Muslime im Singular scheint es nicht mehr zu geben. Sie sind als Individuen unsichtbar, als Leute, denen ihre Mitgliedschaft im lokalen Fußballverein oder ihre Arbeit als Krankenpfleger wichtiger sein könnte als ihre Herkunft aus Bosnien oder Afghanistan. Muslime gibt es gegenwärtig selten als Lehrer oder Schlosser, als Liebhaber von Neil Young oder Munir Bashir, Muslime gibt es selten als gläubig und schwul, als Atheisten oder Opelaner – nicht weil es sie nicht gäbe, sondern weil sie so nicht mehr wahrgenommen werden.
Jeder einzelne Muslim wird verantwortlich gemacht für Suren, an die er nicht glaubt, für orthodoxe Dogmatiker, die er nicht kennt, für gewalttätige Terroristen, die er ablehnt, oder für brutale Regime in Ländern, aus denen er selbst geflohen ist. Muslime müssen sich distanzieren von Ahmadineschad in Iran, den Taliban in Afghanistan, von Selbstmordattentätern und Ehrenmördern, und diese Distanzierung glaubt ihnen doch keiner, weil alles gleichgesetzt wird: Islam und Islamismus, Glaube und Wahn, Religiosität und Intoleranz, Individuum und Kollektiv. Zum Vergleich: Es wird gegenwärtig eine Debatte über sexuellen Missbrauch in katholischen Schulen geführt, es wird auch nach den Strukturen gefragt, die den Missbrauch ermöglicht haben. Aber man erwartet nicht von beliebigen Gläubigen, dass sie sich von solchen Taten distanzieren, und niemand würde den bekennenden Katholiken Harald Schmidt auffordern, die Praktiken ihm fremder Jesuitenpatres zu verdammen.