Iran am Tag vor der Wahl

Berliner Mahnwache für den Iran

Berliner Mahnwache für den Iran, 12.06.2011

Morgen nun wird es im Iran die nächste Wahl geben. Eine, die mei­ner Meinung nach weni­ger innen- als viel mehr außen­po­li­tisch wich­tig sein wird. Warum, das habe ich in einem (kaum beach­te­ten) Artikel vor eini­ger Zeit bereits ver­sucht, klar zu stel­len: ich denke näm­lich, dass die mor­gige Wahl auch über das Verhalten “des Westens” in der Syrienfrage ent­schei­den wird.

Doch was könnte sich innen­po­li­tisch im Iran durch die Wahl ver­än­dern? Vermutlich: nichts. Denn zwar hat der schei­dende “Präsident” Ahmadinedschad ein Land hin­ter­las­sen, dass in wei­ten Bevölkerungsteilen ver­armt ist; des­sen Mittelschicht so gut wie nicht mehr exis­tiert und des­sen Rohstoffe vom isla­mi­schen Klerus kon­trol­liert wer­den. Aber der all­mäch­tige Wächterrat hat schluss­end­lich kei­nen ein­zi­gen Kandidaten zur Präsidentschaftswahl zuge­las­sen, der auch nur ansatz­weise so etwas wie eine Alternative bie­ten kann. Das Damoklesschwert der Nichtzulassung hängt bis zur letz­ten Sekunde über den acht zuge­las­se­nen Kandidaten, denn der Sprecher des ira­ni­schen Wächterrates, Abbas Ali Kadkhodaei, wies dar­auf hin, dass der Rat Wahlkandidaten noch bis zur letz­ten Minute vor den Wahlen ableh­nen könne.

Man sollte nie ver­ges­sen: der Iran ist kein demo­kra­ti­scher Staat – selbst dann nicht, wenn es so etwas wie eine Präsidentenwahl gibt:

Seit der isla­mi­schen Revolution von 1979 und der Ablösung der Monarchie geht nach der herr­schen­den ira­ni­sche Staatsdoktrin die Staatsgewalt nicht vom Volk aus, son­dern wird allein reli­giös legi­ti­miert. Die oberste Staatsgewalt kommt dem Führer (per­sisch „Rahbar”) zu, der im deut­schen Sprachgebrauch auch Revolutionsführer, geist­li­cher Führer oder obers­ter Rechtsgelehrter genannt wird. In des­sen Abwesenheit ver­tritt ein Rat reli­giö­ser Amtsträger den Rahbar. Der Revolutionsführer, seit 1989 Seyyed Alī Chāmene’ī, hat unein­ge­schränkte Macht. Er ernennt die obers­ten Richter (alle­samt Geistliche) und ist Oberkommandierender der Streitkräfte. Er wird vom Expertenrat auf Lebenszeit gewählt. Dieser wird wie­derum alle acht Jahre vom Volk gewählt, wobei der Wächterrat die Kandidaten geneh­mi­gen muss.

Nach Artikel 57 der ira­ni­schen Verfassung wird die staat­li­che Gewalt, also Legislative, Exekutive und Judikative, dem Führer unter­stellt. Alle drei Gewalten sind somit nicht auto­nom in ihren Entscheidungen, son­dern abhän­gig vom Rahbar. In der poli­ti­schen Ordnung der Islamischen Republik ist die Meinung des geist­li­chen Revolutionsführers in allen Fragen aus­schlag­ge­bend.

Die Macht im Lande hat also nicht der Präsident, son­dern der Rahbar – also Chamenei – und der Wächterrat.  Und an dem kommt nie­mand vor­bei, der mehr als einen Hauch von der Linie die­ser isla­mi­schen Hardliner abweicht.

Und so ver­wun­dert es auch nicht, dass von den 300 Kandidaten und Kandidatinnen(!) nur acht zuge­las­sen wur­den. Einige Pressestimmen dazu fasst ein ORF-Artikel gut zusam­men:  Ernüchterung beglei­tet Wahl im Iran. Darin wird auch ver­mu­tet, dass die mor­gige Wahl von der Mehrheit der Menschen ein­fach igno­riert wer­den wird.
Das erwarte ich auch.

