Im Interview die Hamburger Band Theo Luft. Live sind Theo Luft kommenden Donnerstag, 4.10.2012, im Kometen, St. Pauli, zu hören und zu sehen.
„Wir sind Unisex
wie die 110 im Teletext,
wir testen den Reflex,
relax… und haltet die Fenster blickdicht.“
Ihr seid stur verstellt, heißt es in dem Song. Wie hat man euch verstellt, dass ihr 2011 begonnen habt, gemeinsam Musik zu machen?
Theo Luft kristallisiert
Eigentlich fing es schon 2009 an. Mein Musikerfreund Gustav Jäger (Diego, Dangerous Person?) meinte, ich solle unbedingt ein Paar Songs bei ihm einsingen, nachdem er mich zufällig erwischt hatte, wie ich nach einem meiner DJ-Sets im Alkoholrausch Lieder von Rainald Grebe intonierte – damals noch in Karlsruhe. Er gab mir einige seiner unfertigen und rein instrumentalen Songs, die ich mit Text und Gesang vervollständigte. Gustav hatte da viel Vertrauen. Und Gustav war davon sehr angetan, was mich ermutigte, weiterzumachen und eigene Songs zu schreiben. Zwei Jahre später erst, nachdem ich bereits nach Hamburg gezogen war, ist mein Arbeitskollege und jetziger Theo Luft-Bassist Siggi auf einige der in der Zwischenzeit entstandenen Demo-Versionen aufmerksam geworden. Glücklicherweise hatte er eine Band im Schlepptau, die sich dafür begeistern konnte, die Songs zu proben.
Ihr seid also eine professionelle Band?
Musikalisch schon (lacht). Aber da alle Theo Luft-Bandmitglieder bis auf unseren Gitarristen (Student) zur arbeitenden Bevölkerung gehören, sind wir gezwungen, die Wünsche unserer Geldgeber zu erfüllen – mindestens 40 Stunden die Woche. Mit der Musik erfüllen wir nur unsere eigenen Wünsche. Befreit von kapitalen Zwängen frönen wir unserem Egoismus. Verstellt hat uns eher die Arbeitswelt. Für ein sicheres Einkommen haben wir unsere Rock’n‘Roll-Träume vernachlässigt. Das versuchen wir nun nachzuholen.
Wie darf man sich den Nicht-Instrumentalisten Theo Luft beim Komponieren vorstellen? Kriegt er mit Pfeifen die Melodie raus aus dem Kopf wie auf „Luxus der Langeweile“? Der Mund also die ultimative App?
Es gibt ein Wunderprogramm, das sich “Garageband” nennt, wo selbst die instrumental nfähigsten ihre musikalischen Machwerke skizzieren können. Ich erstelle erst den Rhythmus, dann spiele ich über ein Midi-Keyboard weitere Spuren ein wie Bassläufe und Synthies – natürlich nicht zeitnah, was heißt, dass ich die Töne nachträglich an den Beat anpasse – und als letztes singe ich über das integrierte Mikrofon meines iMacs die Texte ein. Fertig ist die erste Demoversion bzw. der erste Eindruck. Instrumentalisten schütteln den Kopf, der Rest hoffentlich irgendwann einmal die Hüfte.
„Es gibt kein Ich, nur ein Wir! Das gehört euch nicht, nur mir.“
Heißt es auf „Unisex“. Wie entstehen Songs bei Theo Luft?
Gut, dass du die Frage hinterher wirfst. Es soll nicht der Eindruck entstehen, ich wäre alleiniger Komponist oder Kreativ-Diktatorrrr. Seit Theo Luft eine Band sind, werden auch Ideen hin- und hergeschoben. Mal mache ich den Anfang und überlasse z.B. die Gitarrenmelodien dem Gitarristen, mal erhalte ich eine Gitarrenmelodie oder einen Basslauf und entwickle diese out of Proberaum am Rechner weiter. Doch bevor der Computer ins Spiel kommt, macht bei mir der Kopf den Anfang. Bevor da keine musikalischen oder textlichen Ideen das sozusagen “leere Haus” besetzen, die mich überzeugen, brauch ich mich nicht ans Werk zu machen. Ich bin halt nicht in der Lage, durch Probieren am Instrument Ideen zu suchen bzw. zu finden. Die Texte werden übrigens erst, nachdem die Musik fertig ist, geschrieben bzw. komplettiert.
Eure Texte durchkreuzen das gewohnte Denken, sie brechen Schemata auf, wie gute Lyrik das tun kann. Ihr singt:
„Wir sind auch nachts wach wie Lemuren,
seht her, hier kreuzen sich die Spuren,
Klammer zu, oh, Klammer auf…“
Aus den Augen der Lemuren direkt hinein in die der Angesprochenen, deren Blick wiederum auf ihre eigene Nachfolgerschaft gelenkt wird. Ping Pong der Köpfe. Wie kommt ihr auf solche grandiosen Zeilen, wie lange sitzt ihr an solch einem Text, wie findet ihr diese Bilder?
Danke für das in der Frage integrierte Lob. In vielen Fällen erscheinen zugegebenermaßen zuerst solche Zeilen im Kopf, die zu diesem Zeitpunkt noch keine ganze Geschichte oder einen wirklichen Sinn ergeben – einfach die Macht und der Klang aneinander gereihter Wörter. Wird ein Thema gefunden, in dem die Zeilen eingebettet werden können und das erwähnenswert erscheint, geht es textlich weiter. Manchmal existiert auch zuerst ein interessant erscheinender und zur Musik passender Inhalt, der noch die richtigen Worte benötigt. Die Suche nach den optimalen Zeilen, sozusagen nach den möglichst klangvollen Wörtern, ist meistens allerdings eine recht zähe. Deshalb bin ich auch dankbar für jeden Hörer, der die Texte zu schätzen weiß.
