Ist Kritik am Islam und an Muslimen erlaubt? Selbstverständlich!

Von Nicsbloghaus @_nbh

Am 27. März 2012 erschien in Nics Bloghaus ein kur­zer Artikel mit dem Titel „Brautgeschenk und Scharia“. Ich schrieb dar­auf einen Kommentar mit dem fra­gen­den Unterton, wie­weit Kritik am Islam und an Muslimen erlaubt sei, spe­zi­ell aus einer huma­nis­ti­schen Position her­aus. Tags dar­auf ver­öf­fent­lichte Nic Frank an glei­cher Stelle einen Beitrag „Kritik am Islam, Kritik an Muslimen“, in dem er seine Auffassung von berech­tig­ter und nicht zuläs­si­ger Form von Be- und Verurteilung die­ser Religion und ihrer Anhänger skiz­zierte. Die darin beschrie­bene gene­relle Auffassung teile ich in vol­lem Umfang. Ich habe aber wesent­li­che Ergänzungen und Differenzierungen anzu­brin­gen.

ein Kommentar von Uwe Lehnert

Uwe Lehnert

Vorbeugend sei gesagt, dass ich das oft gehörte Argument, dass es „den“ Islam nicht gäbe, nicht akzep­tiere. Einerseits wird der Islam in sei­ner Ganzheit als eine in sei­nem Wesen fried­li­che, tole­rante, Nächstenliebe prak­ti­zie­rende Religion vor­ge­stellt, ande­rer­seits wird jede kon­krete Kritik mit dem Argument abge­wehrt, dass eine ein­heit­li­che Erscheinungsform die­ser Religion gar nicht exis­tiere, viel­mehr eine Vielzahl von Varianten, die man nicht für „den“ Islam haft­bar machen könne. So gese­hen gibt es auch nicht „das“ Christentum und doch tref­fen die wesent­li­chen Argumente gegen diese Religion auf alle ihre Varianten zu. Auch ist eine beson­dere Rücksichtnahme in der Kritik gegen­über dem Islam und ihren Anhängern – etwa aus inte­gra­ti­ons­po­li­ti­schen Gründen – fehl am Platz. Im Gegenteil: Die oft befremd­lich bis anma­ßend wir­ken­den Ansichten, die ein­zelne mus­li­mi­sche Religionsgemeinschaften gegen­über unse­rer Gesellschaft äußern – auch ein gele­gent­lich ein­rei­sen­der, forsch auf­tre­ten­der Premier Erdogan zählt dazu – und deren Weigerung, wesent­li­che Grundsätze der Verfassung Deutschlands als auf­neh­men­des Land expli­zit zu akzep­tie­ren, ver­lan­gen eine deut­li­che Stellungnahme unse­rer­seits. Es ist grund­sätz­lich die glei­che kri­ti­sche Einstellung gegen­über die­ser Religion erlaubt, die wir uns gegen­über Kirche und Christentum gestat­ten.

Um zu klä­ren, wann und wel­che Form der Kritik am Islam und mus­li­mi­schen Gläubigen erlaubt, ja gefor­dert und wo Zurückhaltung gebo­ten ist, ist die fol­gende Unterteilung hilf­reich: Islamische Organisationen, der Islam als Religion und der ein­zelne Gläubige.

