„Es ist in der Tat viel leichter durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt, aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln. Die letztere ist die einzig materialistische und daher wissenschaftliche Methode.“
(Karl Marx)[1]
Der Islam und die Moderne – Foto: Katharina Wieland Müller / pixelio.de
Auf den ersten Blick verwunderlich: da veröffentlicht der subjektmarxistische Theoretiker, Ideologiekritiker des „subjektnihilistischen Impetus“ postmodernen Denkens und seit 2008 Mitinitiator der Kritischen Islamkonferenz, Hartmut Krauss (Jg. 1951), innerhalb von fünf Jahren nach der kritischen Bestandsaufnahme „Islam, Islamismus, muslimische Gegengesellschaft“ (2008) und „Feindbild Islamkritik“ (Hg. 2010) das drittes Buch über den Islam. Und sinnfällig ist es doch, weil der Autor als der alteuropäischen Aufklärung verpflichteter Religionskritiker Islam und Islamismus jeden Religionscharakter überhaupt abspricht. Die Kernthese des Buchs lautet: der (orthodoxe) Islam ist als vormoderne Ideologie und reaktionäre Herrschaftspraxis auf „totalitäre Gesellschaftsformierung“ und „autoritäre Subjektzurichtung“ orientiert. Aus dieser Sicht ergibt sich ein unaufhebbarer Grundwiderspruch zur „menschenrechtlichen Moderne“.
Das Islam-Buch ist als analytischer Leitfaden systematisch angelegt. Der Autor versucht eine „kritisch-wissenschaftliche Islamanalyse“ in den drei Hauptbereichen (1) Begriffs- und Gegenstandslogik, (2) „orthodoxer Islam“ als „Ausschließungsverhältnis“ zur „menschenrechtlichen Moderne“ und (3) „Islamisierung als Bedrohung der europäischen Moderne“. Vom Allgemeinen zum Besonderen kommend und immer konkreter werdend, geht es um Ideologie und Praxis des Islam als nichtreligiöse, menschenrechtsfremde „Weltanschauung“ und „fundamentale Negation der kulturellen Moderne“.
Das Buch bietet, „Exkurs“ zum „Kulturrelativismus“ und „Facit“ als „Schlußbetrachtung“ eingeschlossen, zwanzig zunächst kurze, später materialreich lange Kapitel. Kurzes „Glossar“ (was fehlt, z.B. „Unna“ als Ausdruck für Volk der oder „Gemeinschaft aller Muslime“, kann im „Kleinen Islam-Lexikon“, auch im Netz, nachgeschaut werden[2]) und knappes „Literaturverzeichnis“ profilieren den Gebrauchswert des Bandes, dessen Ausgangspunkt der Autor im Vorwort als Rückgriff auf überlieferte „anschlussfähige Wissenskomponenten“ offenlegt: es geht um den Islam als „Leitfaden einer religiösen Gunsterwerbungsideologie“ (Immanuel Kant 1794), als „koranisch-dualistische Feindbildkonstruktion“ (Karl Marx 1854) und als „Herren- und Kriegerreligion“ (Max Weber 1922). Und es geht auch und allgemeiner um gegenwärtig wirksamen gläubigen Irrationalismus als „Zerstörung der Vernunft“ (Georg Lukács 1954).[3]
In den ersten beiden Buchteilen fand ich zum einen das knappe Kapitel zum „Gegenstand“ einer „kritisch-wissenschaftlichen Islamanalyse“ mit verschiedenen „Vermittlungs- oder Transformationsebenen des islamisch codierten Herrschaftssystems“ wichtig; zum anderen die Kapitel des absolut wirkenden „Herrschaftsanspruchs“ als im „Djihad-Prinzip“ des Heiligen Krieges und seinen zahlreichen Formen angelegten zugespitzen Kampf gegen „Unislamisches“.
