Interview: Was hat der Punk-Rock mit Gentrification zu tun??

Interview: Was hat der Punk-Rock mit Gentrification zu tun??Während sich Künstler/innen und Club-Musik-Betreiber/innen und Kneipenwirte mit der Auseinandersetzung um die eigene Pionierrolle in Aufwertungsprozessen zuweilen recht schwer tun, hier mal ein unerwartetes Beispiel für eine Was-hab-ich-mit-der-Gentrification-zu-tun-Diskussion. In der gerade erschienen 75 Ausgabe des Punk-Fanzines Plastic-Bomb gibt es in der Rubrik ‘Anders Leben’ einen kleinen Gentrification-Schwerpunkt: Zwei einführende Artikel und ein Interview mit mir. Leider gibt es keine Online-Version der Beiträge. Das Fanzine kann aber sicher auch bestellt werden:  Plastic-Bomb

Das Interview gibt es aber auch hier zu lesen…

Interview zu Gentrification, Plastic-Bomb, Ausgabe 75 (2011)

Wer sich auch nur ansatzweise mit Gentrifizierung (vom engl. „Gentrification“ bzw. „Gentry“ – der niedere Adel) auseinander setzt, stößt sehr schnell auf den Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm. Dieser gilt als einer der wenigen wissenschaftlich aktiven Experten auf diesem Gebiet. Und da Andrej auch einen linksautonomen Background hat, klärt er immer wieder bereitwillig politisch interessierte auf, ohne das diese hoch-wissenschaftliche Seminare besuchen müssen. Einigen dürfte der Name auch im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren von vor 4 Jahren gegen die „militante gruppe“ bekannt sein. Dabei wurden 3 Personen festgenommen, denen ein Brandanschlag auf Militärfahrzeuge vorgeworfen wurde. Und aufgrund „konspirativer“ Kontakte und Treffen wurde Andrej direkt mit zu einem der Terroristen deklariert, ohne direkte Tatbeteiligung. Das BKA war auf ihn durch eine Internetrecherche zu bestimmten Stichworten aufmerksam geworden, die auch die „militante gruppe“ in ihren Bekennerschreiben benutzt, unter anderem „Gentrification“ und „Prekarisierung“. Daraufhin wurde er über ein Jahr observiert.

Aber darum soll es hier nicht gehen, immerhin hat Herr Holm ganz andere Qualitäten:

Du beschäftigst dich wissenschaftlich mit Stadtentwicklung und Gentrifizierungsprozessen. Was genau machst du da? Woher kommt dein Interesse für diesen Themenbereich?

Ich habe Anfang der 1990er Jahre in Berlin Sozialwissenschaften studiert und mich ganz klassisch in den abstrakten Theorien der Soziologie verlaufen. Irgendwann habe ich die ersten stadtsoziologischen Texte gelesen und konnte auf einmal einen Bezug zu den Realitäten um mich herum herstellen. Ich habe damals in einem besetzten Haus gewohnt und war in Stadtteilinitiativen aktiv und habe mich also unmittelbar mit den Veränderungen der Stadtteile auseinander gesetzt.

Als Wissenschaftler versuche ich mir einen Teil dieser Unmittelbarkeit zu erhalten und untersuche vor allem Konflikte in den Städten. Konkret heißt das, mit möglichst vielen Leuten zu reden und Dokumente zu analysieren um Zusammenhänge zu verstehen.

Du giltst ja gerade innerhalb der Linken als personifizierter Gentrifizierungsexperte. Ist es manchmal nervig, dass sich die Leute sofort auf dich stürzen, sobald das Thema besprochen wird? Oder schmeichelt es dir sogar ein wenig?

Ja, manchmal komme ich mir schon vor wie ein Wanderprediger. Aber ich bin ja neben meiner Forschungsarbeit seit vielen Jahren in verschiedenen Initiativen und Netzwerken aktiv und freue mich grundsätzlich über fast alle Ansätze von Protestbewegungen. Insofern sehe ich in den vielen Einladungen vor allem das steigende Interesse an städtischen Themen. Zur Zeit gibt es so viele Anfragen, dass ich oft auch absagen muss, weil mir die Zeit fehlt. Ich habe deshalb vor ein paar Jahren angefangen, Berichte, eigene Texte und Interviews in meinem Gentrificationblog (www.gentrificationblog.wordpress.com) zu veröffentlichen und auch auf diesem Wege zugänglich zu machen. Anti-Gentrification-Positionen gibt’s jetzt also auch zum downloaden.

Seit wann gibt es den Begriff „Gentrifizierung“. Woher kommt dieser und wie ist er entstanden? Was ist der Unterschied zwischen Gentrifikation und Stadtentwicklung?