Islamische Organisationen

In Deutschland leben mehr als vier Millionen Muslime. Wie viele in Vereinen und Verbänden orga­ni­siert sind, kann nur geschätzt wer­den, einen zen­tra­len Dachverband gibt es nicht. Die Vereine und Verbände orga­ni­sie­ren vor allem das reli­giöse Leben und beschäf­ti­gen sich mit Bau und Erhalt von Moscheen. Die vier größ­ten Verbände – mal libe­ra­ler, mal weni­ger welt­of­fen und unter­schied­li­che isla­mi­sche Richtungen ver­tre­tend – haben sich zum Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) zusam­men­ge­schlos­sen. Der Rat nimmt für sich in Anspruch, den Großteil der sun­ni­ti­schen und schii­ti­schen Muslime in Deutschland zu ver­tre­ten und ein zen­tra­ler Ansprechpartner für den Staat zu sein. Der Rat umfasst die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB, staat­li­che tür­ki­sche Moscheevereinigung), den Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD), den Verband der isla­mi­schen Kulturzentren e.V. (VIKZ) und den Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e.V. (IRD). Der Zentralrat der Muslime ver­tritt vor­wie­gend nicht­tür­ki­sche Muslime, der­zei­ti­ger Sprecher ist das FDP-Mitglied (z.Z. mit ruhen­der Mitgliedschaft) Aiman Mazyek. Der Islamrat ver­tritt auch die vom Verfassungsschutz als extre­mis­tisch ein­ge­stufte Milli Görüs und wurde von der Islamkonferenz 2010 wegen unge­klär­ter finan­zi­el­ler Machenschaften die­ses Vereins aus­ge­schlos­sen. Keine der exis­tie­ren­den mus­li­mi­schen Dachorganisationen oder Verbände kann aber für alle Muslime in Deutschland spre­chen. Erwähnenswert hier ist noch der Zentralrat der Ex-Muslime, eine Vereinigung muti­ger, inzwi­schen säku­lar ein­ge­stell­ter Menschen, deren Ziel u.a. das Zurückdrängen des Einflusses des poli­ti­schen Islam ist.

Nicht zu akzep­tie­ren ist, was bestimmte Gruppen von ins­be­son­dere mus­li­mi­schen Zuwanderern, unter­stützt durch einige Politiker, meist mit Migrationshintergrund, sich anma­ßen, dass näm­lich wesent­li­che Regeln des Zusammenlebens von ihnen bestimmt wer­den könn­ten. Dazu ist fest­zu­stel­len, dass die Normen und Vorschriften des gesell­schaft­li­chen Miteinanders selbst­ver­ständ­lich das Aufnahmeland defi­niert. Wobei nicht aus­ge­schlos­sen ist, dass im Laufe der Jahre Eigenarten ver­schie­de­ner Kulturen, auch sol­cher reli­giö­ser Art, sich anglei­chen und mit­ein­an­der ver­schmel­zen. Letzteres geschieht dann aber im gegen­sei­ti­gen Einverständnis.

Islamische Organisationen in Form von Vereinen, Verbänden und Dachorganisationen han­deln und wir­ken wie poli­ti­sche Parteien, haben ihre lob­by­is­ti­schen Vertreter in den tra­di­tio­nel­len poli­ti­schen Parteien – wie die Kirchen z.B. auch – und sind daher eben­falls von kei­ner­lei sach­li­cher Kritik aus­ge­nom­men. Sie ver­su­chen, sich die­sel­ben – unge­recht­fer­tig­ten –Privilegien wie die Amtskirchen zu ver­schaf­fen. Sie sind dar­über hin­aus vor allem hin­sicht­lich ihres aus der Religion abge­lei­te­ten gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Anspruchs gegen­über der auf­neh­men­den Gesellschaft zu beur­tei­len. Hierzu soll wei­ter unten noch eini­ges aus­ge­führt wer­den.

Dass die Besorgnis man­geln­der Integrationsbereitschaft ins­be­son­dere von Muslimen nicht unbe­rech­tigt ist, zeigt die jüngst ver­öf­fent­lichte Studie „Lebenswelten jun­ger Muslime“ des Innenministeriums. Danach sind 78% der befrag­ten Muslime zwi­schen 14 und 32 Jahren zur Integration bereit, 22% beton­ten jedoch eher die eigene Herkunftskultur. Von den nicht­deut­schen Muslimen sind dage­gen nur 52% für die Integration in die deut­sche Gesellschaft, wäh­rend 48% eine starke Tendenz zur Separation zei­gen. Die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass es eine Gruppe jun­ger Muslime gibt, die als „streng Religiöse mit star­ken Abneigungen gegen­über dem Westen, ten­den­zi­el­ler Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“ zu bezeich­nen ist. Zu die­ser Gruppe wer­den 15% der jun­gen deut­schen Muslime, 24% der nicht­deut­schen gerech­net. Die Mehrheit ist also inte­gra­ti­ons­be­reit, eine nicht uner­heb­li­che Minderheit offen­bar aber nicht.

