[Interview/Gewinnspiel] Im Gespräch mit Ruta Sepetys – Spezial Teil 2

Im Gespräch mit Ruta Sepetys - Spezial Teil 1

Lieber Leser,

in diesem Beitrag geht es weiter mit dem intensiven Gespräch, welches ich vor kurzem persönlich mit US-Autorin Ruta Sepetys führen konnte. Zum Anfang des Interviews geht es >>>hier<<< entlang.

Sandy: Was war es für eine Erfahrung für die Recherche zu “Salz für die See”, an die Orte zu reisen? Du bist auch in Polen gewesen, richtig?

Ruta: Ja, das war ich. Ich bin den ganzen Weg abgelaufen, dort wo einmal Ostpreußen war, bis hin zu der genauen Stelle wo die Menschen die gigantische Eisfläche überqueren mussten. Ich stand dort und bekam einen Eindruck, wie unsagbar weit all diese Menschen laufen mussten. Und ich stellte mir dabei vor, wie so viele mit ihrem Hab und Gut das Eis überwinden mussten, während Flugzeuge über sie flogen und sie beschossen. Für mich war das ein sehr beklemmendes Gefühl, obwohl ich im Frühling dort war, spürte ich diese bittere Kälte von damals. All der Schmerz und die Angst. Frauen wussten nicht, wo ihre Männer waren. Sie konnten ihnen nicht einmal schreiben.
Eine Überlebende schilderte mir, dass sie buchstäblich vom Abendessen aufspringen mussten. Das Essen mussten sie einfach stehen lassen um sofort zu fliehen. So eine Szene gibt es auch im Buch. Es geschah tatsächlich so.
Ein anderer Teil meiner Recherche umfasste den Besuch des Hafens, wo die Wilhelm Gustloff lag und auch später ausfuhr. Ich hatte durch dieses Bild von tausenden Menschen vor Ort, die Erwartung, dass der Hafen riesig wäre. Aber dem war nicht so. Ich fühlte mich unheimlich beengt dort zu stehen und mir dabei vorzustellen, dass so viele Menschen auf diesem engen Raum ausharren mussten. Die Cousine meines Vaters hatte eigentlich Tickets für die Wilhelm Gustloff, konnte jedoch die Fahrt nicht antreten, weil ihre Schwester im hoffnungslos überfüllten Hafen von einem Auto angefahren worden ist.
Diese Erlebnisse vor Ort, waren also sehr bedeutungsvoll für die Arbeit an „Salz für die See“. Und natürlich die Taucher treffen zu können, die später zur Gustloff hinabgetaucht sind.

Sandy: War es schwierig Überlebende oder deren Angehörige zu einem Gespräch zu bewegen? Du hattest erwähnt, dass einige nicht mehr darüber sprechen möchten…

Ruta: JA, es gab definitiv Widerstand. Die Menschen, die mir am meisten entgegenkamen, waren die Polen. In Deutschland hat Heinz Schön mehrere Bücher über diese Themen veröffentlicht, auch Günter Grass und es gab sogar einen Fernsehfilm über die Wilhelm Gustloff im deutschen TV. Es wurde also schon wahrgenommen. Allerdings nicht in Polen. Dort hatte man immer das Gefühl, nie eine Chance bekommen zu haben, darüber reden zu können.
Andere waren nicht unbedingt ablehnend, aber sie wurden schon so viele Male für das Fernsehen, Zeitungen etc. interviewt, aber danach wurde nie wirklich etwas davon gezeigt. Es war schmerzhaft für sie, diese Erinnerungen für nichts wieder aufkeimen zu lassen. Also, lehnten sie ab.
Außerdem bin ich eine amerikanische Autorin. Sie dachten sich womöglich, dass ich nichts wirklich Interessantes zu erzählen hätte mit meinem Buch. Man zweifelte zudem daran, welche Art von Geschichte ich über die Wilhelm Gustloff erzählen würde. Menschen wollten auf der ‚richtigen Seite‘ der Geschichte sein. Also, versuchte ich ihnen zu erklären, dass es sich hierbei zwar um ein deutsches Schiff handelt, aber das es dabei nicht um die Deutschen geht, sondern auch um Menschen aus anderen Ländern. Aber auf diese Bedenken stoße immer wieder in meiner Recherchearbeit.

Sandy: Bitte erzähl mir mehr über die Figuren aus “Salz für die See”. Sie alle haben ja so ihre Geheimnisse und Sorgen, und wirken mit all ihren Gefühlen so real. Wie sind diese Persönlichkeiten entstanden? Und wie sind sie zu einer Einheit geworden. Sie sind nämlich eine wunderbare Gruppe.