Welche Bücher liest die Band Theo Luft?
Hier kann ich momentan nur für mich sprechen: Ich lese in letzter Zeit sehr selten Bücher. Vielleicht würde mir das Texten mit literarischer Inspiration leichter fallen. Das letzte Buch, das ich bis zum Ende gelesen habe, war 1984. Das ist ungefähr sechs Monate her. Es gibt momentan auch viel zu viel tolle amerikanische Serien, die mir Lesezeit stehlen und in ihrer Komplexität und Handlungsfülle auch den dicksten Wälzern in nichts nachstehen. In Buchform erreichen mich eher Graphic Novels. Da ich Grafiker bin, liebe ich natürlich Bilder, die in diesem Genre sogar zu oft mutigen und außergewöhnlichen Geschichten zusammengefügt werden. Man lese “Black Hole” von Charles Burns oder „Watchmen“ von Alan Moore – wie so ziemlich alles, das Alan Moore bisher geschrieben hat!
„Wir suchen nach dem Zweck.
Die Steine bleiben und wir sterben,
werft sie ganz weit weg!“
Direkt im Anschluss schlürft ihr Cocktails, dann Panik ab in die Bunker! Eine verspielte Synthie-Line. Bricht bei Theo Luft die Ironie den Ernst auf, oder haltet ihr euch mit dem Ernst die Ironie vom Leib?
Eine so schöne und präzise Frage benötigt nur eine kurze Antwort: beides.
Beschreibt euer ideales Publikum? Wie sähe das aus? Schafe im Jack Wolfskin-Pelz?
Wir mögen alle, die uns mögen.
Sehr salomonisch.
Luft live am 4.10. auf St. Pauli
Zumindest für die Dauer unserer Konzerte. Urbanes Outfit kann von Vorteil sein. Mitbringen sollte man Lust auf bzw. Toleranz für deutsch Gesungenes. Ich schreibe “Toleranz”, da mir nicht selten das Hören mancher deutschsprachiger Bands einige Fremdscham-Momente bereitet. Peinliche Texte erscheinen in der Muttersprache des Hörers verfasst noch viel peinlicher. Ob nun ausgerechnet wir gegen Peinlichkeit immun sind, das sollen andere beurteilen. Ironie ist wie in der vorherigen Frage schon erwähnt unser Kondom. Doch ob wir die richtige Größe gekauft haben?
Bands werden gerne in eine Ecke gestellt, in einer Schublade verwahrt, weil man es sich dann einfacher tut, das erspart Denken. Was antwortet ihr denen, die euch den Hubert Kah-Aufkleber auf die Stirn pappen möchten?
Tatsächlich wurden wir schon mit Hubert Kah verglichen, was beweist, das wir doch nicht gegen Peinlichkeit immun sind. Also entgegnen wir meist mit geschauspielertem Selbstbewusstsein: „Danke für das Kompliment, den Typen finden wir echt geil. Ist der nicht neulich bei den Fehlfarben ausgestiegen?”
Ein Teil eurer Einflüsse, zeigt gerade “Unisex”, ist doch eher in den Nullerjahren zu verorten. „This Boy is Tocotronic“ und die „Foals“ werden in „Unisex“ genussvoll zitiert, der greise Gary Numan tanzt munter durch F.U.T.U.R.E. Wen würdet ihr gerne einmal live sehen und hören? Eure musikalischen Einflüsse?
Das sind doch mal musikalisch wie textlich schöne Vergleiche. Einer der Auslöser, eine Band zu gründen, war die letzte und bisher einzige Platte von Late of the Pier, weil dort so schön unbekümmert, verspielt, scheinbar chaotisch, komplex und gleichzeitig melodiös zwingend musiziert wird – teilweise haarscharf an der Grenze zum Trash. Wir mussten allerdings einsehen, dass wir mangels Talent solche Musik in vergleichbarer Qualität nicht umsetzen können. Momentan orientieren wir uns an leicht zu zitierenden Stümpern wie Hubert Kah. Gary Human würde ich persönlich gerne mal live sehen.
Wo spielt ihr in nächster Zeit selbst live?
Am 4. Oktober spielen wir im Kometen – auch in Hamburg. Wir bemühen uns stetig um Termine, was organisatorisch als Mitglied der arbeitenden Bevölkerung und als noch recht unbekannte Band gar nicht so einfach ist.
Wann erscheint der erste Longplayer? Hervorragendes Material für eine EP habt ihr mit den bisherigen Songs locker zusammen.
Die besagte EP ist tatsächlich am Entstehen. Material für ein Album existiert, allerdings benötigen wir in dieser Hinsicht professionelle und krisensichere Unterstützung.
„Macht mir die Wünsche, sprach die Fee“,
heißt es auf F.u.t.u.r.e. Wie sehen eure Wünsche aus?
Wir würden gerne ein Debütalbum aufnehmen und einen angenehmen Bekanntheitsgrad erreichen. Viele Konzerte möchten wir natürlich auch spielen. Wir wollen auf After Show-Parties nette Jungs kennen lernen, deren attraktive Freundinnen unsere Musik toll und uns unheimlich anziehend finden. Nach ausreichender Verweildauer im Zentrum der Eifersucht möchten wir natürlich die einzig wahre große Liebe finden und vor lauter Glück die scheußlichsten Songs unserer Band-Historie schreiben.
Was tun Theo Luft nachts? Wach wie ein Lemur …
Unter der Woche schlafen oder nicht einschlafen können, am Wochenende sich wünschen, etwas weniger getrunken bzw. etwas weniger vorher gegessen zu haben.
Vielen Dank, Theo. Bis bald!
http://soundcloud.com/theoluft
Bruten Butterwek