Islam als Religion

Der Islam als Religion darf selbst­ver­ständ­lich wie jede andere Religion oder Weltanschauung in ihren Aussagen kri­ti­siert und auf ihre Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft hin­ter­fragt wer­den. Die Kritik am Islam darf scharf und poin­tiert, hat aber sach­lich und gegen­über den Vertretern die­ser Religion ohne per­sön­li­che Beleidigungen zu erfol­gen. Insofern unter­schei­det sich Kritik am Islam for­mal nicht von übli­cher und erlaub­ter Kritik am Christentum.

Die inhalt­li­che Auseinandersetzung bezieht sich vor allem auf die Botschaft des Korans mit sei­nen Behauptungen, Vorschriften und Handlungsanweisungen sowie des­sen Entstehung und Geschichte, auf das Verhältnis zur Wissenschaft, ins­be­son­dere der Naturwissenschaft, und nicht zuletzt auf die Ansprüche die­ser Religion gegen­über Gesellschaft und Politik. Der Islam ist in sei­ner Gesamtheit – Koran und Sunna (in Hadithen über­lie­fert), sie gel­ten als unan­tast­bar und ver­pflich­tend, sowie der Scharia – nicht nur ein Glaubenssystem, das spi­ri­tu­elle Bedürfnisse der Menschen befrie­di­gen möchte, son­dern bil­det auch ein Erziehungssystem, ein Rechtssystem und ein System von Handlungsaufforderungen, die über den per­sön­li­chen Bereich in die Gesellschaft wir­ken sol­len. Deshalb ist zu fra­gen, ob der Islam eine Religion ist, die gemeint ist, wenn im Grundgesetz von Freiheit des Glaubensbekenntnisses oder Religionsfreiheit gespro­chen wird. Ich behaupte, dass der Islam den her­kömm­li­chen Begriff von Religion sprengt, weil er ein reli­giö­ses Bekenntnissystem und poli­ti­sches Ordnungssystem dar­stellt. (Dass das Christentum bis zur Aufklärung den­sel­ben Status ein­nahm und auch heute ver­sucht, die­sen eben­falls wie­der ein­zu­neh­men, sei hier aus­drück­lich fest­ge­hal­ten.)

Von den gut vier Millionen Muslime gel­ten weni­ger als die Hälfte als gläu­big bzw. als prak­ti­zie­rende Muslime. Ähnlich der Situation unter den Christen in Deutschland, wo gemes­sen z.B. an den Kriterien Taufe, kirch­li­che Hochzeit oder sonn­täg­li­cher Kirchenbesuch sogar deut­lich weni­ger als die Hälfte noch als prak­ti­zie­rende Christen anzu­se­hen sind. Salafisten und Wahhabiten wie­derum gel­ten als beson­ders streng­gläu­bige Muslime. Vergleichbar den Evangelikalen oder Kreationisten bei den Christen neh­men sie eine streng wört­li­che Interpretation des Korans vor. Gläubige aus ihren Reihen haben daher die größ­ten Probleme mit der Akzeptanz der west­li­chen Kultur und Lebensweise und dem Bekenntnis zu unse­rer Verfassung.