Butterbidifisch gibt es im dritten Buchteil und dort besonders im 40-seitigen Kapitel über die „Islamisierung als multidimensionales Eindringen islamischer Herrschaftskultur in das deutsche Gesellschaftssystem“, in dem, mit steigender Tendenz infolge gruppenbesonderen Kinderreichtums, derzeit etwa dreiundhalb Millionen Muslime, davon etwa zwei Drittel aus der Türkei eingewandert, leben. Krauss versteht unter „Islamisierung“ der ganzdeutschen Gegenwartsgesellschaft „die Instrumentalisierung des deutschen Rechtsstaates“ durch Islamisten „zum Zwecke der Einschränkung und schließlichen Überwindung der säkular-demokratischen Grundordnung“. Diesen demokratiefernen Prozeß sozialer Penetration und politischer Infiltration belegt Krauss beispielhaft mit Hinweisen auf „radikalislamische Kräfte“, ihre Akteure und Verbände im politischen und „grund- und menschenrechtsfreie islamische Sozialmilieus“ und deren „autoritär-patriarchalische Sozialisationsverhältnisse“, „Herausbildung eines islamisch normierten Subproletariats“ durch staatliche „Daueralimentierung“ etwa auf AlgII/HartzIV-Grundlage, Nutzung des „Bildungssystems“ und „Aufbau einer islamischen Paralleljustiz“ im sozialen Bereich. Angestrebt werde entsprechend des „totalitäten Charakters“ des Islam ein „postsäkularer Erfüllungsstaat“; wobei „ein zentraler Hebel des Islamisierungsprozesses“ in Deutschland „die Instrumentalisierung des demokratischen Rechtsstaates durch eben jene orthodoxen und radikalen Muslime, die ihn im Grunde als gotteswidrig verachten und ablehnen, gleichzeitig aber die von ihm gewährten Freiräume missbrauchen, um unter dem Deckmantel der ´Religionsfreiheit´ und unter Ausnutzung anderer Grundrechte eine menschenrechtswidrige religiöse Herrschaftskultur zu installieren und obendrein juristisch abzusichern.“
In diesem Zusammenhang polemisiert Krauss auch gegen den scheinliberalen „Kulturrelativismus“ und die ihn befördernden Institutionen in gesellschaftlichen Feldern wie Erziehung, Medien und Justiz (bis rauf zum Bundesverfassungsgericht).
Über bisher referiertes Allgemeines hinaus gibt Krauss weiterführende Hinweise: politisch auf der Maitagung der Islamkonferenz 2013 in Form eines Impulsreferats Wider den Rechtsextremismus innerhalb und außerhalb der islamischen Communities.[4] Und ökonomisch im drittletzten Buchkapitel Postmoderner Kapitalismus und interkulturelle Herrschaftsverflechtung. Hier geht es nicht mehr um allgemeinen spätkapitalistischen Irrationalismus und Obskurantismus. Sondern und in historisch-materialistischer Wendung einer von der CDU im Herbst 2000 öffentlich angestoßenen, aber schon bald politisch zurückgenommenen „Leitkultur“-Debatte (die ich 2005 kritisierte[5]) um postmodern-globalisierte Wirtschafts- und Herrschaftsstrukturen. In diese werden „angesichts der übersättigten westeuropäischen und Nordamerikanischen Märkte“ entsprechend den „Geschäftsinteressen westlicher Großkonzerne“ zunehmend „nichtwestliche Herrschaftskulturen“ sowohl als Handelspartner als auch „für strategische Allianzen“ einbezogen, etwa das ölausführende und waffeneinführende Saudi-Arabien. Umgekehrt legen islamische Herrschaftseliten Kapital als „sich selbst verwertender Wert, Wert, der Wert gebiert“ (Marx) in westlichen Ökonomien an, etwa das Emirat Abu Dhabi als Daimler-Großaktionär.