Gentrification ist zunächst einmal ein Fachbegriff aus der Stadtforschung, mit dem Verdrängungsprozesse von ärmeren Haushalten im Zuge von städtischen Aufwertungsentwicklungen beschrieben werden. Seit den 1960er Jahren haben vor allem Geograph/innen und Soziolog/innen solche Entwicklungen in fast allen größeren Städten der entwickelten kapitalistischen Länder beobachtet. Neben der veränderten Nachfrage nach innerstädtischen Wohngebieten durch veränderte Arbeitsbedingungen, die Differenzierung von Lebensstilen und demographische Brüche wird die Ursache der Verdrängung vor allen in politisch initiierten Aufwertungsplänen und wohnungswirtschaftlichen Inwertsetzungsstrategien gesehen.

Gentrification könnte dabei als ein Aspekt, eine besonderer Trend der Stadtentwicklung angesehen werden und als eine spezifische Perspektive, die eben vor allem die sozialen Kosten der Stadtentwicklung in den Blick nimmt. Gerade weil die Gentrification-Forschung die Klassen- und Machtverhältnisse der Stadtentwicklung beleuchtet und auf die negativen Effekte der Stadtpolitik verweist, ist der Begriff auch von sozialen Bewegungen aufgegriffen worden und hat sich zu einem Chiffre der Protesthaltung gegen unsoziale Stadtpolitiken entwickelt.

In wie weit kann der Umgang und die Forschung zur urbanen Veränderungen auch politisch genutzt werden? Wo siehst du Anknüpfungspunkte? Muss das Thema überhaupt politisch betrachtet werden?

Die allermeisten Entwicklungen in der Stadt sind politisch. Politisch in dem Sinne, dass sie eigentlich einer gemeinsamen Diskussion und Entscheidung unterliegen müssten, weil sie uns alle betreffen. Nachbarschaftsinitiativen und Mieterorganisationen fordern das mit ihren Aktivitäten auf der Ebene von Stadtteilen ein. Wissenschaftliche Forschungsarbeiten können dabei helfen, Ursachen und Wirkungen von Stadtentwicklungsprozessen zu erkennen und letztendlich überhaupt eine Grundlage für eine gesellschaftliche Debatte zu liefern.

Punks waren früher der Schandfleck der Städte. Dann kam der zweifelhafte Trend auf das Touristen Punks sogar Geld boten, um sie zu fotografieren. Wie hat sich das seiner Meinung nach geändert, werden auffällige Menschen, bzw auch deren Klamotten- und Konzertläden für die Gentrifizierung vor den Karren gespannt?

Vielleicht in Ausnahmefällen – der typische Umgang der Gentrification mit Sub- und Protestkulturen besteht in der Verdrängung und Kooption. Zu sanierten Wohngebieten, exklusiven Eigentumswohnungen und aufgehübschten Plätzen passt Punk ja auch nur eingeschränkt. Vereinnahmungen von Sub- und Protestkulturen gibt es aber oft in den Frühphasen der Gentrification – etwa wenn Wohngebiete ein besonderes Image als hippe Szenegegend bekommen, das dann auch von Immobilienmaklern aufgegriffen wird.

In welchem Rahmen ist es also denkbar, das alternative Treffpunkte teilweise sogar erwünscht sind? Oder geht es nur um das exotische Aussehen, wenn möglich ohne Schmutz und Krach…

Authentizität ist eine zunehmend bedeutsame Ressource des Wohnungsmarktes. Viele – und eben auch Besserverdienende – versuchen die wachsenden Entfremdungen im Arbeitsalltag durch Echtheits-Erfahrungen in der Nachbarschaft zu kompensieren. In solchen räumlichen Imaginationen können auch Subkulturen integriert werden. Wenn wir zum Beispiel nach Hamburg schauen, dann ist die Rote Flora eben nicht nur eine Ort der Verweigerung und des Protestes, sondern wird auch als bunter Tupfer und lebendiger Ort des Schanzenviertels vermarktet. Schmutz und Krach sind also keine Versicherung vor Vereinnahmungen – aber sicher ganz gute Voraussetzungen. Das Beispiel der KÖPI in Berlin z.B. zeigt, dass die Konservierung einer Punk- und Trash-Ästhetik durchaus als Desinvestitionssignal verstanden wird. Die Parole „Köpi bleibt Risikokapital“ gilt ja nicht nur für das Haus selbst sondern strahlt sogar auf die benachbarten Grundstücke ab. Obwohl das Baugrundstücke in bester und zentraler Lage sind, hat sich noch keine Investor gefunden, um direkt neben der KÖPI ein Geschäftshaus oder Luxuswohnungen zu bauen.