Der mus­li­mi­sche Gläubige

Anders stellt sich die Situation dar, wenn wir einem mus­li­mi­schen Gläubigen begeg­nen. Hier gilt zunächst der Grundsatz der Toleranz gegen­über jed­we­der reli­giö­sen per­sön­li­chen Auffassung. Mensch und Auffassung sind hier streng zu tren­nen, es gilt der unbe­dingte Respekt vor der Person. Herablassende, gar belei­di­gende Äuße­run­gen wegen der ethi­schen Rückschrittlichkeit (Gleichberechtigung, Homophobie, Todesstrafe udgl.) und wis­sen­schaft­li­chen Unhaltbarkeit der geglaub­ten Auffassungen sind zu unter­las­sen. Auch wenn es schwer fällt, die aus heu­ti­ger Sicht absur­den Behauptungen vie­ler Koranstellen zu akzep­tie­ren. Man bedenke, dass man in der Regel in eine Religion hin­ein gebo­ren wird, ohne eige­nes Zutun und ohne Möglichkeit der intel­lek­tu­el­len Abwehr auf­grund des Einflusses der Eltern und des kul­tu­rel­lem Umfelds. Ein ver­in­ner­lich­ter Glaube, in dem sich der betref­fende Mensch wohl fühlt und den er offen­bar ehr­li­chen Herzens ver­tei­digt, ist zu akzep­tie­ren. Wohl aber darf man auf Widersprüche inner­halb des Glaubens und zwi­schen Glauben und Lebenswirklichkeit auf­merk­sam machen. Eine Verurteilung die­ses Menschen darf dar­aus nicht abge­lei­tet wer­den.

Problematisch wird die Situation aber dann, wenn der per­sön­lich ver­in­ner­lichte Glaube umfas­send auch den gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Kontext in den Blick nimmt. Wer behaup­tet, dass Allahs Gesetz über jedem welt­li­chen Gesetz stehe, kommt mit unse­rem Grundgesetz in Konflikt. Wer auf­grund sei­nes Glaubens Andersgläubige ver­ach­tet, wer den Abfall vom isla­mi­schen Glauben als todes­wür­dig ansieht, wer wesent­li­che Grundrechte unse­rer Verfassung als nicht kom­pa­ti­bel mit dem eige­nen Glauben ansieht, stellt sich als Gegner unse­rer Verfassung dar. Ein sol­cher Glaubender begreift sich dann offen­bar als ein bewuss­tes, kämp­fe­ri­sches Mitglied einer auch gesellschaftlich-politisch agie­ren­den Organisation, die zudem ein­deu­tig ein wesent­li­ches Prinzip unse­rer Verfassung – wenn auch nicht Verfassungswirklichkeit – ablehnt, näm­lich die Trennung von Staat und Religion. Ohne diese Trennung der pri­va­ten und öffent­li­chen Sphäre in Fragen der Religion ist eine Gesellschaft, die sich zuneh­mend aus ver­schie­de­nen Kulturen und Traditionen zusam­men­setzt, die letzt­lich alle wesent­lich reli­giös geprägt sind, als fried­li­ches Gemeinwesen nicht denk­bar.

Spätestens dann, wenn einem gläu­bi­gen Muslim ver­deut­licht wurde, dass der umfas­sende Anspruch des Islam, in alle gesell­schaft­li­chen Bereiche für alle Bürger, auch die anders- und nicht­gläu­bi­gen, ver­bind­lich hin­ein zu wir­ken, mit unse­rer Verfassung kol­li­diert, und er den­noch auf die­sen Glaubensanspruch besteht, endet bei die­sem Gläubigen meine Toleranz. Ich nehme mir dann das Recht her­aus, nein, ich betrachte es sogar als meine staats­bür­ger­li­che Pflicht, ihn auf die Unvereinbarkeit sei­ner Position mit den Prinzipien eines frei­heit­li­chen, demo­kra­ti­schen und plu­ra­lis­ti­schen Systems hin­zu­wei­sen. Im Falle der Weigerung, unsere Verfassung anzu­er­ken­nen, ver­lange ich seine Rückkehr in sein Herkunftsland. Es wäre gera­dezu gro­tesk, Menschen, die ihres Glaubens bzw. ihrer Weltanschauung wegen ihre Heimat ver­las­sen muss­ten – wie z.B. viele athe­is­ti­sche Iraner – hier wie­derum mit einer taten­los hin­ge­nom­me­nen Entwicklung zu kon­fron­tie­ren, die letzt­lich wie­der zu auto­ri­tä­ren, anti­de­mo­kra­ti­schen und men­schen­rechts­ver­let­zen­den Strukturen füh­ren würde.

