Ist die Erde unsere Mutter?

Von Lukas Röthlisberger @Adekagabwa

Für viele Naturvölker ist die Erde ganz selbstverständlich die Ernährerin der Menschen, demnach natürlich die Urmutter oder Große Göttin.

Bei den Griechen gab es auch Muttergöttinnen (Gaia und Demeter), bei den Römern war die Terra Mater (Tellus) explizit eine Erdmutter ebenso bei den Germanen (Nerthus) oder Kelten (Brighid) und bei den Finnen (Illmatar).

Das Christentum, Judentum und Islam haben sich als sehr patriarchale Religionen entfaltet. So findet man bei uns allenfalls eine Gottesmutter (Maria) aber keine Erdmutter. Die meisten Menschen dieser Religionen verstehen daher die Erde primär als tote Ressource, die einen einfach zur Verfügung steht.

Im zwanzigsten Jahrhundert tauchte der Begriff der Mutter Erde bei uns wieder auf. Einerseits waren da die neopaganistischen Bewegungen, andererseits aber die Hippies mit einem neuen Verständnis von Zeit, Leben, Liebe und Natur. Eine wissenschaftliche Annäherung schafften Margulis und Lovelock welche ebenfalls in den 60er Jahren, die Gaia-Theorie entwarfen. Entsprechend diesen Überlegungen soll man die Erde als ganzes als Lebewesen betrachten denn alle Elemente hängen voneinander ab. Diese faszinierende Hypothese der großen Symbiose der Biosphäre wird auch heute noch vielerorts anerkannt und von mancher Fakultät vertieft.

Aymara-Indianer

In den vielen Jahren, die ich mit meiner Familie in den Anden bei den Aymara Indianern gelebt habe, erlebte ich die Verehrung und den Respekt gegenüber der Pachamama  (=Mutter Erde) jeden Tag. Das Wort Pacha bedeutet übrigens nicht Erde, sondern etwas wie „Gesamtheit“ also das ganze Sein. In der Vorstellung der Aymaras war die Pachamama zwar eine Art Mutter aus der Unterwelt, umfasste aber auch die männliche Oberwelt.

Als ihre Boten galten Kröten und Schlangen, die aus dem Boden hervorzukommen scheinen. Bei den Felsbrocken am Wegrand, die entfernt wie eine Kröte aussahen, wurden gerne schnell ein paar Coca Blätter geopfert – denn diese Pflanze hatte jeder als Wegzehrung zum kauen dabei. Bei den zahlreichen Festen wurde auch vom Getränk, sei es das Maisbier oder der Zuckerrohrschnaps, immer zuerst ein großer Schluck auf den Boden geschwappt, damit die Mutter auch etwas davon hat.

Auch gegen das Pflügen hatte mancher Bauer seine Vorbehalte, denn sie wollten die Erde nicht aufreißen. Viel lieber pflanzten sie die Kartoffeln mit ihrem spatenähnlichen traditionellen Pflanzeisen.

Viele Menschen bei uns empfinden den Gedanken, dass die Erde unsere Mutter ist, als sehr positiv. Ich natürlich auch. Aber wenn wir das wirklich ernst nähmen, was würde das dann konkret bedeuten?

  • Darf man der Mutter alle Rohstoffe entreissen?
  • Darf man der Mama ihr Erdöl absaugen und dann im Auto verbrennen?
  • Darf man sie zubetonieren, damit man den Kinderwagen gut schieben kann?
  • Darf man sie mit 10 tonnen schweren Traktoren aufpflügen?
  • Darf man die Wälder, Meere und Felder überhaupt nutzen?
  • Dürfen wir all das tun und aufessen, ohne mit ihr zu sprechen?

Wenn man an all diese Dinge denkt, dann ist es einen fast peinlich, die Erde als Mutter zu bezeichnen…oder nicht?


BILD oben: Schöpfergöttin/ 50cm x 70cm / Acryl auf Abdeckpapier / 2010, Nr.10-104 FOTOS: Aymara Bauern an einem Fest und bei der Arbeit auf dem Acker