Irgendwas hat sich verändert.

Von Berit Andersen

Nicht nur, dass ich, die ich quasi in der zweiten Hälfte meines Lebens angekommen bin, viel unverschämter geworden bin, nein! Nicht mal mein Herzschlag beschleunigt sich beim Unverschämtsein.

Zum Beispiel beim Telefonat mit der Pädaudiologie. Die haben jeden morgen Telefonzeit, von 9 bis 11 Uhr.

Auf der Homepage gibt es zwei Telefonnummern: Die für Privatversicherte, die kommen zu Prof. Dr. Hörnix. Und eine für solche Leute wie wir, die kriegen die Nummer, die darunter steht. Hinter der normalen Nummer steht noch einmal der Hinweis auf die Nummer für Privatversicherte, für die, die nicht nur nicht gut hören können.

Mara lässt es läuten. Bei der normalen Nummer. Nach hundertmal Klingeln macht es Klick. Das Telefon gibt auf.

Ich läute wieder.

Nach dem 98. Mal nimmt jemand ab:

“Pädaudiologieuniklinikgleichumdieeckefraubrinkmannamapparatmoment” *Lufthol*

“wartensiebitteichhabehiergeradeeinenpatienten.”

Ich werde zur Seite gelegt.

Drei Minuten später klebe ich wieder am Ohr der schnellsprechenden Dame.

“Mein Name ist Solanum”, ich spreche lieber langsam, das habe ich im Erste-Hilfe-Kurs gelernt, ”ich habe Zwillinge, vier Jahre alt, die beide Late Talker sind. Unsere Logopädin hat mir geraten, noch einmal in der Uniklinik das Gehör checken zu lassen.”

“Haben Sie eine Überweisung vom HNO-Arzt, wo ‘Verdacht auf Hörschädigung’ draufsteht?”

“Nein, die Logopädin …”

“Das ist was anderes, haben die beiden eine Sprachentwicklungsverzögerung.”

“Ja”, wiederhole ich brav. Unser Kinderarzt, die Ohrenärztin und die Logopädin verwenden “Late Talker” und “sprachentwicklungsverzögert” quasi synonym.

“Dann brauchen Sie einen Termin bei Dr. Hörwas, in diesem Fall rufen Sie am 3. Februar noch einmal an, zwischen 9 und 11 Uhr, dann bekommen Sie einen Termin.”

“Warum können Sie mir nicht jetzt einen Termin geben?” erkundige ich mich. Das ist ja wie Exkursionsvergabe bei den Biologiestudentinnen im Grundstudium.

“Immer am ersten Montag im Monat werden die Termine für die nächsten drei Monate vergeben.”

“Warum das denn?”

“Das machen wir hier so. Wenn ich Ihnen jetzt einen Termin geben soll, kommen Sie erst in 5 Jahren dran.”

Irgendwie erschließt sich mir die Logik nicht: “Also, ich fasse zusammen: Ich rufe am nächsten Montag wieder an wie tausend andere auch und hoffe, dass ich durchkomme???”

“Jeden ersten Montag im Monat können Sie anrufen.”

“Wer hat sich denn dieses bescheuerte Verfahren ausgedacht? erkundige ich mich.

Es wird kühl am anderen Ende: “Wenn Ihnen das zu bescheuert ist, können Sie ja auch woanders hingehen.”

“Ich finde ja nicht bescheuert, was Sie tun, aber den Terminvergabemodus.”

“Sie können ja auch vorbeikommen. Das machen ganz viele, um sicherzugehen. Das dauert nur fünf Minuten.”

“Und ich habe eine Stunde Anfahrt”, ich kriege schlechte Laune, “und brauche eine Stunde wieder zurück.”

Ich schiele auf den Kalender. Am Montag bin ich im Gespräch mit der Mondgruppe, Halbjahresgespräch. Ob ich da parallel in der Warteschleife hängen kann?

“Bisher sind noch immer alle telefonisch durchgekommen.”

Ich frage lieber nicht danach, woher sie das wissen kann.