlassen des Hauses sehe ich es zum letzten Mal in einem Stück, zu Mittag schwimmt es schon die letzten Runden in der Suppe. Aber nicht lange, schmeckt schließlich zu gut
Das Huhn war so schnell wieder weg, dass ich nicht mal ein ganzes Foto habe ...
Soweit so gut, ich bin schon wieder in Überlänge unterwegs, aber nicht ganz unschuldig sind die vielen Bilder
PS: Mir wurde heute ein Ei eines Pichete gezeigt, das offenbar vom Dach gefallen ist. Ich werde mich um das verlorene Kind kümmern und auf es aufpassen. Vielleicht kommt der Pichete durch und ich werde Papa!