In den letz­ten Tagen hat die Webseite “Transparency for Iran” einige sehr gute Artikel zur Situation ver­öf­fent­licht (gene­rell ist diese Seite sehr lesens­wert, wenn man sich für den Iran inter­es­siert).

So heißt es dort, dass sich die mili­tä­ri­schen und para­mi­li­tä­ri­schen Kräfte nicht ein­mal mehr zurück­hal­ten und offen zei­gen, auf wes­sen Seite sie ste­hen.  Und das, obwohl “laut der ira­ni­schen Verfassung … Angehörigen der Streitkräfte die Einmischung in die Politik unter­sagt [ist]. Das betrifft die Durchführung von und die Aufsicht bei Wahlvorgängen ebenso wie die Werbung um Wählerstimmen. Für die Einmischung in poli­ti­sche Auseinandersetzungen sieht das Gesetz sogar eine Haftstrafe von sechs Monaten bis drei Jahren vor.”

Ex-Präsident Ahmadinedschad hat die Revolutionsgarden auf sei­ner Seite; das Militär jedoch unter­steht Chamenei. Welche Auswirkungen das nun nach der Wahl haben wird kann ich nicht ein­schät­zen. Es könnte jedoch sein, dass Ahmadinedschad ein Machtbestandteil des zukünf­ti­gen Iran blei­ben wird.

Trotz all den eher pes­si­mis­tisch stim­men­den Aussichten zeigt sich Shirin Ebadi in einem Interview mit der (per­sisch­spra­chi­gen) Seite der Deutschen Welle ver­hal­ten opti­mis­tisch:

Die Aussichten im Iran sind düs­ter. Verbreitete Armut, beglei­tet von Wirtschaftssanktionen, sorgt für die harte Lebenssituation der ira­ni­schen Bevölkerung. Ein poli­ti­scher Ausweg wäre nur durch eine freie direkte Wahl mög­lich — die Wahl einer Regierung, die imstande wäre, das Land aus sei­ner poli­ti­schen Isolation her­aus­zu­ho­len und den Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu set­zen.

Zwar schei­nen sol­che Aussichten im Augenblick nicht in Reichweite, doch exis­tie­ren bedeu­tende Kräfte in der Bevölkerung, die eine grund­le­gende Veränderung her­bei­füh­ren wer­den. Die zivile Gesellschaft, vor allem die Jugend, die Arbeiter– und Frauenbewegung, wer­den im pas­sen­den Moment die Basis der Demokratie im Iran vor­be­rei­ten.
Über­setzt von Transparancy for Iran

Und das Regime hat Angst: Davor, dass der “schla­fende Riese Bürgerrechte” wie­der – wie 2009 – erwa­chen könne. Amnesty International berich­tet, dass die Repressionen gegen Kritiker in den Wochen vor der Wahl noch här­ter wur­den.

“Einen skan­da­lö­ser Versuch, Kritiker zum Schweigen zu brin­gen”, nennt Philip Luther, Leiter der Abteilung Nahost und Nordafrika der Menschenrechtsorganisation, die Repressionen.
Spiegel-Online

In der Welt gibt es einen Artikel, in dem auch meine liebe Freundin Negin zu Wort kommt:

“Ich glaube nicht, dass es wie­der zu einem Aufbegehren kommt”, sagt sie. Die Erinnerung an die Niederlage vor vier Jahren hänge zu düs­ter über der kom­men­den Wahl. Hinzu kämen die Sorgen, die viele Iraner im Privaten quä­len: Die hohe Arbeitslosigkeit, die Wirtschaftsflaute, die Last der Sanktionen und die Inflation von offi­zi­ell etwa 30 Prozent machen den Alltag zu einer Herausforderung. “Die oberste Priorität ist: Über­le­ben”

Ich weiß, dass Negin Recht hat – und wünschte sehr, das sie irrt.


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