Diese Frage versucht Cemil Sahinöz bei xtranews zu beantworten. Und scheitert daran mit viel Getöse.
Weshalb?
Weil er – der in seinem Artikel dem Westen vorwirft, den Islam durch eine zu christliche Brille zu betrachten – genau dies auf seine Weise tut. Er schaut durch eine islamische. Und das musste scheitern.
Die Quintessenz seines Artikel liest sich so:
Was der Islam braucht, ist also keine Reform. Diyanet, der religiöse Arm des türkischen Staates, verkündete in einer Pressemitteilung am 28.02.2008, dass eine Reform im Islam nicht möglich ist. Der Islamgelehrte Said Nursi schließt ebenfalls eine Reformation oder Aufklärung des Islams aus legitimen Gründen völlig aus. Auch Fethullah Gülen, inspiriert von den Lehren des Said Nursi, ist der Meinung, dass nur etwas Deformiertes Reformen braucht und dies treffe im Islam nicht zu. Vielmehr solle es Bestrebungen geben, den Islam „richtig auszulegen“.
Es ist jedoch keine Auslegungsfrage, ob und wie menschenrechtsfeindliche Passagen des Koran zu verstehen sind. Es ist eine viel grundlegendere Frage, ob sich modernes islamisches Denken dazu bekennen kann, die Gleichberechtigung von Frauen, von Andersgläubigen (und Ungläubigen) anzuerkennen und eben nicht als Feindbild auszubauen.
Katajun Amirpur hat mögliche Wege und Denkrichtungen in ihren Büchern (“Unterwegs zu einem anderen Islam” und “Der Islam am Wendepunkt“) aufgezeigt.
Sahinöz geht grundsätzlich davon aus, dass der Islam deshalb keine Reformation benötigt, weil er “an sich gut” sei und es keine Gründe gäbe, über eine Reformation nachzudenken. Das sehe ich anders. Sehr anders.Ich halte den Islam – entgegen landläufiger Meinung – nicht per se für bösartig. Aber es ist eine aggressive Religion (wie es auch die christliche ist), es ist eine, die mit dem Schwert verbreitet wurde. Und von vielen Anhängern (Gläubigen) genau so noch heut verbreitet werden soll.
Das Gefährliche an solchen Artikeln wie dem von Sahinöz ist nicht, dass er lügt. Es ist die Tatsache, dass er eine sehr einseitige Sichtweise auf die Welt zeigt. Wenn er schreibt:
Es ist eine wohlbekannte Sache, dass die Kirche Jahrhunderte lang -obwohl es klar zum Gegensatz der christlichen Lehre stand- gegen die Wissenschaft war.
dann ist das ganz sicher korrekt. Aber(!) dies lässt sich auch über den Islam sagen. Völlig unabhängig davon, ob es dort eine “Amtskirche” gibt oder nicht. Man schaue nur in den Iran, in der sog. “westliche Studiengänge” wie Jura, Philosophie, Management, Frauenstudien und Politikwissenschaft abgeschafft wurden. Man schaue nach Saudi Arabien; ein Land, in dem es als Fortschritt gefeiert wird, dass nun auch Frauen von Feuerwehr MÄNNERN gerettet werden dürfen. Der Islam ist seit langem nicht mehr wissenschaftsfreundlich. Das gilt vielleicht für die Zeit, als die Mauren auf der iberischen Halbinsel wirkten. Jedoch ganz sicher nicht mehr heute.
Ich mag nicht in das Horn stoßen, das Viele hier im Lande blasen: aber wer sich anschaut, mit welchen Mitteln die Taliban in Afghanistan zum Beispiel Frauen von der Bildung fern halten; was auch in Deutschlands Parallelgesellschaften geschieht; der kann einfach nicht hinnehmen, wenn Herr Sahinöz darüber schwadroniert, dass der Islam – anders als die christlichen Kirchen – wissenschaftsfreundlich(er) sind.
