Islamismus - 2. Teil

Islamismus - 2. Teil

Muhammad Badi'e, aktueller Vorsitzender der ägyptischen Muslimbruderschaft.
Wie oft bei islamistischen Führern, ein religiöser Laie, also ein ausgebildeter Tierarzt,
kein ausgebildeter Theologe oder religiöser Rechtsgelehrter.


Hier nun der zweite Teil meiner Islamismus-Artikelserie die ich kürzlich begann, mit interessanten Artikeln und Zitaten, die hoffentlich ein besseres Verständnis dessen vermitteln, was momentan z.B. Nordafrika unter anderem beschäftigt:
Islam, Menschenrechte und Demokratie:
Anmerkungen zu einem schwierigen Verhältnis

In jüngster Zeit hat sich die Debatte um die Chancen einer Demokratisierung muslimischer Gesellschaften neu belebt. Dies betrifft Algerien, Saudi-Arabien oder den Irak ebenso wie Iran, Afghanistan oder Indonesien. Auch in der islamischen Welt wird der Ruf nach „guter Regierungsführung“, Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte lauter, und zwar selbst in islamistischen Kreisen, die vor allem für ihre Ablehnung alles Fremden, „Un-Authentischen“ bekannt sind.
Wie aber stellen sich Islamisten eine den modernen Lebensverhältnissen adäquate „islamische Ordnung“ vor? Lassen sich in ihr Elemente einer freiheitlich-demokratischen Verfassung ausmachen, selbst wenn der Begriff der Demokratie nicht fällt, vielleicht sogar als „unislamisch“ abgelehnt wird?
Islam und Islamismus
Eine der vielen Schwierigkeiten im Umgang mit dem Islam und der islamischen Welt besteht darin, dass unterschiedliche Wertvorstellungen, Verhaltensweisen, gesellschaftliche Strukturen und politische Aktionen von Muslimen selbst häufig als „islamisch“ oder als Ausdruck „des Islam“ (des „wahren“, gelegentlich auch des „falschen“ Islam) bezeichnet werden, so dass auch bei unvoreingenommenen Betrachtern der Eindruck entsteht, „der Islam“ sei Ursache und Zweck aller möglichen Erscheinungen vom engen Zusammenhalt der Familie bis zur Unterdrückung der Frau und von der Verehrung politischer Führer bis zur Kritik am Westen. Da kann es nicht verwundern, wenn immer wieder gefragt wird, ob nicht im Islam der Grund für gesellschaftliche Missstände, autoritäre Strukturen und all die Formen von Gewalt zu suchen ist, die über die Medien eine internationale Öffentlichkeit erreichen: Gewalt gegen Ungläubige, Gewalt gegen Minderheiten, Gewalt gegen Frauen. Damit aber ist genau die Art der essentialistischen Betrachtung erreicht, mit der Orientalismus-Kritiker seit Edward Said so hart ins Gericht gegangen sind.
Darüber, was Islam bedeutet, und ob es überhaupt legitim und sinnvoll ist, gesellschaftliche und kulturelle Erscheinungen in muslimischen Gesellschaften mit „dem Islam“ zu erklären, wird in der Wissenschaft heftig gestritten. Tatsächlich tut man gut daran, zwischen mehreren Dimensionen islamischen Denkens und muslimischen Handelns zu unterscheiden, die im konkreten Fall ganz unterschiedlich miteinander verbunden sein können: dem Islam als historisch eingebetteter, da von Menschen (und zwar ganz überwiegend Männern) erarbeiteter normativer Tradition, die auf einem Corpus heiliger Texte aufbaut; der orts-, zeit- und milieuabhängigen Praxis von Musliminnen und Muslimen in Geschichte und Gegenwart, die keineswegs durchgängig durch die normative, in Texten festgelegten Tradition bestimmt sein muss; und schließlich den ebenso vielfältigen Vorstellungen, die sich Musliminnen und Muslime von einem „rechten“ islamischen Leben machen, die von der normativen Tradition und der eigenen Lebenspraxis geleitet sein können, nicht selten aber auch von ihnen abweichen. Islam ist ganz offensichtlich nicht gleich Islam, und das gilt für die Lehre ebenso wie für die Praxis. Und wie immer er gelebt und verstanden wird – das soll an dieser Stelle gleich gesagt werden – kann der Islam allein die bestehenden Verhältnisse in den verschiedenen muslimischen Gesellschaften nicht erklären; er stellt bestenfalls ein Bestimmungsmoment unter mehreren dar.
Im vorliegenden Fall, wo es um das Verhältnis von Islam, Menschenrechten und Demokratie geht, ist zunächst die normative Tradition angesprochen, die im Wesentlichen durch zwei Texte begründet wird:
den Koran als nach muslimischem Verständnis direkter göttlicher Rede („Offenbarung“) und die Sunna als von der göttlichen Offenbarung inspirierte prophetische Rede und Praxis („Prophetentradition“). Beide gelten sie Muslimen als heilig und daher weitgehend unantastbar: Über den Status des Koran als Gotteswort öffentlich zu diskutieren, ihn gar nach dem Muster der historischen Bibelkritik als literarischen Text zu analysieren, ist in weiten Teilen der islamischen Welt derzeit so gut wie unmöglich.
Weniger tabubeladen, wenn auch nicht ganz gefahrenfrei, ist der Umgang mit der Sunna als der Sammlung derjenigen Aussagen und Handlungen des Propheten Muhammad, die für spätere Generationen verbindlich, in Teilen sogar rechtsverbindlich sind. Anders als der Koran liegt die Prophetentradition nicht in Gestalt eines einzelnen Buches vor, sondern in mehreren Sammlungen, die zahlreiche als verlässlich geltende Einzelberichte (Hadithe) vom Reden und Handeln des Propheten umfassen, die von islamischen Gelehrten des 8. und 9. Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung zusammengestellt wurden.
Der Koran ist hinsichtlich seiner Sprache, Komposition und Struktur sehr anspruchsvoll und daher in jedem Punkt auslegungsbedürftig, selbst dort, wo seine Aussagen auf den ersten Blick klar und eindeutig erscheinen mögen. Das gilt für dogmatische ebenso wie für rechtsrelevante Fragen. Islamischen Gelehrten war und ist dies im Allgemeinen bekannt; von Islamisten hingegen wird es gerne übersehen – wenn nicht überhaupt einfach abgestritten. ...

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