Ruta: Das freut mich sehr, zu hören. Weißt du, es waren so viele Nationalitäten betroffen. So viele Menschen unterschiedlicher Herkunft waren auf der Flucht und sie alle haben gewisse Ereignisse anders interpretiert/erlebt. Das möchte ich dem Leser zeigen. Die kulturelle Vielfalt war also die erste Intention. Außerdem begann ich verschiedene Seiten der Überlebenden bzw. Opfer zusammen zu schließen, sodass sie menschlicher wurden. Hierzu las ich viele Berichte und hörte mir die Erlebnisse von Zeitzeugen an. Zum Beispiel erzählte mir die Tochter der litauischen Krankenschwester, wie selbstlos und fürsorglich ihre Mutter war. Sie fühlte sich immer für alles schuldig. So erwachte Joannas Geist. Die Figur des polnischen Mädchens entstand durch Gespräche, die ich mit polnischen Überlebenden hatte.  Diese erzählten mir, dass sich Polen generell immer von der Welt missverstanden fühlt. Also, nahm ich diese Formulierung und umschloss Emilia darum, als jemand der süß, selbstlos und mutig ist, aber auch immer etwas missverstanden wird.
Außerdem faszinierte mich das damalige riesige Königreich Preußen, welches jedoch zerschlagen wurde. Ich verwebte dies mit dem Geheimnis um das Bernsteinzimmer. Einige Leser fragten mich schon, ob es den Raum wirklich gab. Und ja, er existiert(e). Man kann darüber etwas lesen.
Ich wollte jeder Figur ein Geheimnis, einen Schmerz und auch etwas Wundervolles geben. Der Schuhpoet ist ein starker Kontrast zu den jüngeren Figuren, weil er älter ist und die Welt aus einer größeren Perspektive sieht.

ruta-sandy

Sandy: Die Verbindung zwischen dem Schuhpoeten und dem kleinen Jungen habe ich so sehr geliebt. Sie ließ mein Herz ganz schwer werden…

Ruta: Oh ja, meines auch. Es gab da diese ganz bestimmte Szene, die ich jetzt natürlich nicht verraten darf, weil ich niemanden Spoilern will. Aber diese Szene zu schreiben war so schlimm, dass ich währenddessen weinte.

Sandy: Die Geschichte wird aus vier verschieden Perspektiven erzählt. Sowohl von Figuren, die um ihr Leben und ihre Freiheit rennen, aber auch von Alfred, einem Nazi-Soldaten. Alfred hat einen sehr verstörenden Verstand. Warum hast du dich für diese gegensätzliche Perspektive entschieden?

Ruta: Ich brauchte eine Figur, die dem Leser das Leben auf einem Schiff näher bringt. Während die anderen sich durch die Kälte quälen, war Alfred für die Vorbereitungen auf dem Schiff zuständig. So bekommt der Leser nicht nur einen Einblick auf das Schiff, sondern auch in die Ideologie eines Nazis. Alfred ist eine Person, die schon sein ganzes Leben lang von seinen Mitmenschen abgelehnt wurde. Er ist stets unsichtbar gewesen und plötzlich wird ihm eine Uniform gegeben, was ihn denken lässt, er wäre jemand. Er wäre wichtiger Bestandteil von etwas Besonderem, obwohl es nicht so ist. Um die Figur Alfred zu schaffen, unternahm ich etwas Recherche über den jungen Adolf Hitler. Dieser hatte eine schlechte Beziehung zu seinem Vater und schrieb sehr seltsame Briefe an ein Mädchen namens Stephanie, die er jedoch nie verschickte. Der junge Hitler hatte auch eine verstörende Obsession für Hände. Er führte Bücher mit Zeichnungen von Händen berühmter Persönlichkeiten.
Alfreds Verhalten und seine krankhaften Obsessionen für das Schöne, und ein Mädchen namens Hannelore, habe ich also einigen Charakterzügen des jungen Hitlers entnommen.

Sandy: Gott, wie gruselig!
Dein erster Roman “Und in mir der unbesiegbare Sommer” wird/wurde verfilmt [Titel “Ashes in the Snow]. Ich bekam vor einiger Zeit mit, dass du am Set warst. Würdest du uns mehr über die Realisierung und deine Beteiligung an der Verfilmung erzählen?