Während die Kirche sich gegen die Wissenschaft stellte und das Erforschen der Natur unterbat, sehen wir in der islamischen Geschichte genau das Gegenteil. Das Erforschen der Welt und alles in ihr werden als Pflicht eines jeden Muslims gesehen. Jeder Muslim ist verpflichtet, nach Wissen zu streben. Somit kann nicht behauptet werden, dass die Religion die Wissenschaft aufhalten würde.
Wirklich jeder Muslim? Jeder männliche vielleicht. Aber die Menschheit besteht nicht nur aus Männern, Herr Sahinöz!
Das genau ist, was moderne Islamkritiker, die selbst Muslime sind, dem Islam ankreiden: dass nämlich die Entwicklung der Wissenschaften (auch der Theologie, so man diese als Wissenschaft bezeichnen kann), seit mehr als 300 Jahren stagniert. Schuld daran sind gerade auch die im Artikel hochgelobten Mullahs, die Einzelentscheidungen treffen. Dabei spielt es absolut keine Rolle, ob sie einen vermeintlichen Stellvertreter auf Erden, wie es der unselige B16 in Rom für einige Christen ist, haben oder nicht. Es ist schlichtweg egal.
Die Kirche war nicht nur eine religiöse und soziale, sondern auch eine „ökonomische, wirtschaftliche, politische und soziokulturelle Institution; ja sogar ein „Kaiserreich“ [...] Im Islam sind die Moscheen keine Institutionen. Somit gibt es auch kein Machtapparat, das vorschreibt, wer begnadigt wird oder wer in den Himmel kommt.
Wollen wir uns darüber unterhalten, welche Flächen die Vertreter eines politischen Islams – wie er in Iran praktiziert wird – besitzen? Wollen wir uns ernsthaft damit auseinandersetzen, dass “keinen Machtapparat zu besitzen” auch bedeutet, bedeuten muss: undemokratisch zu sein? Wenn also Einzelnen eine Macht zugesprochen wird, wie sie in einer Demokratie dem Gesetz zugesprochen wird. Dann sollen wir davon ausgehen, dass diese Religion nicht dringend eine Reformation nötig hat? Wenn die Verurteilung zur Steinigung, zum Handabhacken, zur dauernden Ungleichbehandlung von Menschen dadurch legitimiert wird, dass “Jeder Mensch [...]somit als Individuum vor seinem Schöpfer” steht und “nur ihm beichtet”.
Entschuldigung, Herr Sahinöz. Aber das ist unglaublich, was sie da schreiben.
Von ein oder zwei Ereignissen abgesehen hat es aber im Islam kaum jemals einen innerislamischen Religionskrieg gegeben. Denn im Islam wird weder der Reiche noch der Arme bevorzugt.
Zeigen Sie mir EIN Land, ein Land auf der Welt, irgendeines, sei es islamisch, christlich, buddhistisch oder was auch immer, in dem der letzte Satz stimmt.
Und dass es keine innerislamischen Religionskriege gab… über diese Lüge decken wir mal besser den Mantel des Schweigens. Denn ansonsten müssten wir sehr lang und breit diskutieren, was es mit den Gegensätzen zwischen Sunniten und Schiiten auf sich hat.
Gleichzeitig verlangte die Kirche vor der Reformation vom Volk, nicht „nachzudenken“.
Richtig. Aber: siehe oben. Der Islam verlangt, dass jeder Gläubige die Deutungs- und Wissenhoheit eines Mullahs anerkennt.
Ich halte solche Artikel für sehr gefährlich. Das sind Tiger, die als Kuschelkatze daherkommen. Wer ohne einen Funken Selbstkritik nur eine andere als seine eigene Religion kritisiert, ist blind. Und vermutlich auch blind und Taub für Kritik von Dritten. Er ist gefährlich, weil er das In-Group-Out-Group-Denken verfestigt und damit unhumanistisch und undemokratisch denkt. Und schreibt.
Nic