Iranische Atombombe, Israel, der Pimpf Günter Grass und die Rattenpublizistik

Von Cangrande

Günter Grass hat einen von ihm als "Gedicht" bezeichneten Text verfasst über die iranischen Bestrebungen zum Bau von Atomwaffen und die israelischen Ankündigungen, dagegen militärisch vorzugehen.
Veröffentlicht wurde es in der Süddeutschen Zeitung am 04.04.12 u. d. T. "Was gesagt werden muss"; außerdem in ausländischen Zeitungen (La Repubblica in Italien und El Pais in Spanien). (Jetzt auch in der FAZ nachzulesen.)
 Inhaltlich ist sein "Gedicht" Müll.
Aber dass Günter Grass Blech redet, wenn er sich als Möchtegern-Intellektueller über internationale Politik äußert, wissen meine Leser bereits seit dem Februar 2006. Damals hatte ich den Blott "Grass redet Blech" verfasst, und zwar über seine Äußerungen in einem Interview, in welchem Günter Grass mehr oder weniger dem Westen die Schuld am Konflikt mit den Islamisten gegeben hatte. (Eine seiner krausen Behauptungen, an welche man ihn aktuell durchaus erinnern könnte, lautete: "Wir haben das Recht verloren, unter dem Recht auf freie Meinungsäußerung Schutz zu suchen.")
Dass Grass Blech redet, sagt nunmehr auch Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: "Grass redet Blech und trommelt in die falsche Richtung." Und mit anderen Worten sagt das so ziemlich jede(r), die oder der das sogenannte Gedicht analysiert.
Soweit es um eine erste Reaktion geht, habe ich damit keine Probleme und teile diese Ablehnungen. Nur vermisse ich in zweierlei Richtung eine Vertiefung der Debatte:

  • In der sozialpsychologischen Dimension, soweit es einerseits um Günter Grass und andererseits um seine Einbettung in das vorherrschende Politdogma des Nichtinterventionismus geht.
  • Ganz besonders vermisse ich aber in der sachlichen Dimension ein tieferes Einsteigen in die Frage, wessen Interessen das iranische Streben nach atomarer Bewaffnung eigentlich bzw. wirklich bedroht: was die iranische Politik umtreibt und gegen wen sie sich richtet.

Soweit ich es überblicke, kreisen die Reaktionen vor allem um 3 Fragen:

  1.  Ist Günter Grass Antisemit?
  2. Durfte er sich, mit seiner Vergangenheit in der Waffen-SS, gegen Israel äußern und
  3. Welche individualpsychologische Konstellation steht hinter der verquollen Verpackung seines Meinungskerns?

