Interview mit Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen

Interview mit Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen

© farbfilm/24 Bilder / Kirsi Marie Liimatainen bringt am 29. November 2012 ihren zweiten Spielfilm “Festung” in die Kinos.

Die Regisseurin und ehemalige Schauspielerin Kirsi Marie Liimatainen bringt am 29. November 2012 mit „Festung“ ihren zweiten Langspielfilm in die Kinos. In dem Film geht es um das Mädchen Johanna und wie diese häusliche Gewalt erlebt. Ihr Vater, gespielt von Peter Lohmeyer („Soul Kitchen“, „Tom Sawyer“), wird immer wieder gegenüber der Mutter handgreiflich, während Johanna und ihre Schwestern nur zusehen können, passiv diese Brutalität erleben. Kirsi Marie Liimatainen kommt aus Finnland, wo sie an einer finnischen Schauspielschule zuerst Schauspiel studiert hat, bevor sie 1999 nach Deutschland kam um in Babelsberg ein Studium der Filmregie zu beginnen. Inzwischen arbeitet sie sowohl in Deutschland als auch in Finnland. filmtogo.net hat sich mit der Filmemacherin Mitte November im Kamera Filmkunsttheater in Bielefeld getroffen, wo sie ihren Film „Festung“ persönlich präsentierte.

filmtogo.net: Woher kommt der Film? Das Drehbuch stammt von Nicole Armbruster. Wie habt ihr zueinander gefunden?

Kirsi Marie Liimatainen: Ich habe mit Nicole Armbruster zusammen auf derselben Filmhochschule studiert. Sie hat mir dann einfach das Drehbuch geschickt und ich habe sofort zugesagt. Ich fand das Drehbuch und die Geschichte sehr wichtig. Ich war auch davon überzeugt, dass ich den Film durch meine Lebenserfahrung und durch meine Erfahrungen mit Laiendarstellern gut erzählen kann. So haben wir dann zusammen gefunden.

filmtogo.net: Sie haben gerade gesagt, dass die Geschichte sehr wichtig für sie war. Warum hat sie gerade so eine Thematik so angezogen?

Kirsi Marie Liimatainen: Mich hat diese Thematik so fasziniert, weil ich aus Finnland stamme. In Finnland hat man viel mit solchen Situationen zu tun, mit Gewaltausbrüchen. Wir spüren generell sehr viel Gewalt und Aggressionen in der Gesellschaft. Nicht so wie in Amerika, wo ständig kriminelle Akte, mit Waffen auf der Straße, geschehen. Bei uns hält sich die Gewalt eher in der Familie, wo man weiß dass dort sehr viele Gefühle und Stresssituationen, auch Drucksituationen durch Aggressionen und Gewalt geklärt werden. Ich habe das auch selbst in meiner eigenen Familie beobachtet. Als ich ein Kind war, habe ich gesehen was zwischen meinen Großeltern passiert ist. Deswegen habe ich auch sofort gewusst, was es für Kinder bedeutet, in einer Familie zu leben, wo Gewalt ausgeübt wird.

filmtogo.net: Stichwort: Kinder. Sei es jetzt ihr Kurzfilm „Frühlingshymne“ oder ihr Spielfilmdebüt „Sonja“, den sie zuletzt inszeniert haben, sie drehen offenbar gerne mit Mädchen oder jungen Frauen. Finden sie es wichtig, dieser Zielgruppe solche Filme zu geben, wo eben Mädchen und junge Frauen in solch schwierige Situationen kommen?

Kirsi Marie Liimatainen: Ja absolut. Ich finde es wichtig, weil es meiner Meinung nach immer noch zu wenig Filme für junge Frauen oder Mädels, für Frauen generell gibt. Deswegen möchte ich über Wendepunkte und wichtige Momente im Leben aus der Sicht von Frauen erzählen. Das ist mir sehr wichtig.

filmtogo.net: Die Hauptprotagonistin Johanna ist am Anfang des Films eine Außenseiterin auf dem Schulhof, wird auch gehänselt. Ist diese Unsicherheit auf dem Schulhof bedingt durch die häusliche Gewalt? Das ist ja eine interessante Wechselwirkung, denn auch Zuhause ist sie ja eher zurückgezogen, sitzt in ihrem Zimmer, dreht die Musik laut. Kommt dass dann wieder durch die Demütigungen auf dem Schulhof?

