Isch geh Schulhof

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awesomatik auf Buchfühlung
Isch geh Schulhof- Philip Möller

Es gibt im Netz einige Blogs, die sich dem täglichen Schulwahnsinn widmen. Deswegen habe ich beschlossen auf awesomatik anderen Themen den Vorrang zu geben obwohl auch ich (mindestens) ein Buch dazu schreiben könnte. 
In meinem analogen Leben arbeite ich nämlich an einer  Brennpunktschule in Neukölln.  Vallah, isch schwöre!

Wer in soliden Verhältnissen aufgewachsen ist oder lange keine Schule mehr von Innen gesehen hat, kann sich nicht ausmalen wie desolat die Lage in so einem Einzugsgebiet wirklich ist.
Brennpunkt bedeutet an meiner Schule, dass über 95% der Schüler einen Migrationshintergrund haben (hauptsächlich Türkisch, Arabisch, Rumänisch, Albanisch). Dass ein Großteil der Schüler aus bildungsfernen Haushalten kommt. Dass so gut wie alle Schüler in der 6. Klasse immer noch weder deutsch noch die Sprache ihrer Eltern beherrschen. Dass sie deswegen Probleme haben, Konflikte mit Worten zu lösen und so im Zweifelsfall lieber die Fäuste sprechen lassen.
Dass die Kinder oft verwahrlost zur Schule kommen, sich in der Regel nicht länger als zwei Minuten am Stück konzentrieren können, häufig tagsüber ihre jüngeren Geschwister babysitten müssen, oft Erfahrungen mit häuslicher Gewalt gemacht haben, über- oder unterernährt sind und koordinative Defizite aufweisen.
Dass die meisten Kids aus Großfamilien kommen und darum das ADS-Syndrom schon fast die Regel ist. Dass im Schulgebäude die Farbe von den Wänden kommt und die Toiletten und Umkleiden nach Pisse stinken.

Willkommen in Deutschland, einer der fortschrittlichsten Industrienationen der Welt.

Die ganzen Probleme soll nun also die Schule auffangen. Dass das Unmöglich ist, kann man sehr anschaulich in Isch geh Schulhof nachlesen.

Schonungslos berichtet Philip Möller von Lehrern, die eigentlich Sozialarbeit verrichten müssen, von Gefühlen der Machtlosigkeit im Unterricht, von frustrierten Kollegen und Reformdruck von Oben…

Damit man sich bei soviel Bildungsmisere nicht die Kugel gibt, lockert er seinen Bericht mit Anekdoten aus dem Schulalltag auf.
Dabei gelingt es ihm außerordentlich gut, den O-Ton seiner Schüler einzufangen. Wie an meiner Schule auch, verzichten die Kinder hier meist komplett auf Artikel, setzen Fälle und Präpositionen falsch ein und untermalen ihre Sätze mit Worten wie: “Lak, Cüüs, Ohaaa, Abbo, vallah, mies, schwörma, schuu, yalla, Dings” .

Klassiker, die ich z.B.  immer wieder höre sind:
Schuuh, wie geht’s.
Isch geh Türkei.
Isch hab sie ja gesagt.
Dings, du weißt doch.
Ohaa Ronaldo, er spielt todesmies, vallah (mies bedeutet hier gut).
Lak, lass ma jetzt!
Schwör mal auf dein Land? Kann ich nicht, ich bin Kurde

Wenn man den ganzen Horror um die Rahmenbedingungen mal ausklammert, kann man aber auch sehr lustige und berührende Momente in der Schule erleben.

Wie Möller mag auch ich alle meine Schüler. Auch wenn es manchmal schwer fällt und sie häufig ausrasten (von anspucken bis zur schlimmsten Beleidigung ist alles dabei). Ich weiß, dass alle ein schweres Kreuz zu tragen haben und dass sich hinter der rauen Fassade meist nur Kinder verstecken, die nach Liebe und Anerkennung suchen.

Und deswegen ist es umso trauriger, dass solche Brennpunktschulen überhaupt existieren dürfen.
Wohin sollen sich die Kinder integrieren, wenn es so gut wie keine Schüler ohne Migrationshintergrund an der Schule gibt? Wie sollen sie sich für unsere Gesellschaft verantwortlich fühlen, wenn sich die Politik einen Dreck um sie schert?
Wie sollen Lehrer, Erzieher und Schulsozialarbeiter unter solchen Bedingungen arbeiten?
Unser Turbokapitalismus reißt die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander. Das Resultat sind Parallelwelten für die diese Kinder (aber auch die Lehrer) den Preis zahlen müssen.

Isch geh Schulhof ist eine Kampfschrift für mehr Solidarität und Gerechtigkeit. Ein empörter Aufschrei in Richtung Politik (aber auch Eltern und Lehrer).  
Da kann man über kleinere stilistische Mängel hinwegsehen. Der Schreibstil ist nicht überragend. Einige Verweise auf Studien sind etwas umständlich eingebaut, das Privatleben von Möller ist nur bedingt interessant und gelegentlich setzt er sich als Superlehrer in Szene. 

Doch alles was er beschreibt, habe ich genauso auch an meiner Schule erlebt. Somit kann man davon ausgehen, dass diese Situationen auf sämtliche Brennpunktschulen zutreffen. 

Fazit – Lustig, wenn es nicht so traurig wäre

Isch geh Schulhof ist eine schonungslose Abrechnung mit der  deutschen Schulpolitik und sollte  zur Pflichtlektüre für jeden Politiker werden. Frei von rechtspopulistischen Parolen und abgehobener Uni-Rhetorik liefert Möller den schockierenden Einblick in eine Brennpunktschule und scheut dabei nicht davor zurück, heikle Themen anzusprechen. Trotz dümmlichen Titels und Covers ein extrem wichtiges Buch. Ein Spiegelbestseller, den auch ich so hätte schreiben können (Nur dummerweise nicht gemacht habe. So ein Mist!). 

Wertung 3,5/5

1. Geht gar nicht   2. Is OK     3. Gut   4. Richtig gut     5. awesomatik!

awesomatik Kuriosum
So krass sich das alles anhört, ich liebe meinen Job und die Arbeit mit den Kids (aber wahrscheinlich auch nur, weil ich nicht jeden Tag in der Schule arbeite, sonst wäre das Burnout schon vorprogrammiert)

Hier noch eine Anekdote aus meinem Fußballtraining. Justin (5. Klasse) steht im Tor und hält einen scharf geschossenen Ball.
“Ab jetzt bist du für mich die Berliner Mauer”, beglückwünsche ich ihn. Darauf sagt er ” Was, die Berliner Mauer ieh?”, “Die Berliner Mauer wurde gefallen. Ich bin die Chinesische Mauer!”…
Die Deutschkenntnisse lassen also noch zu wünschen übrig aber die Schlagfertigkeit ist durchaus vorhanden!

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Isch geh Schulhof: Unerhörtes aus dem Alltag eines Grundschullehrers



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