Keiner liebt November
Antonia Michaelis
Oetinger, 2014
978-3789142956
17,99 €
Kurz vor Ambers sechstem Geburtstag verschwanden ihre Eltern auf unerklärliche Weise. Jetzt ist Amber, die eigentlich November heißt, 17 Jahre alt und glaubt, eine Spur zu haben. Doch was hat es mit dem Jungen auf sich, der in dem erleuchteten Zelt ein Buch liest, sich aber in Luft auflöst, sobald sie sich ihm nähert? Und das ist nicht die einzige Frage, die sich November stellen muss.
November ist weich und hart, naiv und taff, allein und zu zweit. Irgendwie ist sie alles und nichts, voller Widersprüche und Dingen, die selbsterklärend sind und welche, die nur die Autorin versteht. Sie schreibt wunderbare Gedichte, die ich sofort in mein Herz geschlossen habe. Einige werden in meinem Filo einen Platz bekommen. Aber da sind auch die dunklen Momente, in denen ich sie retten will, für sie da sein will und nicht kann. Sie lässt niemanden an sich heran, denn niemand liebt November. Und wenn da doch mal jemand kommt und sie umarmen will, beißt und kratzt sie, schreit und flüchtet vor sich selbst. Trotzdem und gerade deswegen habe ich sie geliebt.
Katja, ein Mann mit einem komischen Namen will irgendwie für sie da sein. Ein schwieriges Unterfangen, wenn er selbst nicht ganz bei der Sache ist, Dinge verheimlicht und auch nicht ganz normal ist. Ich musste lange Zeit überlegen, immer wieder, wer er ist, weil der Name mir nicht geläufig werden wollte.
Alle anderen, Jungen und Männer, Frauen und Jugendliche sind einmalig. Manchmal etwas schablonenartig, aber am Ende sehr überraschend und zuletzt vielleicht sogar etwas liebenswert.
Grau, düster, leer, aber auch herbstfarbend, leuchtend und warm – so kann ich die Kulisse rund um November beschreiben. Zufällig ist November ja nicht nur eine Person und so ändert sich auch die Kulisse oft. Es gibt Momente, da lächelt das Mädchen und die Welt ist hübsch und neu. Aber es gibt auch Momente, in denen sie flucht, um sich tritt und beißt. Die schwarzen Momente, die ich aber auch gemocht habe.
Die Kulisse ist passend zu einer Schnitzeljagd angelegt, mal mehr oder weniger detailliert, aber immer neu, anders und aus verschiedenen Augen sichtbar.
Ein verwirrtes, aber starkes Mädchen, sucht etwas, dass ihr verloren gegangen ist. Sie war erst sechs Jahre alt, als ihre Eltern verschwanden. Es begann eine Odyssee durch Heime und Wohnungen, die November nie gut taten. Sie wollte weg auf die große Suche. Immer wieder finde sie einen Schnipsel, der sie weiter bringt, näher heran an ihre Eltern, ihr Zuhause.
Sie stellt sich vor, dass alles gut werden wird, denn am Ende nimmt sie jemand in den Arm und sagt: “Hier bist du sicher.” Immer wieder gerät sie außer Kontrolle, verflucht das Leben, wird eine Katze, flieht, kommt wieder und springt fast in einen Fluss. Die ganze Zeit ist der Leser nah dran und damit meine ich wirklich sehr nah.
Antonia Michaelis ist dafür bekannt, dass sie Nähe nicht nur vortäuscht, sondern in ihren Büchern gibt es sie wirklich. Die Liebe und Nähe zum “verkommenen Subjekt”, das aber einen weichen Kern hat.
Die zwei Seiten der November oder besser gesagt drei, haben mich sehr fasziniert. Es gibt die Gedichte, es gibt ihre Hilflosigkeit, aber auch etwas, das der Leser Stärke nennen kann, denn um zu überleben, macht sie vieles, worauf sie nicht stolz ist. Das heißt jetzt nicht, dass ich ihr Tun immer befürworte, aber es hat etwas endgültiges bei ihr, etwas was so nicht anders geht, aber niemandem weh tut.
Die Gedichte sind leicht und traurig, zart und wirklich wunderschön. Liest man Novembers Geschichte, denkt der Leser nicht, dass sie so etwas schaffen kann, dass das vielleicht ein Talent ist.
Nach “Der Märchenerzähler“, “Nashville” und “Solange die Nachtigall singt” hat die Autorin es wieder einmal geschafft mich zu berühren. Ihre Bücher sind Wundertüten der Bücherwelt, schöne Scheine und gruselige Wahrheit, denn das Leben ist hart und Antonia Michaelis scheut sich nicht genau das zu zeigen.
Offensichtlich habe ich auf die Frage, was ich gerade lese immer geantwortet: “November”, denn das “Keiner liebt” habe ich bis zur Rezension ignoriert. “November” als Titel hätte mir vollkommen gereicht, hätte ich doch weniger Erwartungen an das Buch gehabt.
Die herbstlichen Blätter mag ich sehr und es war ein tolles Herbstbuch.
Niemand war je so zornig und traurig wie November. Niemand hier jemals so, wie ein Monat ist: dunkel, kalt und ein Zwischending. November, Amber oder Lucy ich hatte Euch lieb …