Interview mit Regisseur Filippos Tsitos

Interview mit Regisseur Filippos Tsitos

Am 22.Juli startete der griechische Film ‘Kleine Wunder in Athen’ in den deutschen Kinos. Hinter dem Film steckt Regisseur und Drehbuchautor Filippos Tsitos. Für seinen 1994er Kurzfilm ‘Parlez-Moi D’Amour’ gewann er u.a. den Deutschen Kurzfilmpreis. Sein erster Langfilm folgte 2001 mit ‘My Sweet Home’. Filippos Tsitos ist zur Zeit zum ersten Mal auf Deutschlandtour und in diesem Rahmen konnte ich mich kurz mit ihm treffen um über seinen Film und seinen Beruf zu sprechen.

 

filmtogo: In deinem Film, ‚Kleine Wunder in Athen’, da geht es ja um die Antipathie zwischen Griechen und Albanern. Die kommt ja nicht von ungefähr, die ist ja nicht ausgedacht und ersponnen, sondern die gibt es ja wirklich. Woher kommt diese Antipathie?

Tsitos: Das hat alles angefangen Anfang der 90er als die Albaner nach Griechenland stürmten. Das waren die ersten Gastarbeiter in dem Sinne, die die Griechen kennengelernt haben. Sie wussten nicht was das ist. Man kam nicht nach Griechenland um Arbeit zu suchen. Man kam für alle anderen Gründe, aber nicht dafür. Da sie so viele waren und Massenweise kamen wurden sie sofort zu Symbolen von dem Menschen der zukunftslos ist, der kein Geld hat, der sogar Klamotten klauen wird weil er selbst keine hat. Oder kein Essen hat. Das war am Anfang und es hat eine Weile gedauert bis sie sich irgendwie in Griechenland etabliert und irgendwie auch assimiliert haben. Antipathie ist nicht das richtige Wort. Das ist eher, glaube ich, Angst. Denn sie waren zu viele, die Griechen waren nicht vorbereitet. Also weder der Staat noch die Griechen selbst waren vorbereitet. Psychisch vorbereitet. Die Albaner haben der Agrarkultur geholfen, auch dem Bauwesen, sie arbeiten halt sehr viel. Wir sind ein kapitalistisches Land, die Arbeitgeber, also die Griechen haben sie vorgezogen, weil sie billiger waren. Das übliche halt, wie überall. Mittlerweile haben sie nicht mehr diesen Status. Sie ziehen um, weit hinaus aus der Stadt, in teure Gegenden. Es kommen Andere, die ärmer sind, also Afrikaner, Pakistaner. Aber die Albaner bleiben das Symbol für das was ich gesagt habe. Immer noch.

filmtogo: Ist das so eine allgemeine Angst? Im Film gibt es ja auch noch die Chinesen, die sich fernab von dieser Albaner und Griechen Streitigkeit viel schneller breit machen und ein wenig das Ganze übernehmen. Ist das eine allgemeine Angst vor dem Verlust der Kultur?

Tsitos: Das Größte Problem der Griechen ist, das sie Griechen sind. Sie wachsen auf mit diesem riesigen Laster das sie aus der Antike kommen. Man setzt sich ständig damit auseinander. Es ist ein ständiges Problem für mich. Sehr früh bekommen wir diese Informationen und die sind sehr attraktiv und sehr schön wenn du das erfährst. Du stammst von Sokrates ab oder dein Vorgänger war Perikles. Es gibt Leute, es gibt Griechen, die glauben man braucht nichts anderes zu sein. Grieche zu sein, reicht. Man muss sich nicht unbedingt anders definieren. Wenn man dann Erwachsen wird und man kapiert das alles, dass das eigentlich Blödsinn ist, wenn man das kapiert, es gibt Leute die das nicht kapieren, kann man in eine Lebenskrise hineingeraten. Es ist dann nämlich ein wenig spät anzufangen dich zu suchen wie du dich definierst. Wer bist du, wo gehörst du hin? Wenn es nicht Sokrates ist, dein Vorfahre, wer ist es dann, wer war das? Und das ist genau der Punkt mit den Leuten in dem Film. Sie machen nichts in dem Film, sie sind Parasiten. Ohne jetzt auf Kosten von irgendjemanden zu leben. Sie bevorzugen es nicht zu arbeiten und meckern über den Albaner oder den Chinesen der vorbeikommt. Wenn jetzt, wie es bei der Hauptfigur passiert, plötzlich das Grieche sein von ihm weggenommen wird, dann fällt er in eine tiefe Krise. So absurd es sich anhört, es ist so. Der Film zeigt, wie er damit umgeht.

filmtogo: Da hast du gerade schon die Identitätskrise von Stavros angesprochen. Die ist ja schon sehr, mit dem Holzhammer dargestellt. Muss man das so deutlich darstellen um da jemanden auch auf diese Problematik hinzuweisen?

