Achtung!
Bei neuen Selbstständigen wird künftig vorab geprüft, ob sie nicht doch angestellt werden müssen. Das besagt das neue Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz.
Die Abschaffung des Pflegeregresses war ein Paukenschlag. Kaum jemand beachtete da die weiteren Änderungen im Sozialversicherungsrecht, die ebenfalls Ende Juni beschlossen wurden. Dabei sind auch diese nicht unwesentlich, denn sie betreffen ein heikles Thema: die Abgrenzung von selbstständiger und unselbstständiger Arbeit.
Vor allem geht es um sogenannte neue Selbstständige – etwa in Pflegeberufen, aber nicht nur dort – wie auch um einige freie Gewerbe und bäuerliche Nebentätigkeiten. Für sie alle, wie auch für die Auftraggeber, soll das neue „Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz“ mehr Rechtssicherheit bringen. Bereits bei der Aufnahme einer solchen Erwerbstätigkeit soll künftig geprüft werden, ob man tatsächlich als Selbstständiger bei der SVA oder Bauern-Sozialversicherung pflichtversichert ist. Oder ob eine unselbstständige Erwerbstätigkeit mit ASVG-Versicherungspflicht vorliegt.
Bindung an Entscheidung
Bereits Erwerbstätige und ihre Auftraggeber können die Prüfung ebenfalls beantragen. An das Ergebnis sind dann alle gebunden, Versicherungsträger wie auch Finanzamt. Und genauso an Entscheidungen, die aufgrund von lohn- oder versicherungsrechtlichen Prüfungen getroffen werden – auch dafür sieht das Gesetz ein neues Prozedere vor. Das soll verhindern, dass eine einmal getroffene Einstufung später wieder revidiert wird oder zwei Versicherungsträger gegensätzlich entscheiden.
Vor allem aber soll das vermeiden helfen, dass nach Jahren hohe Nachzahlungen drohen, weil festgestellt wird, dass ein „Auftragnehmer“ eigentlich hätte angestellt werden müssen. Bisher kam das immer wieder vor, manchmal mit ruinösen Folgen. Fast schon skurriles Beispiel: der Pflegekräfte-Vermittler VisiCare, der im Zuge einer Überprüfung als Leiharbeitsfirma eingestuft wurde und wegen Millionen-Nachforderungen der Sozialversicherung pleite ging. Dass der VwGH die Entscheidung später kippte, half ihm nichts mehr: Seiner Beschwerde war keine aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Ihn trieb also eine Fehlentscheidung in den Ruin.
Anrechnung von Beiträgen
Die neuen Regeln sollen aber auch die Beschäftigten selbst besser schützen – auch für sie können hohe Nachzahlungen existenzbedrohend sein. Festgelegt ist deshalb auch, dass Beiträge, die an den „falschen“ Versicherungsträger bezahlt wurden, an den zuständigen überwiesen und von diesem auf die Beitragsschuld angerechnet werden müssen.
Es gibt aber auch umstrittene Punkte, vor allem, was die Zuständigkeit für die Zuordnungsentscheidungen betrifft: Diese liegt bei den Gebietskrankenkassen. Damit seien diese „in erster Instanz Ermittler, Richter und Begünstigte in einem“, kritisiert etwa Christian Ebner, Unternehmensberater und Obmann der Unternehmer-Interessenvertretung FreeMarkets.at. Er würde die Entscheidungsbefugnis lieber bei den Finanzämtern sehen – wie übrigens auch die Neos, die einen entsprechenden Abänderungsantrag einbrachten, freilich ohne Erfolg.
Ein weiterer Kritikpunkt Ebners: Ein „Recht auf Selbstständigkeit“ gebe es weiterhin nicht. Aus seiner Sicht geht es nämlich nicht immer nur darum, dass Firmen Mitarbeiter gegen ihren Willen in die (Schein-)Selbstständigkeit drängen. Sondern es gibt auch das entgegengesetzte Phänomen – dass Freiberufler, etwa im IT-Bereich, aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen in eine Anstellung gezwungen werden.
Dennoch sei zu begrüßen, dass das neue Gesetz mehr Rechtssicherheit bringt, sagt Ebner. Positiv sei auch, dass „der wirtschaftliche Schaden im Fall einer rückwirkenden Zwangsanstellung“ deutlich reduziert werde.
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 13.07.2017)