Ist Vorsorge immer besser als bohren?

Ist Vorsorge immer besser als bohren?
Ist Vorsorge immer besser als bohren?

Aus gegebenem Anlass aber ohne den Anspruch auf vollständige Aufarbeitung des Themas möchte ich ganz kurz über die Frage der „Vorbeugenden Medizin“ reflektieren.

Dass (siehe Überschrift) regelmäßiges Zähneputzen besser als rezidivierendes Blombieren der Zähne ist, soll gar nicht bestritten werden und Monty Pythons finaler Definition nach dem Sinn des Lebens (seid nett zueinander, esst weniger Fett, lest manchmal ein gutes Buch, geht spazieren und versucht in Eintracht mit allen anderen Rassen und Nationen zu leben) ist ohnehin ultimativ (http://www.youtube.com/watch?v=qBArMmngVH4).

Worum es aber hier geht ist die Frage, ob wir die finanziellen Mittel im Gesundheitssystem dafür einsetzen wollen, Krankheiten zu verhindern bzw. Krankheiten im Frühstadium zu erkennen (Screening), um uns die größeren Ausgaben der Reparaturmedizin zu ersparen, wenn die Krankheit voll ausgebrochen ist (z.B. ein metastasierender bösartiger Tumor).

Hörte man heute die Pressekonferenz der SVA könnte man doch glauben, dass mit der „Entdeckung der Vorsorge“ durch Herrn Leitl endlich der (Gallen)stein der Weisheit im Gesundheitssystem gehoben wurde:
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20120718_OTS0012/erinnerung-sva-obmann-christoph-leitl-praesentiert-erste-zahlen-zum-sva-vorsorgeprogramm-selbstaendig-gesund  
Ö1 Text: Die Vorsorge spielt hierzulande im Gesundheitswesen derzeit eine untergeordnete Rolle. Der Fokus liegt auf der Heilung, in die Prävention und die Förderung der Gesundheit fließen nur zwei Prozent der Ausgaben. Die Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft hat vor einem halben Jahr ein Programm gestartet, um mehr Augenmerk auf die Vorsorge zu legen. Die Versicherten vereinbaren Gesundheitsziele, beispielsweise weniger Rauchen oder Abnehmen - werden sie erreicht, zahlen sie nur den halben Selbstbehalt. Eine erste Bilanz fällt positiv aus. http://oe1.orf.at/programm/307569  

Wo denn jemals der wissenschaftliche Beweis geführt wurde, dass der unspezifische Aufruf zu „mehr Gesundheit“ sich in harten und nachhaltigen Verbesserungen niedergeschlagen hat, mag ich (Eminence Based Medicine !) bezweifeln, aber 
für alle mit “Billas Hausverstand” (http://www.youtube.com/watch?v=9_qk6q0kyj0) ausgestatteten Kammerfunktionären scheint es zumindest klar, dass es besser sein muss, einen kleinen Krebs zu entfernen, als zuzuwarten, bis dieser größer wird. 
Auch einige Trends in der medizinischen Diskussion scheinen den Weg hin zu immer mehr Vorbeugung zu weisen. 
Dr. Lee Hood propagiert seit einigen Jahren seine P4 Medicine 
( Predictive, Preventive, Personalized, and Participatory 
(Vorbeugen, Verhüten, Individualisieren, Teilhaben); http://www.youtube.com/watch?v=ThZ0gLeRe_8& )
und träumt davon, dass wir alle unsere Genome entschlüsseln sollen und dadurch Maßnahmen setzen können, damit eine genetisch angelegte Erkrankung gar nicht ausbricht. 
Kommerzielle Angebote existieren natürlich schon, auch wenn die Anzahl der Erkrankungen, die überwiegend durch genetische Veränderungen bedingt sind, vermutlich doch die Minderheit darstellen; 
für 299 US$ sind Sie dabei : https://www.23andme.com/  
Während sich „4P Medicine“ in der Vorsorge (nicht im Therapiemanagement bei „Targeted Therapies http://de.wikipedia.org/wiki/Gezielte_Krebstherapie) noch eher utopisch anhört, sind klassischere Vorsorgestrategien wie die Vorsorgeuntersuchungen auf weiblichen Genitalkrebs (Abstrichdiagnostik), Brustkarzinom (Mammografie und Ultraschall, ggf. MR) und Prostatakarzinom (PSA Screening) schon längst im Alltag angekommen.