Tsitos: Also es geht darum das der Film damit spielt. Der spielt mit diesen Klischees und diesen Feststellungen die man so hat. Identität und Midlife Crisis. Die werden nicht versteckt in eine Geschichte, sondern von vornherein hervorgehoben. Selbst die Personen im Film spielen damit und referieren da immer wieder drüber.

filmtogo: Dann gibt es noch den Stadtrat, der da noch diese Statue aufstellt zur Interkulturellen Solidarität. Ist das etwas womit die Regierung wirklich so mit dieser Auseinandersetzung, mit dieser Angst sagtest du, umgegangen ist? Das die das so überspielt haben?

Tsitos: Ne, das ist ein Witz von mir. Die Stadt würde niemals ein Denkmal zur Interkulturellen Solidarität irgendwo hinstellen. Weil es an sich ein absurdes Ding ist. Man erbaut kein Denkmal für eine Idee. Der Film geht nicht so weit zu sagen es gibt keine Interkulturelle Solidarität. Am Ende akzeptiert Stavros das er eigentlich ein Albaner ist und er kann sich auch vorstellen den Typen zu akzeptieren der meint sein Bruder zu sein. Es ist nicht so das er sich am Ende weiter über ihn lustig machen würde, wenn er wieder vorbeikommen würde. Das würde er nicht tun und das fühlt der Zuschauer. Es ist nicht so einseitig. Der Weg dahin ist was der Film zeigt, wie man sich selbst toleriert ist was der Film erzählt.

filmtogo: Er akzeptiert seinen scheinbaren Bruder. Das läuft ja über so ein paar Gemeinsamkeiten die die beiden dann tatsächlich entdecken. Sei es jetzt Rockmusik oder für mich war das auch ein wenig das Fußballspielen. Auch da sind diese Gemeinsamkeiten. Hast du die bewusst gewählt, Fußball und Musik? Ist das etwas, das von dir persönlich kommt oder warum gerade diese beiden Motive?

Tsitos: Die Musik kommt von mir. Ich wollte der Figur was geben, an Charakteristiken. Ich fand die Idee lustig das sie alte Rocker sind die latente Rassisten sind. Das fand ich einen schönen Widerspruch. Vor allem weil ich weiß das man als alter Rocker in Griechenland oft bei Konzerten tatsächlich alles kurz und klein zerlegt hat. Einfach weil Polizei dabei war. Also wenn die Polizei dabei war, musste man alles kaputt machen, egal was für ein Konzert es war. Das mit dem Fußball ist nur ein Spiel, ein tatsächliches Fußballspiel das stattgefunden hat zwischen den beiden Ländern.

filmtogo: Den Film kann man hauptsächlich als Komödie verstehen, mit ein paar Szenen als Ausnahme. Kann man das Genre der Komödie denn auch übertragen, wenn man den Film in Griechenland zeigt. Ist er dort auch eine Komödie oder wird er dort anders aufgefasst?

Tsitos: Der Film wurde überall als Tragikomödie verstanden. Sowohl in Griechenland, als auch in Albanien als auch in Deutschland. Ich kann keine Geschichte anders erzählen. So ist meine Art das Leben zu sehen, tragisch und komisch zugleich. Niemand hat es als pure Komödie verstanden, aber natürlich auch nicht als pure Tragödie. Man braucht im Ausland ein wenig mehr Zeit, glaube ich, als in Griechenland, um zu kapieren worum es geht, weil man im Ausland die Problematiken mit den Albanern nicht kennt. Man braucht ein wenig Zeit um zu Verstehen das es hier ein neues Problem gibt. Das weiß einfach niemand, das weiß man nur in Griechenland und Albanien.

filmtogo: Dann spielt ja auch die Mutter noch eine große Rolle. Die Interaktion der Mutter mit ihren beiden Söhnen, da wirken die beiden ein wenig wie kleine Kinder. Es gibt diese Abendess-Situation, wo Stavros abspülen muss oder wo die beiden draussen Fußball spielen und reinkommen sollen. Ist das bewusst so inszeniert, die beiden als kleine Kinder gegenüber ihrer Mutter oder ist das einfach etwas kulturell bedingtes im Umgang miteinander was sich von Deutschland dann unterscheidet?