In wie fern ist ein anfänglich „schlechter Ruf“ für einen Stadtteil während eines Gentrifizierungsprozesses hilfreich? Wenn also die Oma über einen Stadtteil sagt: „hier wurde man früher auf der Straße ausgeraubt“ oder „hier wohnten früher nur tätowierte Schwerverbrecher“ heizt das das Interesse der jungen, gut verdienenden Generation an?

Kann, muss aber nicht. Soziologische Studien zeigen ja, dass sich die Lebensstile in der Gesellschaft seit Jahren differenzieren – dabei entstehen auch Mittelschichtsmilieus, die eine große Offenheit für Straßen- und Protestkulturen haben. Natürlich ohne wirklich dazuzugehören. Internationale Modemarken werben teilweise explizit mit einem Urban-Riot-Chic. Wenn Ihnen dann wie nach der Räumung der Liebigstraße 14 in Berlin jedoch die Schaufenster eingeworfen werden, reduziert sich auch die Begeisterung für Unterschichtskulturen relativ schnell.

Im Rahmen von Stadtentwicklung und -erneuerungen werden auch veraltete, marode Häuser wieder renoviert oder neue errichtet. Damit ist es auch möglich, dass beispielsweise alte oder handwerklich unbegabte Menschen bequem wohnen können. Wird das ebenfalls als Teil der Gentrifikation betrachtet? Und wenn ja, was ist daran so schlimm?

Ja, das ist der Kern der Delegitimationsrethorik gegenüber Anti-Gentrification-Protesten. Dabei geht es den meisten Initiativen ja nicht um die Konservierung schlechter Wohnbedingungen, sondern um den Erhalt preiswerter Wohnungen. Damit zeigen die Gentrificationprozesse recht deutlich, welche soziale Destruktionskraft der kapitalistische Inwertsetzungslogik innewohnt. Im Grunde genommen ist es doch pervers, dass Leute für den Erhalt von schlechten Wohnverhältnissen auf die Straße gehen müssen, weil sie sich eine Aufwertung nicht leisten können. Eine gute Wohnung und eine angenehme Nachbarschaft sollten nicht länger Privileg sein, sondern eine Selbstverständlichkeit. Genau das ist auch mit den Forderungen nach einem „Recht auf die Stadt“ gemeint.

Wo siehst du die Möglichkeiten Gentrifizierungsprozesse in alternativen Stadtteilen zu unterbinden? Oder bleibt aufgrund des steigenden Trends zum innerstädtischen Wohnen gar kein Ausweg mehr zu Stadtteilaufwertungen?

Stadtentwicklung ist ja immer ein hochgradig politisch und administrativ regulierter Prozess. Wir haben Förderprogramme, öffentliche Liegenschaften, Mietrecht, Baurecht und Denkmalschutzprogramme. Und natürlich die Steuergesetzgebung, die mit ihren Abschreibemöglichkeiten zentrale Investitionsanreize setzt. Diese Instrumente werden zur Zeit so eingesetzt, dass sie Aufwertungsprozesse eher beschleunigen – grundsätzlich sind diese Regulationsmöglichkeiten natürlich auch in umgekehrter Richtung denkbar. Die Geschichte der Wohnungspolitik zeigt dabei relativ deutlich, dass große gesellschaftlichen Krisen (wie zum Beispiel die Kriege oder die Ölkrise) und starke Protestbewegungen (wie etwa die Berliner Hausbesetzungsbewegung Anfang der 1980er Jahre) Auslöser für die Durchsetzung einer sozialen Wohnungspolitik waren. Als konsequenter Antimilitarist bleibt da für mich eigentlich nur die Hoffnung auf möglichst viele Bewegung auf der Straße – und das ist ja nicht die schlechteste aller Optionen.

Denkst du (ohne deine Kompetenzen in Frage zu stellen!), dass dich viele Leute zu Veranstaltungen einladen, weil du (ungewollte) Berühmtheit im Rahmen der Verhaftung als vermeintliches Mitglied einer terroristischen Vereinigung bekommen hattest?

Das war direkt nach meiner Entlassung aus der U-Haft sicher ein Motiv für viele Einladungen. Wir haben ja damals mit dem Solibündnis sogar eine richtige Info-Tour zum Verfahren durch die halbe Republik organisiert. Inzwischen werde ich nicht mehr so oft auf das Verfahren angesprochen und viele die mich einladen, kennen die Geschichte auch gar nicht mehr oder verbinden sie nicht sofort mit meiner Person. Ist ja auch schon fast 4 Jahre her. Inhaltlich stehen jetzt auch fast nur noch Stadt-Themen auf dem Programm und ich find es auch gut, dass sich Bewegungen auf soziale Konflikte stürzen.



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