Während es keine Zweifel gibt, dass der regelmäßige Zervixabstrich eine hocheffektive Maßnahme ist, bereits Frühformen des Gebärmutterhalskrebses zu erkennen und eine Behandlung zuzuführen, ist die Debatte über das

Kosten (Untersuchungskosten, Kosten für die Abklärung falsch positiver Befunde, unnötige Verunsicherung gesunder Frauen, …)

Nutzen (frühzeitig erkannte und somit völlig heilbare Fälle von Brustkrebs, weniger Nachbehandlungskosten, weniger verstümmelnde Eingriffe und deshalb weniger psychologischen Stress für Patientinnen, …)

Verhältnis

eines regelmäßigen Mammografiescreenings weiterhin heftig: http://de.wikipedia.org/wiki/Mammographie#Mammographie_als_Screening-Untersuchung

Ebenso kontroversiell verläuft die Debatte für die Früherkennung des Prostatakarzinoms durch regelmäßige Bestimmung des PSA-Spiegels im Blut. 
Für ein befreundeten Urologe ist zwar die Sache klar: 
„Männer über 50 müssen zwei werte kennen: ihr Golfhandicap und ihren PSA-Wert“.
Dass auch hier die Sache nicht so ganz so einfach ist, zweigt eine ganz aktuell im „New England Journal of Medicine“ erschienene Arbeit (http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1113162? ), die in einer randomisierten Doppelblindstudie bei 731 Männern (im Mittel 67 Jahre) mit niedrig erhöhtem PSA (Median 7,9 ng/ml) und lokalisiertem Karzinom nicht nachweisen konnte, dass eine sofortige Operation des Karzinoms (innerhalb eines Beobachtungszeitraumes von mind. 12 Jahren) für die Patienten einen (Überlebens)vorteil darstellt.
Wichtig: Für Patienten mit weiter fortgeschrittenem Karzinom bzw. PSA >10 ist ein Eingriff jedoch von Nutzen; d.h. nicht allgemeine Ignoranz sonder ein sehr differenziertes Vorgehen ist angezeigt.
Das Thema ist so brisant, dass es sogar die New York Times kommentierte (http://well.blogs.nytimes.com/2012/07/18/questioning-surgery-for-early-prostate-cancer/? ), wobei die Leserkommentare in der Onlineausgabe sehr gut die Verständnisprobleme der Laien reflektieren, weshalb man ein einmal entdecktes Karzinom nicht sofort operieren soll. Auch diese zu lesen lohnt sich.

Was lernen wir aus diesen Ergebnissen?

Erstens ist es notwendig, Patienten, Gesundheitpolitikern, Gutachtern und Juristen klar zu machen, dass sie ihre „Hausverstand“ betrügt, wenn sie glauben, dass Vorsorge und Screening in jedem Fall eine sinnvolle (und kostensparende) Prävention im Gesundheitswesen darstellt. Nicht jede Weisheit lässt sich aus Google und Wiki ableiten und man wäre gut beraten, die Menschen, die sich mit Medizin hauptberuflich beschäftigen, in die Entscheidungsprozesse einzubinden, denn in Abhängigkeit der Charakteristika jedes einzelnen Krankheitsbildes, seiner Häufigkeit und seines biologischen Ablaufes unterscheiden sich die „richtigen“ Strategien ganz gewaltig. Was für den weiblichen Genitalabstrich bewiesen ist, muss für die männliche Prostata nicht richtig sein.

Zweitens muss Juristen endlich ihre „Einäugigkeit“ klar gemacht werden, welchen Druck sie in Richtung „Absicherungsmedizin“ bewirken, wenn jeder unterlassene Test, jede verzögerte Diagnose vor Gericht mit Schadenersatzforderungen geahndet wird aber andererseits nicht bedacht wird welche gesundheitlichen, psychologischen und finanziellen Risken durch eine „Überbehandlung“ entstehen. Hier ist endlich sowohl eine individuelle als auch eine globale Kosten-Nutzen-Abwägung angezeigt.

Drittens wäre es hoch an der Zeit, bei der jetzt politisch so modernen Formulierung von „Gesundheitszielen“ der komplexen medizinischen Wirklichkeit Rechnung zu tragen, um über die Monty Pythonschen Erkenntnisse (siehe oben und die Kritik auf: http://www.rezeptblog.at/die-gesundheitsziele-sind-da-was-ist-da/ ) hinaus zu kommen.

Ein Weg wäre zum Beispiel metabolisch orientierte Diagnoseverfahren zur Kenntnis zu nehmen und extra- und intramural zu refundieren, wenn eine wissenschaftliche gesicherte Evidenz besteht, dass sie für ein bestimmtes Krankheitsbilder eine prognostische Aussage und dadurch eine maßgeschneiderte Therapieentscheidung ermöglichen. 

Leider ist es aber so, dass unsere Refundierungssysteme 
das spektakuläre Tun (z.B. radikale Prostatektomie) besser honorieren
als ein „Watchful Waiting“ (PSA Kinetik). 
Deshalb wird weiterhin mehr operiert als überlegt werden.

In völliger Analogie operieren wir deshalb in Deutschland und Österreich tausende Schilddrüsenknoten, weil wir uns vor dem papillären Mikrokarzinom fürchten, das ohnehin eine sehr gute Prognose hat und übersehen vor lauter Erleichterung, den Krebs gefunden zu haben, die Anzahl an Stimmbandlähmungen und Nebenschilddrüsenunterfunktionen, die Menschen stärker invalidisieren, als dies das Karzinom selbst bewirkt hätte.
(Jedoch davon ein anderes Mal).


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