Der Vorwurf des (versteckten) Antisemitismus' wird, soweit ich das überschauen kann, insbesondere von israelischer und (deutsch-)jüdischer Seite erhoben (vgl. z. B. die bei Spiegel Online u. d. T. "Staeck verteidigt Grass" am 5.4.12 zusammengefassten Reaktionen sowie im Einzelnen Josef Joffe unter "Günter Grass. Der Antisemitismus will raus" in der Zeit v. 4.4.12 und Henryk Broder unter "Günter Grass – Nicht ganz dicht, aber ein Dichter", WELT 4.4.12). Ich halte das für inhaltlich falsch und strategisch wenig intelligent.
Mit derselben Strategie haben jüdische Meinungsmacher (besonders übel der Rechtsprofessor und Rechtsanwalt Alan Dershowitz) die Kritik der amerikanischen Politologen John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt am Wirken der (jüdischen und fundamental-christlichen) Israel-Lobby beantwortet (vgl. die - lange aber gleichwohl leider nur skizzenhafte - Analyse auf meiner Webseite u. d. T. "IN THE MACCHIA OF SPECIAL INTERESTS – A WELL OF CLEAR-CUT ANALYSIS?").
Irgendwann könnte es geschehen, dass eine solche Manipulationsstrategie jenen Antisemitismus selbst erst auslöst, den sie als Buhmann an die Wand malt, um Gegner der israelischen Politik von vornherein ins Unrecht zu setzen.
Günter Grass ist gewiss kein Antisemit, aber auch er lässt sich (wie man das sonst hauptsächlich bei den Rechten beobachten kann) allzu sehr auf die deutsche Vergangenheit fixieren.
Ich persönlich habe nicht die geringsten Schwierigkeiten damit, bestimmte Aspekte der israelischen Politik zu kritisieren (vgl. meinen o. a. Essay "In the Macchia of Special Interests ..." oder verschiedene Blogeinträge zum Thema Nahostpolitik, z. B. "Propheten-Karikaturen und Palästinenserfrage". Bisher ist noch niemand auf die Idee gekommen, mir dafür Antisemitismus vorzuwerfen. Das liegt aber wohl lediglich daran, dass die Leserzahl meiner Blog-Einträge nicht sonderlich groß ist.
Jedenfalls: Ich antizipiere derartige Vorwürfe nicht, ich rechtfertige mich nicht schon vorbeugend dafür, meine Meinung etwa zur Validität der moralischen Positionen der israelischen Landnahme (kritisch) bzw. der palästinensischen Israel-Vernichtungs-Forderung (ebenfalls kritisch) zu äußern. Sollte jemand mich des Antisemitismus bezichtigen dann hoffe ich mich so zu verteidigen, dass ihm die Freude an dieser Argumentationsstrategie ganz schnell vergeht. (Übrigens habe ich auch kein Problem damit, bestimmte - von anderen kritisierte - Praktiken der israelischen Politik zu loben bzw. ihre Berechtigung anzuerkennen; vgl. "Bravo Israel! oder: Wider den Mythos der allzeit nichtagressiven Zivilisten!".)
Günter Grass dagegen lädt die (bisherigen) Hinderungsgründe für die Veröffentlichung seiner Meinung pseudo-dramatisch auf. Zwei Gründe nennt wer, warum er sich bisher nicht gegen den israelischen Atomwaffenbesitz geäußert habe.
Äußeren (Meinungs-)druck:

  • "Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
    sobald er mißachtet wird;
    das Verdikt "Antisemitismus" ist geläufig."

und inneren (Schuld-)druck [und insoweit, als er diese Schuld persönlich empfindet und durchleidet, kann man ihn nach abstrakten Kriterien moralisch außerordentlich hoch bewerten!]:

  • "Warum aber schwieg ich bislang?
    Weil ich meinte, meine Herkunft,
    die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
    verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
    dem Land Israel, dem ich verbunden bin
    und bleiben will, zuzumuten.
    "

Ich glaube nicht (was freilich Hypothese bleiben muss), dass Grass sich in erster Linie vor dem Antisemitismusvorwurf fürchtet. Vielmehr halte ich seinen Schuldkomplex - als Deutscher und vielleicht auch persönlich als einstiger Angehöriger der Waffen-SS - für zentral. Denn neben dem "nie zu tilgenden Makel" spricht er ja auch von seinem "Land, das von ureigenen Verbrechen, die ohne Vergleich sind, Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird". Gerade der persönliche Schuldkomplex dürfte es ja auch gewesen sein, der Günter Grass dazu verleitet hat, seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS (die ich ihm, wohlgemerkt, nicht vorwerfe!) erst spät, im Jahr 2006, "Beim Häuten der Zwiebel", einzuräumen.
Und hier kommt mein "Pimpf"-Vorwurf gegen Grass ins Spiel. Grass hat sich mit 15 Jahren freiwillig zur Wehrmacht gemeldet und wurde später zur Waffen-SS anberufen. Weder das eine, und schon gar nicht das andere (er hat sich ja nicht freiwillig zur Waffen-SS gemeldet!) werfe ich ihm vor.
Mit "Pimpf" meine ich vielmehr, dass er selbst im Alter nicht aus seiner pimpfigen Mentalität herausgekommen ist. In (nicht inhaltlich, aber:) strukturell gleicher Weise, wie der damals Hitler geglaubt hat, glaubt er heute an ein abstraktes moralisches Prinzip: den Weltfrieden (und die Atomwaffenfreiheit).
Das Bedürfnis nach einer abstrakten moralischen Position scheint eine angeborene Krankheit der Intellektuellen zu sein. Gut nur, dass diese Gattung Mensch heute weitgehend ausgestorben ist, die sich in früheren Zeiten leidenschaftlich für Verbrecher wie Stalin, Mao Tse Tung - oder eben (wenige zwar nur) für Adolf Hitler begeistern konnte.
Jenseits ihres speziellen Kompetenzbereichs (bei Grass also der Literatur) haben Intellektuelle offenbar ein tiefes Glaubensbedürfnis. Grass glaubt an die Wahrheit einer abstrakten Moral: Atomwaffen sind böse, somit ist auch böse, wer Atomwaffen hat. Sein Moralismus ist freilich durch eine Matrix verzerrt, denn in seinem Weltbild gilt auch: Wir sind (= Der Westen ist) böse, die anderen sind irgendwie gut, oder doch wenigstens sind ihre Forderungen oder ist ihr politisches Streben gerechtfertigt; zumindest insoweit, als es sich gegen den "bösen" Westen richtet (im "Gedicht" ist insoweit nur von "Heuchelei des Westens" die Rede; in dem von mir seinerzeit bebloggten früheren Interview wird sein anti-westlicher Reflex weitaus deutlicher sichtbar).
Das also ist für mich auf der psychologischen Ebene zentral bei Günter Grass: sein rigider, sein infantiler und insoweit pimpfiger Moralismus. In gewisser Hinsicht ist dieser Mann niemals erwachsen geworden; er urteilt noch heute wie ein Kind. (Das gilt natürlich nur dann, wenn man keine altersbedingte Re-Infantilisierung unterstellen will).
Auf der sachlichen Ebene übt Grass primär Kritik am israelischen Atomwaffenbesitz. Sekundär lehnt er natürlich auch die Lieferung eines deutschen U-Bootes an Israel ab. Aber in der Reihenfolge seines Textes wird dieser Sachverhalt  zunächst als Anlass für seine Kritik am israelischen Atomwaffenbesitz benannt, und bei seinem späteren erneuten Aufgreifen mit einem "auch" relativiert (meine Hervorhebung):

