Israelisch-Iranisch chatten für Anfänger

Von Wendepunkte

Ein Park am See, ein großer Versammlungsraum daneben mit Bar und jeder Menge Menschen. Nicht irgendwelche Menschen, sondern vorallem Iraner und Israelis aus aller Welt, die sich kennenlernen wollen.

Klingt wie ein Traum? Ist es aber nicht? So ganz Realität aber auch nicht – facebook macht’s möglich.

Eigentlich wollte ich ja nur einen gut recherchierten Artikel über die “We don’t hate you” (oder neuerdings auch: “We love you”)-Bewegung zwischen Israel und Iran schreiben. Innerhalb weniger Tage ist sie bekannt geworden und wehrt sich gegen die Machenschaften der Regierenden: Nein, wir wollen keinen Krieg. Wir wollen Frieden! Das ist die zentrale Botschaft.

Mehr darüber werde ich ein andernmal schreiben, denn ich möchte jetzt viel lieber von meinen Beobachtungen auf der oben genannten Veranstaltung erzählen – auch wenn ich damit etwas die Reihenfolge verdrehe…

Bei meinen Recherchen stieß ich auf die Facebook-Gruppe der Bewegung und dort auf den Hinweis, dass in 5 Minuten die erste Begegnung der Gruppe stattfinden werde: Via einer Chatapp auf facebook und jeder sei willkommen. Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen, denn auch wenn ich weder Iranerin noch Israelitin bin, sondern mich nur theoretisch und während 2 verhältnismäßig kurzen Reisen mit beiden Ländern beschäftigt habe, die Neugierde siegt immer…

So fand ich mich denn in einer großen imaginären Welt wieder, wo man herumlaufen und andere zu einem Drink einladen konnte, wo Sofas herumstanden und es auch eine Art Tanzfläche für einen ganz großen Chat gab. Ansonsten konnte man wild Leute ansprechen und sich austauschen.

Zu Anfang wurde eines der Imagevideos der Bewegung gezeigt, die auch an den Wänden “hingen”, wo man sie zwischenrein anschauen konnte, aber sonst gab es kein Programm. Das Kennenlernen stand ganz im Vordergrund und wurde von allen Teilnehmern sichtlich genossen.

Zwischendurch kam die Meldung, dass die Bar überfüllt sei und ein weiterer Raum geöffnet wurde und auch als ich 5 Stunden nach Chatbeginn nochmal vorbei kam (nach geschlagenen 3 Stunden habe ich mir ein Abendessen gegönnt) waren noch reichlich Leute anwesend.

Nachdem ich mich aufgrund seiner Fülle und dem damit verbundenen Chaos gegen die Tanzfläche entschieden hatte, wo man anfangs unter anderem darüber diskutierte, dass man auf eine baldige Fluglinie zwischen Tel Aviv und Tehran hoffe, machte ich viele spannende Bekanntschaften.

That’s cool! That’s why we have cyberspace!

(Chatteilnehmer über die Veranstaltung)

Zuerst traf ich einen netten Iraner aus Turin, Italien. Natürlich… Volltreffer. War ja klar, dass mich zuerst ein Iraner anspricht, die spüren von Weitem, dass ich Iranistik studiere. Aber dann auch noch einer aus Turin, wohin meine Eltern ausgewandert sind – alles klar

Wir unterhielten uns über alles mögliche, vorallem aber die iranische Politik, die Instrumentalisierung von Religion und darüber, dass er noch nie einen Juden kennengelernt habe. Nun, sie würden ihm ja nun leider nicht einfach auf der Straße entgegenkommen und rufen: “Hi, ich bin Jude, lass uns reden!” Daraufhin habe ich mich von ihm verabschiedet, damit er im Chat nun das lang Versäumte nachholen könne. Für meinen nächsten Turinbesuch sind wir selbstverständlich schon verabredet…

Auch der nächste Gesprächspartner war Iraner, diesmal aus Vancouver. Mit 16 hat er allein Tehran verlassen, 6 Jahre später kam seine Familie nach. Warum er gegangen sei? Wegen besseren Ausbildungsmöglichkeiten und Jobs, so wie die meisten Iraner in Nordamerika – überhaupt gäbe es davon in Vancouver recht viele.

Wirklich schockierend aber war, wie er mir beweisen wollte, dass Anti-Israel-Propaganda im Iran sicherlich schlimmer sei als Anti-Iran-Propaganda in Israel:

I remember when I went to elementary school, on the first day they made us chant “death to Israel”

I didn’t even know what Israel was… a cookie? a song! what is “death to”?! it is… and you’re brought up with this mentality that you should take for granted. The fact that Israel is an enemy and is taboo.

(Chatteilnehmer über Antiisraelpropaganda im Iran)

Da tut es gut zu sehen, wieviele Iraner und Israelis sich an der Bewegung beteiligen und hier miteinander chatten. Immerhin, während ich diesen Artikel schreibe, gefällt die Gruppe Iran-loves-Israel 11.170 Menschen, und Israel-loves-Iran sogar 43.717!

Zwar stellte jemand in der Gruppendiskussion fest, dass die Bewegung bis jetzt noch nicht von den Regierungen ernst genommen wird, aber wer weiß, wie lange sie noch wegschauen können.

Lustiger wurde es als ich mich mit 3 Iranern über meinen Tehranaufenthalt unterhielt. Wir stellten fest, dass wohl jedem Iranreisenden erstmal auffällt, wie schwierig es sein kann, Straßen zu überqueren. Ich merkte an, dass die 2. auffallende Sache sicherlich die frische Luft sei und eine Iranerin, die von ihrer Heimat aus chattete, ergänzte sarkastisch: “Ja, so frisch, dass man Nasenbluten bekommt!”

Toll, soviele Nationalitäten in Frieden vereint!

(Chatteilnehmer über den Chat)

Meine letzte Chatpartnerin kam aus Wien und ermöglichte mir so zu vorgerückter Stunde entspannt auf deutsch zu chatten. Sie war wie ich als Gast der Bewegung da, weil “man so eine gute Sache einfach unterstützen muss”. Nach Israel würde sie gern einmal für längere Zeit, aber der Iran sei ihr nichts wegen der Kopftücher, denn sie habe mal einen Brieffreund in Algerien besucht, wo viele Frauen weiße Tschadors trugen und gespenstisch aussahen.

Kann man ja auch verstehen, trotzdem kann ich jedem eine Iranreise ebenso sehr empfehlen wie unbedingt mal Israel zu besuchen. Anlässlich den aktuellen Geschehnissen werde ich in Zukunft immer mal von den beiden Reisen berichten und natürlich auch den versprochenen Artikel über die Iran-Israel-Liebesbeziehungen nachliefern.

Wer wieder einmal die Möglichkeit haben sollte, an so einem Chat teilzunehmen, sollte sie unbedingt wahrnehmen und die kulturelle Vielfalt in vollen Zügen genießen!