Es reicht nicht, sol­che Menschen zu igno­rie­ren und sie als reli­giöse Wirrköpfe abzu­tun. Sie gehö­ren als Verfassungsgegner genauso behan­delt wie zum Beispiel Rechtsextremisten. Die Politik ist auf­zu­for­dern, hier zu han­deln, damit die ideo­lo­gi­sche Unterwanderung unse­rer Gesellschaft unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit gestoppt wird. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wozu ganz wesent­lich die Beachtung der Menschenrechte und das fried­li­che reli­giöse Zusammenleben gehö­ren, stellt einen höhe­ren Wert dar als eine im Kontext der übri­gen Grundwerte zu sehende Religionsfreiheit, vor allem dann, wenn diese poli­tisch miss­braucht wird.

Die Doppelmoral bei der Beurteilung von Extremisten

Verlogen und uner­träg­lich ist die Doppelmoral in der Behandlung von Extremisten. Sobald von „rech­ter Seite“ auch nur die Andeutung erkenn­bar wird auf Verletzung von Verfassungsgrundsätzen und Menschenrechten, schril­len – zu Recht! – die Alarmglocken. Werden von Seiten mus­li­mi­scher Organisationen oder pro­mi­nen­ter Vertreter – bei­spiels­weise Salafisten oder aus Saudi-Arabien bezahl­ten Wahhabiten, aber auch Predigern, die zu Recht als Hassprediger bezeich­net wer­den – sol­che Glaubensaussagen in Form von Videos oder Schulbüchern ver­brei­tet, die die glei­che Verletzung von Verfassung und Menschenrechten dar­stel­len, herrscht – mit weni­gen Ausnahmen – nur betre­te­nes Schweigen und Wegsehen. Im Gegenteil – Kritiker, die auf diese Doppelmoral ver­wei­sen, wer­den schnell der Ausländerfeindlichkeit, gern auch des belieb­ten Totschlagarguments Rassismus bezich­tigt. Befasst sich der Verfassungsschutz mit sol­chen Vorgängen, muss er sich gegen­über bestimm­ten Politikern recht­fer­ti­gen, dass er es über­haupt wagt, diese Aktivitäten zu beob­ach­ten.

Ich befürchte jedoch, dass sich unsere christ­lich domi­nierte Politik wei­gern wird, Salafisten, Wahhabiten und andere fun­da­men­ta­lis­tisch ein­ge­stellte isla­mi­sche Gruppierungen ernst­haft in die Schranken zu wei­sen, ja gar zu ver­bie­ten. Zu groß ist die Gefahr, dass sie selbst kon­fron­tiert wer­den mit Aussagen ihrer eige­nen Religion. Denn das Alte Testament und Teile des Neuen Testaments bie­ten eine Fülle ver­gleich­ba­rer – inzwi­schen ver­schämt igno­rier­ter – Abstrusitäten und Menschenrechtsverletzungen, wie sie eben im Koran vor­zu­fin­den sind. Hinzu kommt die klamm­heim­li­che Erwartung der Kirchen, dass die der Politik abge­trotz­ten Vorrechte für die mus­li­mi­sche Religion dann die schon beste­hen­den der Kirchen wei­ter legi­ti­mie­ren und lega­li­sie­ren wür­den.

