It’s a man’s world … or is it? Der Jeddah-Report, Teil 5

Der allgemeine Konsens über die arabischen Länder ist, dass es sich um reine Männergesellschaften handelt und die Frauen nicht nur nichts zu sagen haben, sondern auch wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

Und für ein Land wie Saudi Arabien gilt dieses Bild in noch viel größerem Ausmaß. Keine Frage – die Fakten sprechen für sich: Frauen dürfen ohne die Einwilligung ihrer Ehemänner bzw. des Vaters oder eines sonstigen männlichen Vormunds (der sogenannte Muhrim) so gut wie nichts: sie dürfen kein Bankkonto eröffnen, keine Verträge unterschreiben, nicht verreisen  und keine Job annehmen. Dass Frauen nach wie vor nicht fahren dürfen, hat in den letzten zwei Jahren auch bei uns immer wieder die Runden in den Nachrichten gemacht.

Stimmt alles. Finde ich auch nicht gut. Im Gegenteil. Ich finde es nicht nur hinterwäldlerisch, menschenfeindlich und vermessen, sondern schlicht und ergreifend auch unpraktisch. Wie viel einfacher könnte das Leben sein, wenn Frau ihre Kinder selbst von der Schule abholen oder einfach eine Kreditkarte beantragen könnte.

Nichts desto trotz ist es ebenso vermessen und arrogant von Menschen auf der anderen Seite der Erde, zu glauben, dies sei die ganze Wahrheit und die Frauen dort leben 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr in einem Gefängnis, wo sie die Mund höchstens mal zum essen aufmachen dürfen. Wenn’s der Ehemann erlaubt, freilich nur.

Denn – wer zu Hause tatsächlich das Regiment führt, das ist nicht selten (ich würde sogar sagen in 90% der Fälle) die Frau. Und in einem Land, wo das Leben hauptsächlich zu Hause stattfindet, ist das schon eine ganze Menge Macht.

Zwei Beispiele nur von unserer jüngsten Reise dafür, dass die Herren nach der Arbeit beim Betreten ihres Heims ihre Männlichkeit einfach an der Garderobe abgeben müssen.

Szene 1:

S. ist ein junger Mann von 25 Jahren, frisch verheiratet mit einer entzückenden Frau, gemeinsam haben sie eine einjährige Tochter. Nun musste sich S. die Mandeln entfernen lassen. Die ganze Familie ist in Aufruhr. Der arme Junge. Oh Gott. Die Großmutter lässt Suppe ins Krankenhaus schicken, Bilder vom Krankenbett werden per WhatsApp an die ganze Familie geschickt, bei jedem Telefonat geht es die nächsten 48 Stunden um nichts anderes als um das Schicksal des armen Kranken. Einige Tage später trifft sich die Großfamilie zum Essen. S. – noch immer sichtlich angeschlagen – kann kaum sprechen, lächelt sich tapfer durch den Abend. Bis zum Essen. Der Arme kann kaum seinen Tee schlucken, geschweige denn etwas von dem gegrillten Fisch zu sich nehmen.

Sofort versammeln sich seine Großmutter, seine Mutter und seine Frau um ihn. Sie reden auf ihn ein. Er muss essen, um wieder gesund zu werden. Der Arzt hat doch gesagt, nach 3 Tagen muss er feste Nahrung zu sich nehmen. Sie schubsen und drängeln ihn, nicht nur verbal, sondern auch körperlich. Der Arme sitzt, die Hände im Schoß gefaltet, die Backen dick von der OP, ausdruckslos da und zwingt sich einen Bissen einer gegrillten Garnele rein, quält sich sichtlich, ich habe großes Mitleid. Er versucht, zu sagen, dass es einfach nicht geht. Dann reißt die Großmutter ihm die Gabel aus der Hand, spießt ein großes Stück Fisch auf, drückt seiner Frau die Gabel in die Hand und fordert sie auf, ihren Mann gefälligst zum Essen zu bringen. Sie drücken dem armen Jungen die Gabel geradezu in den Mund. Minutenlang geht das so. Da sitzt nun die junge Ehefrau, den Teller auf dem Schoß, und hält ihrem jungen Ehemann die Gabel hin, in der anderen Hand eine Serviette, damit er sich nicht bekleckert. Wie bei einem Kleinkind. Und niemand schreitet ein. Das ist einfach so. Da muss man als Mann diese Entwürdigung einfach mal hinnehmen. Hier haben nämlich nur die Frauen was zu sagen.S. isst unter sichtlichen Schmerzen 4 Stückchen Fisch.