Kirsi Marie Liimatainen: Wir haben das offen gelassen. Wir haben keine direkte Verbindung gezogen, haben nicht gezeigt ob die anderen Schüler nun wissen, was in Johannas Familie passiert oder nicht. Das wird weder gesagt noch gezeigt. Ich weiß nur, dass wenn man in so einer Drucksituation lebt, man mit der Zeit auch beginnt sich anders zu verhalten. Man wird zurückhaltend. Hinzu kommt, dass viele Mädels und Jungs, denen ich bei meinen Probeaufnahmen und Castings begegnet bin, mir von großen Stress- und Drucksituationen in der Schule erzählt haben. Heutzutage wird man sehr schnell gemobbt. Man wird sehr schnell als Außenseiter positioniert. Aber natürlich war es auch eine dramaturgische Entscheidung. Wir haben Johannas Position im Film zugespitzt, damit wir für sie hoffen, das habe ich auch von Zuschauern bestätigt bekommen, dass sie aus dieser Situation heraus kommt.

filmtogo.net: Elisa Essig spielt ihre Rolle als Johanna auch wirklich gut. Sie hat hier ihr Spielfilmdebüt. Wie haben sie sie gefunden, bzw. was für Anforderungen hatten sie bei der Suche nach deiner Hauptdarstellerin?

Kirsi Marie Liimatainen: Ich habe Elisa in Heppenheim in Hessen gefunden. Dort haben wir hunderte Jugendliche gecastet und zu unseren Casting-Interviews eingeladen. Nach drei Runden war ich dann sehr sicher, dass sie die Rolle spielen soll. Sie war sehr authentisch. Sie war damals erst zwölf Jahre alt, wurde während der Dreharbeiten dann dreizehn, hat aber auch schon so eine Reife mitgebracht. Sie hat die ganze Geschichte verstanden. Sie hat verstanden was in dieser Familie passiert. Trotzdem hat sie noch diese kindlichen Züge und war, wie viele junge Mädels mit zwölf Jahren, noch unerfahren mit Liebe und Jungs. Also eigentlich hat sie alles verkörpert was die Rolle brauchte.

filmtogo.net: Nicht nur sie fällt auf, auch ihre kleine Schwester im Film. Entweder steht sie still in einer Ecke oder sie wirft mit Wörtern um sich, die sie sich vom Vater abgeschaut hat, die aber auch alles andere als Altersgerecht sind. Wir arbeitet man mit einer so jungen Schauspielerin, der man mit auf den Weg geben muss, dass sie solche Schimpfwörter nach den Dreharbeiten nicht weiter benutzen soll?

Kirsi Marie Liimatainen: Antonia war damals gerade sieben Jahre alt. Ich habe mit ihr spielerisch und in ihrer Sprache versucht über die Geschichte zu sprechen. Wir haben damit angefangen, dass sie gezeichnet hat. Sie hat Bilder über Gefühle und über die Familie gemalt. Dann habe ich die Geschichte erst etwas milder erzählt und geschaut, ob ich sie auch erzählen kann, wie sie wirklich ist. Sie hat schon verstanden, dass es ein großes Problem zwischen den Eltern gibt. Sie hat auch verstanden, wie der Vater ist. Ihr wurde natürlich auch erklärt, warum es solche Menschen gibt. Antonias eigener Vater war die ganze Zeit mit dabei. Er war zwar nicht direkt am Set, aber immer in der Nähe. Mit ihm haben wir auch sehr viel gesprochen, sehr viel miteinander gespielt, einfach Zeit miteinander verbracht. Und Antonias Vater hat über die Schimpfwörter natürlich auch gesagt, dass sie diese bitte nicht mehr benutzen solle, wenn sie wieder Zuhause wären. Also wir haben darüber gesprochen, was für Wörter das sind und warum sie diese im Film benutzt. Das ist auch sehr wichtig gewesen, sowohl für Antonia als auch für Elisa. Sie mussten ernst sein, wenn wir gedreht haben. Dann musste man aber auch wieder Kind oder Jugendlicher sein, wenn wir Pausen gemacht haben.

filmtogo.net: Dann gibt es noch die große Schwester, gespielt von Karoline Herfurth. Ihr wird recht früh im Film gesagt, dass sie sehr hart geworden ist. Ist diese emotionale Härte ein Resultat der häuslichen Gewalt? Oder benötigt es gar einer solch emotionalen Härte um überhaupt aus einer Situation wie dieser flüchten zu können?