Die Diskussion über mus­li­mi­sche Zuwanderer lei­det unter Befangenheit und Unehrlichkeit. Es wird höchste Zeit, dass wir wie­der mutig und ent­schlos­sen unsere in der Verfassung nie­der­ge­leg­ten Prinzipien offen­siv ver­tei­di­gen, aber auch fair sind zu jeder­mann – egal wo er/sie her­kommt, vor­aus­ge­setzt, dass er/sie jene Essentials akzep­tiert, die die Grundlagen unse­rer Gesellschaftsordnung bil­den. Genau aber die­sen expli­zi­ten Bezug auf unsere Verfassung ver­misse ich bei einem Teil der mus­li­mi­schen Zuwanderer, lei­der auch bei ihren offi­zi­el­len Vertretern. Stattdessen müs­sen wir erle­ben, dass islam­kri­ti­sche Karikaturisten, Filmemacher, BuchautorInnen, Frauen, die sich von ihrer Religion los­sa­gen und einen freiheitlich-westlichen Lebensstil bevor­zu­gen, bedroht oder umge­bracht wer­den. Islamkritisch berich­tende Journalisten oder Universitätsdozenten wer­den ein­ge­schüch­tert und ver­stum­men schließ­lich, weil sie um ihr Leben fürch­ten müs­sen. Eine ein­deu­tige und dif­fe­ren­zierte Distanzierung von offi­zi­el­ler mus­li­mi­scher Seite, die vor allem auch die eige­nen ideo­lo­gi­schen Grundlagen kri­tisch hin­ter­fra­gen wür­den, kann ich lei­der nicht erken­nen.

Was ich von Zuwanderern erwarte ist die Bereitschaft, unsere Gesetze und Verfassung zu respek­tie­ren, unsere Sprache zu erler­nen, sich aus­zu­bil­den und sich selbst um den Lebensunterhalt zu bemü­hen. Die übergroße Mehrheit der Zuwanderer tut das ganz offen­bar. Eine pro­ble­ma­ti­sche Minderheit und ein Teil der isla­mi­schen Verbände blei­ben des­we­gen kei­nes­falls unge­fähr­lich.

Zusammengefasst: Ich wehre mich gegen die lei­der ver­brei­tete Auffassung, dass Islamkritik, selbst sach­lich vor­ge­tra­gene, aus­län­der­feind­lich sei. Der unbe­dingte Respekt vor dem ande­ren Menschen – auch gläu­bi­gen, gleich­gül­tig aus wel­chem Land er kommt – schließt aber Kritik an des­sen Meinung und Religion für mich kei­nes­falls aus. Respekt meint, dass ich den ande­ren so behan­dele, wie ich behan­delt wer­den möchte, und dass ich seine Position als legi­time Meinung tole­riere. Tolerieren in die­sem Sinne heißt, for­mal zu akzep­tie­ren, dass er das Recht auf einen eige­nen, von dem mei­nen abwei­chen­den Standpunkt hat. Toleranz setzt aller­dings Gegenseitigkeit vor­aus. Denn Toleranz und Respekt kann nur erwar­ten, wer selbst die­ses Verhalten zeigt, andern­falls ver­liert eine faire Auseinandersetzung ihre Basis. Inhaltlich jedoch erlaube ich mir, die Meinung des ande­ren mit Gründen zu kri­ti­sie­ren, gege­be­nen­falls sogar ent­schie­den abzu­leh­nen. Die bewusst oder ver­deckt ange­strebte grund­ge­setz­wid­rige Verquickung von Religion und Gesellschaft bekämpfe ich jedoch mit allen recht­li­chen Mitteln (sowohl beim Islam wie beim Christentum). Sofern die­ser reli­giös moti­vierte All- und Absolutheitsanspruch fal­len gelas­sen wird, dürfte es in einem plu­ra­lis­tisch ver­fass­ten Gemeinwesen keine Probleme geben, unter­schied­lichste Lebenskonzepte, wozu ganz wesent­lich die Weltanschauung gehört, neben­ein­an­der exis­tie­ren zu las­sen. Daraus den­noch ent­ste­hende Konflikte sind im Geiste unse­res Grundgesetzes aus­zu­tra­gen. (Aus: Warum ich kein Christ sein will, 4. Auflage, 2011, S. 308.)

Uwe Lehnert, 17.4.12

Die Diskussion ist eröff­net, denn ich behaupte nicht, dass ich in allen Punkten Recht haben muss.