  • Jetzt aber, weil aus meinem Land,
    .......
    ein weiteres U-Boot nach Israel
    geliefert werden soll, dessen Spezialität
    darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
    dorthin lenken zu können, wo die Existenz
    einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
    .....
    sage ich, was gesagt werden muß.
    Warum aber schwieg ich bislang?
    .....
    Warum sage ich jetzt erst,
    .....
    Die Atommacht Israel gefährdet
    den ohnehin brüchigen Weltfrieden?

(Daran anschließend kommt wieder die deutsche U-Boot-Lieferung an Israel auf den Tisch:

  • ..... auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
    Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
    das voraussehbar ist ... .


 Aber worum geht es überhaupt 'da unten'?
Wieder und wieder liest man: 'Ahmadinedschad hat den Holocaust geleugnet, hat das Existenzrecht Israels bestritten, und deshalb ist es legitim, wenn Israel sich wehrt.'
Ich will hier die in solchen Aussagen behaupteten Kausalzusammenhänge nicht hinterfragen, sondern vielmehr eine ganz andere Frage in den Mittelpunkt meiner Überlegungen rücken: Wieso begnügen sich die Kommentatoren damit, zum einen die iranischen Aussagen 'at face value' zu nehmen, und zum anderen das iranische Streben nach atomarer Bewaffnung als ein spezifisch israelisches Problem zu sehen?
Der Iran ist a) kein Nachbar Israels und b) kein arabisches Land. Es gibt keinen rationalen 'Primärgrund' für eine Feindschaft des Irans gegen Israel: Weder wurde das iranische Territorium vom Israel verkleinert, noch steht der Iran innerhalb der arabischen Solidarität mit den Palästinensern.
Der Grund, warum Ahmadinedschad & Co. gegen Israel wettern, ist gleichwohl rational; es ist aber ein 'Sekundärgrund'. Es geht nämlich in Wahrheit nicht darum, dass der Iran gegen Israel rüsten würde; der Iran strebt eine atomare Bewaffnung an, um gegen seine arabischen Nachbarländer die Stellung einer Hegemonialmacht zu gewinnen.
Die antiisraelischen Tiraden Teherans sind reine Rhetorik, um die islamischen Massen in den Nachbarländern auf die eigene Seite zu ziehen und Kritik am iranischen Atomprogramm aus diesen Ländern als Verrat an der 'islamischen Sache' denunzieren zu können. Die eigenen Nachbarländer wären als Erste von einer atomaren Bewaffnung des Iran bedroht wären, und sie, nicht Israel, sind auch diejenigen, gegen die sich eine solche Bewaffnung in Wahrheit richtet. Der Iran versucht, sich (auch) mittels atomarer Bewaffnung im Nahen Osten als Hegemonialmacht zu etablieren.
Und das ist viel gefährlicher für UNS, als für Israel.
Gewiss: vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung mit Adolf Hitler muss man eine Position des "nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird" für naiv halten. Indes gibt es einen wesentlichen realpolitischen Unterschied zwischen Nazi-Deutschland und dem Iran, eben die Tatsache, dass Israel nicht Nachbar des Iran ist, und außerdem, dass der Iran bei  einer Vernichtung Israels nicht das Mindeste zu gewinnen hätte. Denn dann wäre ja jener Buhmann ausgeschaltet, welchen man der eigenen Bevölkerung vorführen kann, um ihre fortdauernde Unterdrückung zu rechtfertigen. Und den arabischen Massen, um das ja letztlich gegen diese gerichtete iranische Hegemonialstreben zu verschleiern.
Und dieses Hegemonialstreben bedroht letztlich uns, denn sollte der Iran Saudi-Arabien wirksam bedrohen können, wären wir von der Lebensader Rohöl abgeschnitten.
Weil kein einziger der Kommentatoren diese Dimension thematisiert, muss sich auch niemand von diesem feigen Gesindel mit der Frage auseinandersetzen, wie WIR uns in UNSEREM EIGENEN INTERESSE gegenüber der iranischen Atombewaffnung verhalten sollen. Dass die Kommentare wie Ratten in einem behavioristischen Experiment weitestgehend einem Reiz-Reaktions-Schema folgen, dass die Meinungsmacher ihr "Futter" gewissermaßen durch Betätigung der ewig gleichen Hebel suchen, welche ihnen der herrschende Diskurs andressiert hat: DAS ist MEINE Kritik (an der Publizistik; Grass ist kaum einer sachlichen Kritik wert; dieser Typ ist offenkundig von jeglicher näheren Kenntnis der Problematik einer iranischen Atombewaffnung absolut unbeleckt. Er ist in dieser Hinsicht ein "Unbelehrbarer").
Meine Einschätzung: Es liegt zuallererst in UNSEREM EIGENEN INTERESSE, dass bzw. wenn Israel die iranischen Atomanlagen zerbombt. Wir selbst könnten das rein faktisch nicht leisten, und außerdem wären wir auch moralisch viel zu feige dazu.
Auch ich habe die kostenlose oder aus Steuermitteln subventionierte Lieferung von U-Booten an Israel abgelehnt. Aber wenn dieses Land uns das iranische Problem abnimmt, dann können wir ihm auf Knien danken - und meinetwegen gerne noch ein paar U-Boote schenken.
Darüber mag natürlich keiner von den sauberen Zeitungsschreibern nachdenken, die insoweit intellektuell nicht höher stehen als Günter Grass, und letztlich auf derselben moralischen Ebene.
Nur heißt das bei denen anders: 'Alle politischen Möglichkeiten ausschöpfen' usw. ist bei den Meinungsmachern das Codewort. Im Grunde aber argumentieren sie wie Günter Grass gegen einen Militärschlag. Grass hat es nur etwas deutlicher gesagt, und moralisierend als Kritik an Israel.
Insoweit ist die Debatte auch ein Symptom für den Verfall an vitaler Interessenverteidigung in unserem Land und ganz allgemein in Kontinentaleuropa. Niemand will sich die Finger schmutzig machen; die Parole "lieber rot als tot" mutiert heute zur Forderung "Lieber ein Iran mit Bombe als Bomben auf den Iran".
Letztlich ist das die gleiche Mentalität wie "Wozu brauchen wir Atomkraftwerke? Der Strom kommt aus der Steckdose!"
Mein eigenes Volk, das nicht einmal massiv gegen die somalischen Piraten vorgehen will, widert mich an, die ganze europäische Weicheierei wider mich an. So gesehen, ist Günter Grass nur der sichtbare Teil des Eisbergs unserer moralisch-politischen Feigheit. Dass aber kein Kommentar die Dinge überhaupt auf diese Weise betrachten mag, ist ein weiteres Symptom unseres Verfalls.