Ja, unheimlich gerne. Es gab einige Regisseure und Produzenten, die Interesse daran hatten, das Buch zu verfilmen. Aber es kristallisierte sich nach den Treffen sehr schnell heraus, dass für sie der kulturelle Aspekt nicht so wichtig war, wie für mich. Also, entschloss ich mich dazu, das Projekt mit einen Regisseur zu drehen, der sich dem nicht verschließt. Ich fand ihn in Marius A. Markeviciusm der sich einen sehr guten Namen in Hollywood gemacht hat. Er kombiniert das Herz der Geschichte mit der Kunst, sie zu erzählen. Und er stammt selbst aus Litauen. Wir teilen das Verständnis dafür, wie der Film erzählt werden soll. Der Produzent, der dazu kam ist ebenfalls aus Litauen. Nachdem wir uns als Team gefunden hatten, begannen sie mit einen Drehbuchautor an dem Projekt zu arbeiten. Es ist nicht gängig, dass ein Autor für eine Filmadaption hinzugezogen wird, aber sie schickten mir jeden Drehbuchentwurf um meine Meinung zu hören. Das war sehr aufregend für mich.
Allerdings muss ich hervorheben, dass es einige Unterschiede zwischen der Buchvorlage und dem Film gibt. Das Buch an sich ist im Film zu sehen, aber es gibt auch andere Dialoge. Außerdem hat das Drehbuch im Gegensatz zum Roman nur 120 Seiten. Allerdings sind die Schauspieler unglaublich talentiert. Es war unglaublich, sie und ihren Wandel am Set zu erleben. Zu sehen wie die Figuren aus den Buchseiten steigen und wahrhaftig vor mir standen. Es fühlte sich sehr surreal an. Mein Mann und ich waren vollkommen überwältigt. Man weiß nie, ob die Erwartungen getroffen werden. Aber ich kann sagen, dass die Verfilmung sogar das Buch noch übertrifft. Und so viel sei gesagt: der Film ist nichts für Teenager!

Sandy: Woran arbeitest du derzeit?

Ruta: Derzeit schreibe ich ein Buch über den Bürgerkrieg während der Diktatur von General Francisco Franco. Und wieder einmal gehe ich in die Grauzone. Ich wähle nie den einfachen Weg.

Sandy: Es klingt auf jeden Fall wieder nach einem äußerst interessanten Projekt. Ich bin gespannt drauf. Ich habe nun noch eine letzte Frage an dich. Was möchtest du, das deine [jüngeren] Leser aus „Salz für die See“ mitnehmen?

Ruta: Ich hoffe, dass dieses Buch Gespräche entfacht. Wir kennen die Namen der Bösewichte, Hitler und Stalin. Aber was ist mit den Überlebenden, den Opfern? Was ist mit deren Geschichten? Ich denke, diese Menschen können uns so viel mehr beibringen. Ich möchte, dass die Leser auf Spurensuche gehen und in sich gehen. Startet den Dialog miteinander! Wenn ich das erreiche, bin ich überglücklich und habe mein Ziel erreicht.

Thank you so much once again, Ruta!


Buchtipps von Ruta Sepetys…

  • “Code Name Verity“ by Elizabeth E. Wein
  • “A Northern Light“ by Jennifer Connely
  • und alles von Maggie Stiefvater & Sabaa Tahir

Das Gewinnspiel

salz-fuer-die-see_gewinnspiel

Es freut mich ganz besonders in Kooperation mit dem Carlsen Verlag ein Gewinnspiel machen zu können. Mir wurde hierfür nicht nur eins, sondern gleich drei signierte (!!) Ausgaben von Ruta Sepetys neuem Buch „Salz für die See“ zur Verfügung gestellt.

Die Bedingungen…

Wenn ihr in den Lostopf für eines der Bücher wandern möchtet, schickt mir bitte bis zum 30. September 2016, 23:59 Uhr eine Mail an nightingales-blog[at]web.de mit dem Betreff „Salz für die See“. Bitte gebt darin euren Namen und eure Adresse an, und beantwortet mir folgende Frage:

Wieviele Menschen starben im Jahr 1945 durch Maritime Angriffe?


Bitte beachten: antwortet auf die Gewinnspielfrage NICHT im Kommentarbereich! 
Unvollständige Mails werden außerdem ohne Ausnahme gelöscht.
Teilnehmen könnt ihr, wenn ihr über 18 Jahre alt seid oder eure Eltern der Teilnahme schriftlich zugestimmt haben und ihr in Deutschland wohnt. Pro Haushalt/Person ist nur eine Teilnahme erlaubt. Ein Verstoß führt zur Disqualifizierung aller eingereichten E-Mails. Nach Beendigung des Gewinnspiels werde ich selbstverständlich alle Daten löschen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Für Verlust oder Beschädigung auf dem Postweg übernehme ich keine Haftung. Die Auslosung erfolgt über Random.org und wird danach hier veröffentlicht. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, eine Barauszahlung ist nicht möglich.

Toi toi toi beim Gewinnspiel!

Eure

Sandy


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