Kirsi Marie Liimatainen: Ich denke, dass alle drei Schwestern hier ganz verschiedene Charakterzüge zeigen. Wer zuhause Gewalt erlebt, der wird auch die Konsequenzen spüren. Eigentlich können wir auch sehen, wie verschieden diese drei Schwestern sind. Entweder man versteckt diese Emotionen in seinem Inneren, all diese Ängste und die Wut, eben alles was man im Inneren anstauen kann. Oder aber man beginnt das auszuleben oder äußerlich eben sehr hart zu werden. Man möchte nicht verletzt werden. Und die Schwestern müssen ja irgendwie versuchen weiterzuleben. Jede von ihnen hat hierfür ihren eigenen Mechanismus, ein Überlebensmechanismus, den sie beginnen zu benutzen.

filmtogo.net: Warum haben sie sich für diese drei Erzählperspektiven entschieden? Der Hauptfokus liegt zwar auf Johanna, aber trotzdem sehen wir ja immer wieder auch die Sichtweisen der Schwestern.

Kirsi Marie Liimatainen: Das war eine Drehbuchentscheidung. Aber über diese Drehbuchentscheidung haben wir auch mit der Autorin gesprochen. Wir haben sehr oft darüber gesprochen, wie wir die Gewalt zeigen wollen. Und natürlich auch darüber, wie wir die Kinder, diese passiven Figuren, zeigen wollen. Sie können ja gar nicht aktiv sein. Wie sollte man auch aktiv sein, wenn man neun, zehn oder elf Jahre alt ist. Dadurch wird der Zuschauer im Kino auch zu einem passiven Begleiter. Er erlebt, was die Kinder hören. Das ist eine schmerzhafte Position, so den Film zu sehen.

filmtogo.net: Die Gewalt zeigen sie ja wirklich nie physisch, sie bleiben auf der psychischen Ebene. Haben sie diese Entscheidung der harten Wirkung wegen gewählt?

Kirsi Marie Liimatainen: Ja. Das hat auch ein Testpublikum bestätigt. Wir hatten da schon erste Entwürfe des Sounddesigns. Da habe ich schon gemerkt, dass es genauso funktionieren wird. Jeder hat sein eigenes Kopfkino am Laufen, wenn man diesen Druck, diesen Stress, diese Beklemmung und Hilflosigkeit nur hört und spürt.

filmtogo.net: Wie können solche Situationen überhaupt entstehen? Im Film bekommt der Vater mehr als nur eine zweite Chance, die Mutter spottet selbst über Frauen, die nichts unternehmen. Die Kinder sind zu jung um etwas zu unternehmen, die Oma weiß offenbar auch um die Probleme in der Familie Bescheid. Trotzdem geht es einfach immer so weiter.

Kirsi Marie Liimatainen: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin der Meinung, dass das in Finnland oder aber auch in Deutschland einfach tief in der Gesellschaft verankert ist. Es ist ein Verhaltensmuster, das man zur nächsten Generation weitergibt. Davon bin ich eigentlich überzeugt. Entweder wird man dann zu jemanden, der diese gewaltgefärbte Haltung selbst einnimmt oder man will sich selbst verletzten, weil man verletzt wurde. Deswegen denke ich, braucht man unbedingt Frauenhäuser oder Familientherapien, aber auch Therapien für Männer. Generell müsste man schon in der Schule oder im Kindergarten damit anfangen, hierüber zu informieren. Menschen muss beigebracht und gezeigt werden, wie man auf anderen Wegen mit Emotionen umgehen kann, außer sie durch Macht, Aggressionen oder Gewalt zum Ausdruck zu bringen. Gewalt können ja auch Worte sein. Man kann ja auch Gewalt üben, indem man mit Wörtern andere demütigt.

filmtogo.net: Der Film hat dann aber auch noch eine schöne Seite. Johanna verliebt sich in einen Jungen und da kommt dann auch der Hilfeschrei nach außen. Sie schreibt ihr Geheimnis auf einen kleinen Zettel, den sie ihm dann gibt. Durch ihn findet sie auch ein wenig Akzeptanz auf dem Schulhof. Ist das so ein wenig die Romantik der Geschichte? Liebe kann Stärke verleihen?

Kirsi Marie Liimatainen: Ja, das könnte man natürlich sagen. Liebe generell rettet ja oft Situationen im Leben. Es ist ja immer eine schöne Seite im Leben. Das ist aber auch der Wunsch von jedem 13jährigen. Jeder möchte jemanden haben, der einem Nahe steht und das ist hier auch besonders wichtig für Johanna. Sie bekommt dadurch auch Bestätigung von anderen. Was hierdurch aber auch für Johanna resultiert, was sie durch diese Geschichte beginnt zu verstehen, ist das sie auch dazu bereit ist diesen Jungen zu opfern. Sie muss sich fragen, was ihre Loyalität gegenüber ihrem eigenen Vater ist. Und das Ende des Films ist dann offen. Da kann jeder dann selbst entscheiden was in Zukunft passieren wird.

filmtogo.net: Sie haben jetzt schon in Finnland und Deutschland gedreht. Gibt es da gravierende Unterschiede in der Filmlandschaft?