Szene 2 (es handelt sich hierbei nicht um dieselben Mütter und Söhne wie bei Szene 1…)

M. ist 14 Jahre alt. Er ist gut erzogen, respektvoll, springt immer sofort, wenn seine Mutter, seine Großmutter oder sonst wer etwas von ihm möchte – ein Glas Wasser, eine Einstellung an ihrem iPad oder den Wechsel des TV-Kanals.

Bei einem Ausflug ans Meer sitzt man zusammen am Strand und döst in der Hitze. M.s Mutter lamentiert über die positiven Aspekte von Hautpeelings, auch mit Sand. Wie gut das doch für die Haut ist. Wie frisch und wie gesund. „Stimmt doch, oder?“, fragt sie in meine Richtung. Ich weiß nicht, warum ich auf einmal Teil der Konversation bin, nicke aber nur müde. „Jaja, das ist total gut. Mache ich zu Hause auch manchmal.“

„Siehst du, M.!“, kreischt sie plötzlich so laut, dass ich von meiner Liege hochschrecke. „Rasha macht das auch. Geh und hol dir Sand und reib dir das Gesicht ab. Gegen deine Pickel.“ Ich habe sofort großes Mitleid. M. versinkt schamvoll in seinem Liegestuhl und sieht sehr arm aus. Jetzt soll sich der arme Junge vor den Augen seiner Verwandten aus Deutschland mit Sand das Gesicht abreiben… M.s Mutter insistiert aber immer weiter, schubst ihn, geht schließlich selbst in die Küche und kommt mit einer kleinen Schüssel zurück. „Hier“, sagt sie und drückt ihrem Sohn die Schale in die Hand. „Füll die mit Sand und reib dich ab.“ Widerwillig quält sich M. aus seinem Stuhl, nimmt die Schüssel und trollt sich ein paar Meter der Strand hinunter. Als er zurück kommt, wird er sofort überführt. „Du hast es nicht gemacht!“, keift die Mutter. „Doch, hab ich“, versucht sich der verzweifelte M. zu retten. „Lüg mich nicht an, ich bin deine Mutter. Ich weiß, wenn du nicht tust, was ich dir sage.“ M. lässt verzweifelt den Kopf hängen.

Er setzt sich wieder auf den Stuhl, schöpft Sand in seine Schale und lässt einige Sekunden lang den Blick in die Ferne schweifen, als könnte ihn irgendwas dahinten retten.
Dann reibt er sich sein Gesicht ab.

Was will ich damit sagen… Dass die sehr starken und dominanten arabischen Mütter und Großmütter sich ihre Söhne sehr respektvoll und eben auch ein bisschen verweichlicht heranziehen, und ihre Töchter zu ebensolchen Drachen zu machen versuchen, wie sie es selbst sind. Ich kenne kaum eine arabische Frau, egal welchen Alters, die ihren Ehemann nicht vollkommen in der Tasche hat. Und wenn sie dann noch das ultimative Ziel erreicht und ein gutes Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter aufgebaut hat, dann kann man mit diesen armen Jungs wirklich nur noch Mitleid haben.

Mit den Frauenrechten in Saudi Arabien ist es noch lange nicht gut bestellt, aber die Fortschritte sind überall sichtbar. Frauen der Generation 25plus sind mittlerweile zu großen Teilen berufstätig, viele haben eigene Firmen, wie zum Beispiel Catering oder PR. Zuletzt konnte man sogar in Deutschland lesen, dass die größte Zeitung des Landes nun eine weibliche Chefredakteurin hat. Ist alles nicht viel im Vergleich zu dem, was wir hier bei uns gewöhnt sind. Aber ich bin sehr zuversichtlich, angesichts dieser starken Generation, die dort heran wächst.

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