Islamische Philosophie - 4. Teil

Islamische Philosophie - 4. Teil

Ibn Sina nach einer Handschrift
von 1271


Heute möchte ich einige der bedeutenden oder wirkmächtigen Vertreter der islamischen Philosophie kurz vorstellen, sowie zwei Antworten von Gelehrten auf die Philosophie oder die Erfahrungen ihrer Zeit.
Aus:
Adel Theodor Khoury, Ludwig Hagemann und Peter Heine: Islam-Lexikon. Geschichte - Idee - Gestalten. Freiburg, Basel, Wien, Band 1-3, 1991.
Ibn Ruschd - (lat.) Averroes
Der berühmteste mittelalterliche Kommentator des Aristoteles, Naturwissenschaftler, Philosoph und Theologe, Ibn Rushd (lat.: Averroes), wurde 1126 in Cordoba geboren und starb 1198 in Marrakesch. Aus einer andalusischen Juristenfamilie stammend erhielt er zunächst eine Ausbildung im islamischen Recht malikitischer Prägung, studierte jedoch auch Medizin. Schon früh wurde ferner sein Interesse für die Philosophie deutlich. Seit 1153 lebte er in Marrakesch, wo er sich zunächst mit Astronomie befaßte. In diesem Zusammenhang kam er wohl zum ersten Mal intensiver mit den Werken des Aristoteles in Berührung. Der Almohadenherrscher Abu Ya'qub Yusuf I. (1163-1184) war es, der den jungen Mann alsbald förderte, indem er ihn zum Qadi und Ober-Qadi in verschiedenen Städten des Almohadenreiches berief, ihn aber zeitweise auch zu seinem Leibarzt machte. Auch unter dem Nachfolger von Abu Ya'qub, Ya'qub al-Mansur (1184-1199), fand er noch eine Zeitlang herrscherliches Wohlwollen. Seine letzten Lebensjahre waren jedoch durch eine Reihe von Verfolgungen verdüstert. Vor allem aus politischen Gründen verlor er die Unterstützung des Herrschers. Seine Lehren wurden für nicht mit dem Islam in Übereinstimmung erklärt und seine Bücher verbrannt. Allerdings erlebte er noch kurz vor seinem Tode seine formelle Rehabilitierung.
Die kaum abschätzbare Bedeutung, die der lateinische Averroes für die Entwicklung der mittelalterlichen europäischen Scholastik hatte, kontrastiert zum Einfluß des arabischen Ibn Rushd auf die islamische Geisteswelt. Hier liegt wohl auch die Ursache dafür, daß die Mehrzahl seiner Werke in lateinischer, zum Teil auch in hebräischer Sprache und nicht in arabischer Sprache, überliefert worden sind. Von grundsätzlicher Bedeutung für die Mehrzahl seiner Arbeiten ist die Tatsache, daß er sich den Werken des Aristoteles nicht über Kommentare und Rezeptionen näherte, sondern direkt auf die Texte selbst zuging. Die problematische Position der Philosophie in der islamischen Geisteswelt hat dazu geführt, daß von manchen westlichen Gelehrten die Meinung vertreten worden ist, daß Ibn Rushd in seinen Aristoteles-Kommentaren unter dem Deckmantel der Wiedergabe aristotelischer Gedanken seine eigenen Vorstellungen zum Ausdruck gebracht habe. Eines seiner zentralen Themen war die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Glauben. Immer wieder versuchte er, mit Hilfe von Koran-Zitaten und anderen Belegen aus den autoritativen Texten des Islams die prinzipielle Übereinstimmung dieser beiden Begriffe im Hinblick auf die Wahrheit zu beweisen. Für ihn besteht kein Gegensatz zwischen der Wahrheit des Glaubens und der der Wissenschaft, auch wenn dies auf den ersten Blick so scheinen mag. Ibn Rushd hat sich mit der Kritik, die von islamischen Rechtsgelehrten an der Philosophie geübt wurde, scharf auseinandergesetzt, ist mit seinen Argumenten jedoch nicht durchgedrungen. Daher ist seine Wirkungsgeschichte im Gegensatz zum Abendland in der islamischen Welt nur sehr gering.
Literatur:
  • R. ARNALDEZ, La pensée religieuse d'Averrroes. 1-3, in: Studia Islamica 8 (1957)-10 (1959)
  • ANKE VON KÜGELGEN, Averroes und die arabische Moderne, Leiden 1994
  • F. E. PETERS, Aristoteles Arabus, Leiden 1968
  • S. M. STERN / A. HOURANI (EDS.), Islamic Philosophy and Classical Tradition, London 1972
  • R. WALZER, Greek into Arabic, Oxford 1962.

Autor: P. Heine

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