Kirsi Marie Liimatainen: Ja, das ist schon ein ganz großer Unterschied. Wir haben in Finnland nur eine staatliche Filmförderung. Von Deutschland weiß ich, dass jedes Bundesland noch einmal eine eigene Filmförderung besitzt. Das haben wir in Finnland nicht. Wir haben noch eine kulturelle Förderung. Da kann es sein, dass die jemand erhält. Deswegen ist die Konkurrenz auch härter. Wenn jemand von der finnischen Filmförderung keine Unterstützung erhält oder auch von den nur vier Fernsehkanälen, die es bei uns gibt, nicht gefördert wird, ist das Projekt eigentlich gestorben. Dann kann der Film nicht finanziert werden.

filmtogo.net: Sie sind in Finnland aufgewachsen, sind als Schauspielerin gestartet. Aber wie sind sie überhaupt zum Film gekommen?

Kirsi Marie Liimatainen: Ich bin nur durch Zufall zum Film gekommen. Meine Freunde meinten, ich müsse zur Schauspielschule gehen, weil ich so lustig sei. Ich hab immer viele Witze und Geschichten erzählt. Und dann bin ich eben zur Schauspielschule gegangen. Ich komme aber aus einer wirklich nicht kulturellen Familie. Ich musste alles von ganz vorne lernen. Ich wusste nicht was Theater ist, ich wusste nicht was Film ist. Ich war dann auch in einem Kinoclub, habe mir Filme angesehen, habe verstanden, dass es Tarkowski gibt, das es Fassbinder und Bergmann gibt. Irgendwann habe ich dann als Schauspielerin nach mehr Intensivität verlangt. Mir fehlte die ganze Geschichte. Dann wollte ich Regie studieren.

filmtogo.net: Tarkowski, Fassbinder und Bergmann haben sie erwähnt. Sind das Einflüsse, die sie geprägt haben, sei es als Schauspielerin oder als Regisseurin? Oder gibt es noch andere Filmemacher, vielleicht aus Finnland oder Hollywood, von denen sie geprägt wurden?

Kirsi Marie Liimatainen: Nein, es ist wirklich so, dass mich zum Beispiel Fassbinder beeinflusst hat, weil ich dann mit 21 Jahren in der Schauspielschule plötzlich alle seine Filme angeschaut habe. Dann aber auch die sowjetischen Filme. Die habe ich auch gesehen. Und die polnische Poesie. Solche Filme haben mich beeinflusst. Zu einem gewissen Zeitpunkt auch Lars von Trier. Also alles andere als Filme aus Amerika. Natürlich auch das Theater und die Literatur.

filmtogo.net: Gibt es sowas wie den typisch finnischen Film?

Kirsi Marie Liimatainen: Nein, das würde ich nicht sagen. Wir haben verschiedene Filmarten. Es gibt keine typischen finnischen Filme. Ich weiß aber, dass es viele gute Dokumentarfilme aus Finnland gibt.

filmtogo.net: Sie haben in einem anderen Interview einmal gesagt, dass Filmemachen für sie ein nie endender Lernprozess sei. Was haben sie jetzt bei „Festung“ gelernt?

Kirsi Marie Liimatainen: Ich habe sehr viel gelernt. Ich habe etwas über Dramaturgie gelernt. Ich habe auch gelernt was man zeigt und was man nicht zeigt. Das war hier ja ein sehr wesentliches Thema. Ich habe auch etwas über das Filmen mit Laien gelernt, denn auch alle Komparsen standen hier ja noch nie vor der Kamera. Die Auswahl der Musik und des Sounddesigns war auch eine sehr inspirierende Erfahrung und ein künstlerischer Prozess. Also Sounddesign, Komponist, die Musik, die wir für die Disco-Szenen oder für das Restaurant brauchten. Also alles, was entstanden ist. Die kleinsten Geräusche und Nuancen, dann noch die Mischung. Ein sehr sehr toller künstlerischer Prozess und eine tolle Truppe.

filmtogo.net: Wie geht es für sie weiter? Haben sie jetzt noch andere Projekte geplant?

Kirsi Marie Liimatainen: Ja, es gibt gerade einen Dokumentarfilm, den wir im letzten Jahr in Südafrika und Nicaragua gedreht haben und dieses Jahr in Chile, Bolivien und Libanon. Jetzt beginnen wir zu schneiden und nächstes Jahr soll der Film dann fertig sein.

filmtogo.net: Worum geht’s da?


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