Einige der innergesellschaftliche Folgen dieser Globalprozesse nennt Krauss „nihilistisch gegenüber den Grundinhalten der eigenen, europäisch ´gewachsenen´, säkular-demokratischen Leitkultur“ und veranschaulicht als praktische Folgen: „den einheimischen Bevölkerungen“ werden „die sozialen Folgekosten dieser neuen globalen Herrschaftsstrategie in Gestalt von Zuwanderungsghettos, Parallelgesellschaften, Sozialdemontage, höheren Abgabelasten aufgebürdet“. Und wer, so Krauss weiter, „sich der neuen kapitalistischen Verbündungsstrategie mit nichtwestlich-despotischen Herrschaftsträgern […] widersetzt und den wachsenden Migrationsimport zusätzlicher reaktionärer Denk- und Verhaltensweisen kritisiert, wird als ´rassistisch´, ´fremdenfeindlich´, ´rechtslastig´, ´islamophob´ etc. gebrandmarkt.“
*„Der Grundfehler der deutschen Islam- und Integrationsdebatte besteht darin – und hier arbeiten Islamisten und antimuslimische Rechtspopulisten seltsamerweise Hand in Hand! –, dass die Individuen allzu oft auf religiöse oder ethnische Gruppenidentitäten reduziert werden, was die Emanzipation des Einzelnen behindert und die Entwicklung von Parallelgesellschaften fördert. Entgegen solcher Stereotypisierungen setzt die Kritische Islamkonferenz auf das Leitbild der „transkulturellen Gesellschaft“, in der jeder Einzelne die Chance erhält, sein Leben im Rahmen einer menschenrechtlich normierten Gesellschaftsordnung autonom zu gestalten, und in der kulturelle Vielfalt tatsächlich als Bereicherung, statt als Bedrohung, erlebt werden kann.“* (Abschlusserklärung der Kritischen Islamkonferenz 2013)[6]
eine Buchvorstellung von Richard Albrecht
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Quellen – weiterführende Links
Foto: Katharina Wieland Müller / pixelio.de
[1] Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Band I [1867]: IV/13; Marx-Engels-Werke Band 23. Berlin; Dietz, ²1967: 293, Anmerkung 59
[2] _http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/islam-lexikon/21714/umma_
[3] Weiterführend Hartmut Krauss, Das umstrittene Subjekt der „Post-Moderne“; in: Hermann Kopp; Werner Seppmann, Hg., Gescheiterte Moderne ? Zur Ideologiekritik des Postmodernismus. Essen: Neue Impuse, 2002: 93-121; vgl. _http://www.neue-impulse-verlag.de/downloads/category/8-kostenloser-download.html_; zuletzt ders., Telepolis-Interview 7.4.2012: _http://www.heise.de/tp/artikel/36/36619/1.html_; vgl. _http://www.duckhome.de/tb/archives/10069-DIE-EROSION-DER-BUERGERLICHEN-GESELLSCHAFT.html_
[4]_http://www.hintergrund-verlag.de/texte-islam-krauss-wider-den-rechtsextremismus-innerhalb-und-ausserhalb-der-islamischen-communities.html#_ftn1_
[5] _http://www.grin.com/en/e-book/39890/ppf-past-present-future-aspects-of-an-integrative-concept-for-social_
[6] _http://kritische-islamkonferenz.de/selbstbestimmung-statt-gruppenzwang/_
*Hartmut Krauss, Der Islam als grund- und menschenrechtswidrige Weltanschauung. Ein analytischer Leitfaden. Osnabrück: Hintergrund, 2013, 232 p., ISBN 978-3-00-040794-9, 14 €*
Richard Albrecht ist “gelernter” Journalist, Sozialwissenschaftler, seit 1989 Privatdozent 1989 als unabhängiger Wissenschaftsjournalist, Editor und Autor in Bad Münstereifel. 2011 erschien als bisher letzte Buchveröffentlichung HELDENTOD. Kurze Texte aus Langen Jahren. Bio-Bibliographie -> http://wissenschaftsakademie.net e-Postadresse -> eingreifendes.denken@gmx.net