Seit Wochen nunmehr tobt Krieg – mal wieder – in Gaza. Wir werden überflutet mit Bildern, Berichten und Kommentaren, die das Handeln Israels und auch der Hamas zu rechtfertigen versuchen. Erschreckende Rhetorik überall, Nazi-Vergleiche, verhärtete Fronten, nicht nur in der betroffenen Region, sondern – absurderweise – auch überall sonst, in der digitalen und der echten Ersten Welt.
Ich poste auf der Facebook-Seite dieses Blogs regelmäßig Artikel und Einschätzungen, die ganz klar Pro-Gaza, Pro-Palästina argumentieren; Ich bemühe mich, Texte und Interviews auszuwählen, die sich mit Polemik zurück halten und vor allem durch inhaltliche Argumentationsstärke zu überzeugen suchen. Es gibt eine Menge Reporter, aus Deutschland und dem Rest der Welt, die sich da mit sehr guter Arbeit und differenzierter Berichterstattung ehrenwert schlagen. Die die Region und ihre Menschen lange kennen, dort über Jahre gelebt haben und die Situation lange beobachten.
Dass ich persönlich mich für Palästina engagiere, in meinem kleinen, sehr bescheidenen Rahmen, ist schlicht meinem sehr starken Gefühl für Gerechtigkeit und meinem großen Mitgefühl und der Liebe geschuldet, die ich für diese Region und ihre Menschen empfinde. Ich kann es einfach nicht haben, wenn Menschen fundamentalste Rechte aus purer Willkür entzogen und derart gewaltsam Machtverhältnisse installiert und immer wieder erneuert werden, wie Israel es seit Jahrzehnten in Palästina und vor allem in Gaza tut. Ich halte mich da auch keineswegs für uninformiert oder verblendet. Ich verfolge die politische und gesellschaftliche Entwicklung in diesem Teil der Welt schon sehr viele Jahre und halte mich da für relativ gut und umfassend informiert. Und selbstverständlich sind mir auch die historischen Zusammenhänge und die unendlich verzwickte Situation völlig klar.
Wie verfahren die Lage jedoch ist und wie unversöhnlich, spüre ich seit einigen Tagen tatsächlich innerhalb meines eigenen erweiterten Freundeskreises. Da engagieren sich Menschen, die ich als intelligent und differenziert denkend wahrnehme, dafür, die Brutalität Israels zu rechtfertigen. Es tauchen Artikel auf, die argumentieren, warum Israel nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, „sich zu wehren“. Es tauchen Artikel auf, die Pro-Palästina-Aktivisten als Nazis hinstellen. Artikel aus großen, seriösen Publikationen. Es wird von medialer Gehirnwäsche geredet. Die Bibel und der Holocaust sind (Verzeihung für die sehr unpassende Wortwahl) oftmals die Todschlagargumente.
Ich verfolge dann die Diskussionen, die sich in diesen Threads entspinnen und habe oft schon selbst die Finger auf den Tasten, um mich einzumischen; tue es dann aber doch nicht; Es scheint mir dann unendlich müßig, zu argumentieren, wo sich beide Seiten schon ihre Meinung gebildet haben. Man hat seine Seite gewählt, und wird einfach nicht davon abweichen. Zu emotional der Sachverhalt (oder vielleicht eher Emotionsverhalt), zu sehr in Zement gegossen die Haltungen (auch meine eigene, das will ich nicht bestreiten). Objektivität gibt es schon lange nicht mehr.
Mich macht das wahnsinnig wütend, dass ich mich plötzlich in der Situation finde, lang existierende Freundschaften zu überprüfen … Da weitet sich der Graben, der diese Region seit Jahrhunderten durchzieht, plötzlich auch bis in meine kleine, persönliche Welt aus. Weil sich einige Freunde als immer lautere Pro-Israel-Aktivisten engagieren und ich selbst den Impuls unterdrücken muss, selbst immer lauter zu werden. Und Lautstärke birgt auch immer die Gefahr von Unsachlichkeit. Denn sachliche Argumente, das sehen wir ja nun jeden Tag in den (sozialen) Medien – kommen ja bei keiner der beiden Seiten mehr an.
Radikalisierung im Kleinen. Das erschreckt mich wahnsinnig und verdeutlicht einmal mehr (ein 1000stes Mal mehr), dass es dort drüben, in Gaza, einfach keine schnelle Lösung geben wird. Denn wenn wir uns schon hier, in unserer kuscheligen Sicherheit, über Facebook streiten, wie sollen sich dann Menschen einigen, denen schlicht und ergreifend nichts mehr übrig bleibt und die täglich Angst haben müssen, ob sie noch ein Morgen erleben.
Ich denke dann an einen Satz, den vor Jahren mal jemand zu mir sagte, auch in einer solchen sehr emotionalen Diskussion: „It’s better not to care, Rasha.“ – Aber das kann ja auch nicht die Lösung sein …