Tsitos: Das ist schon eine Absicht von mir überhaupt alle als erwachsene Kinder darzustellen. Nicht nur die beiden. Wir reden die ganze Zeit von Altrockern und latenten Rassisten, aber wir haben nicht gesagt, dass die Latte für ihren Rassismus ist, ob ein Hund nur Albaner anbellt oder nicht. Wenn der Hund jemanden anbellt, dann ist er Albaner und das glauben sie auch alle. Das ist die Qualität von ihrem Rassismus und das obwohl sie alle 40 oder 50 Jahre alt sind. Auf diesen Ebenen bewegen sie sich. Und wenn ich plötzlich zwei Brüder habe und eine Mutter, dann würde es automatisch in diese Richtung gehen. Das ein 55jähriger Typ seiner Mutter zuruft, die auf den Balkon gekommen ist, das man noch ein wenig spielt und dann sofort kommt, das kam von sich aus, als ich das Drehbuch schrieb.

filmtogo: Du hast ja hauptsächlich für das deutsche Fernsehen ‚Tatorte’ inszeniert, hast aber auch schon fürs griechische Fernsehen dann was gemacht. Gibt es da Unterschiede in der Arbeitsweise, muss man sich da auf andere Verhältnisse einlassen als Filmemacher?

Tsitos: Die Arbeitsweise ist nicht so wahnsinnig unterschiedlich. Die Leute sind hier und dort genauso professionell. In Deutschland ist man besser organisiert, wie das Klischee es so will, in Griechenland ist man flexibler, wie es das Klischee auch will. Die Unterschiede sind die Etats, die Gagen. Alle Gagen sind zweidrittel weniger als in Deutschland. Schauspieler, Crew, ich, alle. Die Drehtage sind viel weniger, man kann das nicht finanzieren. Die Unterschiede liegen eher da.

filmtogo: Du bist ja auch Teil der Gruppe ‚Filmmakers from Greece’ bist…

Tsitos: Ist das bis hierher gekommen? Das ist ja Wahnsinn.

filmtogo: Ich konnte dummerweise die Homepage nicht lesen, die war auf griechisch…

Tsitos: (lacht) Ja, da sind wir ein wenig zurück.

filmtogo: Ich hab das Zitat gefunden, dass die Filmemacher in Griechenland eine aussterbende Art sind?

Tsitos: Ja, die Geschichte fängt damit an das der Staat Griechenland sich sehr wenig für das Kino interessiert. Ich traue mich zu sagen dass das allgemein für Kunst gilt. Die waren alle sehr enttäuscht in Griechenland. Dazu muss man erzählen das es Filmpreise gab, die man jedes Jahr vergab. Die waren korrupt. Als junge Regisseure haben wir gesagt, wir boykottieren diese Filmpreise. Wir reichen unsere Filme nicht ein. Das haben wir zu fünft oder sechst angefangen, dann waren wir irgendwann 30 und am Ende 250 Regisseure, Produzenten und Drehbuchautoren. So gut wie alle aktive Filmemacher Griechenlands. Wir haben das dann tatsächlich boykottiert. Wir haben eine Art Filmakademie gegründet. Das läuft jetzt von alleine, wir haben damit nicht mehr viel zu tun. Aber wir haben diese Akademie damit beauftragt Preise zu vergeben, haben aber auch gesagt, diese Preise dürfen kein Geld beinhalten. Automatisch war die Korruption weg, weil wenn du das Geld wegnimmst, ist auch die Korruption weg. Wir haben dann dem Staat gesagt, nehmt diese 700.000, was insgesamt der Preis für die Zeremonie und die Preise war und gebt es den armen griechischen Filmzentrum für die Produktion von Filmen. Haben sie aber noch nicht gemacht, also man weiß nicht wo zur Zeit dieses Geld ist. Das ist das Eine was wir gemacht haben. Das Zweite ist, so absurd es sich anhört, das sich bisher niemand hier dafür interessiert hat eine staatliche Filmschule zu gründen. Ich war ein wenig beschämt als ich mit dem Film in Albanien war, wo wir auch einen Preis mit dem Film gewonnen haben, wo ich gesehen habe, dass sie dort einen riesigen Komplex haben, eine Filmschule. Hier hat der Staat nix gemacht, dann kam die Krise. Jetzt machen sie es sowieso nicht, sie denken sie könnten sich dahinter verstecken. Wir wollen ihnen jetzt beweisen das es doch geht. Wir haben so ein Schulmodell entwickelt, also von Null auf Hundert, also alles, auch wie viel das kosten würde, Low Budget, High Budget, was auch immer. Wir werden einen Jahrgang selber begleiten. Wir werden umsonst arbeiten, damit wir dem Staat das als Modell zeigen können dass das machbar ist und das es geht.

Die griechische Tragikomödie ‘Kleine Wunder in Athen’ von Filippos Tsitos läuft seit dem 22.Juli 2010 in den deutschen Kinos. Das Interview führte Denis Sasse.


 


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