Interview mit Regisseur André Erkau

Vor drei Jahren brachte Regisseur André Erkau sein Spielfilm-Debüt ‚Selbstgespräche’ in die deutschen Kinos. Damals bewegte sich die Geschichte um die Hauptfiguren Sascha, Adrian, Marie und Richard innerhalb eines Callcenters. Dabei wurde die Rolle des Adrian, ein scheinbar freiwilliger Mitarbeiter in diesem Callcenter, von Johannes Allmayer (‚Vincent will meer’) verkörpert. Seit dem 21. Juli läuft mit ‚Arschkalt’ das zweite Filmprojekt von André Erkau in den deutschen Kinos, erneut mit Johannes Allmayer – an der Seite von Herbert Knaup als misanthropischer Tiefkühlwaren-Lieferant. filmtogo hatte die Möglichkeit sich mit dem Regisseur und Drehbuchautor des Filmes zu treffen und mit ihm über seinen neuesten Film zu sprechen.

filmtogo: Im Film gelten Minus 18 Grad als Arschkalt. Warum hast du genau diese Temperatur ausgewählt um das Prädikat ‚Arschkalt‘ zu erhalten?

André Erkau: Also letztendlich wollte ich in ‚Arschkalt‘ eine Geschichte über einen emotional eingefrorenen Mann erzählen, der das Wagnis eingeht, sich wieder zu öffnen und vielleicht ein bisschen aufzutauen. Da fangen dann die Probleme an. Letztendlich lebt er ein arschkaltes Leben und vermisst dabei irgendetwas. Über diesen Sprung zurück ins Leben wollte ich erzählen. So eine Temperatur hat sich da angeboten um sein Lebensgefühl auf den Punkt zu bringen.

filmtogo: Wie sehr muss man im Vorfeld selbst ein Misanthrop sein um eine solche Figur wie Rainer Berg zu erfinden? Oder wie sehr ist man dann auch hinterher misanthropisch veranlagt?

Andrè Erkau: ‚Arschkalt‘ ist ja eine Buddy-Komödie. Da sind zwei Leute unterwegs. Einerseits Rainer Berg, ein Mann wie ein Berg und dann sein Beifahrer Tobias Moerer, der ganz quirlig und aufgeschlossen und ein totaler Gegenpol ist. Für mich ist es so, man sagt das ja immer, dass da zwei Seelen in der eigenen Brust wohnen. Bei mir sind es zwei Beifahrer oder zwei Fahrer, die in meiner Brust leben. Da ist einerseits der Misanthrop, der sich oft gerne zurückzieht und denkt, dass die Welt ihn am Arsch lecken kann. Da ist aber auch dieser kleine, quirlige Typ. Der will immer weitermachen, den Kopf oben halten. Der versucht optimistisch durchs Leben zu gehen.

filmtogo: Wie sich das gerade anhört, hast du diese beiden Figuren deinen beiden in dir lebenden Seelen nachempfunden?

André Erkau: Also das würde ich lieber im Herbst meines Lebens noch einmal bei einem Gläschen Rotwein überdenken, ob das jetzt wirklich so der Fall war. Aber ich hätte die Geschichte nicht geschrieben, wenn sie irgendetwas mit mir zu tun gehabt hätte. Ich wollte auch nicht einfach nur meine Tagebuchaufzeichnungen auf die Leinwand bringen, sondern eine Geschichte erzählen über den Umgang mit Verletzungen und über den Mut, den man entwickeln kann, wenn man den Schritt zurück ins Leben wagt. Das war mein Hauptanliegen.

filmtogo: Nun klingt das erst einmal recht theatralisch, von wegen zurück ins Leben finden und ein unterkühlter Hauptprotagonist, aber letztendlich ist ‚Arschkalt‘ eine Komödie. Wie schreibst du ein Drehbuch für dieses Genre? Die Komödie gilt ja als Königsdisziplin, wenn man da wirklich auch lustig sein möchte.

André Erkau: Wenn ich Geschichten erzählen will und auf bestimmte Situationen oder Momente blicke und diese beschreibe, kreiere ich automatisch Momente die etwas skurriles oder komisches an sich haben. Das passiert mir einfach so, ich will das gar nicht so sehr forcieren. Manchmal ist es sogar umgekehrt. Das hat bestimmt jeder Komödiant schon einmal erlebt. Eigentlich will er ganz ernst sein. Manchmal merkt man das bei den Filmen von Woody Allen. Der hat sich sicher auch irgendwo einmal gesagt, dass ihn alle am Arsch lecken können und hat dann versucht eine Tragödie zu machen. Dann wird es aber doch wieder ganz komisch. Das ist schon etwas zwanghaftes, dass man dem Leben auch immer etwas Leichtes, etwas Positives abgewinnen möchte. Wie gesagt, dass passiert mir einfach. Und das war auch bei ‚Arschkalt‘ so. Am Anfang bin ich losgegangen um einen wirklich bitteren Film über Niederlagen zu machen.

filmtogo: Aber dann wurde es doch noch diese Komödie. Du selbst kommst aus dem Norden. Kann man denn sagen, dass ‚Arschkalt‘ einen typisch-norddeutschen Humor hat? Oder wie würdest du den Humor des Filmes beschreiben?

André Erkau: Also letztendlich bin ich jetzt wieder Norddeutscher. Ich war zwischendurch auch in Stuttgart oder habe in Köln gelebt. Jetzt bin ich zurück in den Norden gegangen. Der Film hat insofern etwas norddeutsches, dass wir die Landschaft genutzt haben um etwas über unsere Protagonisten zu erzählen. Da weht der Wind von vorne. In diesen großen Flächen von Landschaft sind kleine Menschen verloren. Aber nichtsdestotrotz findet man dieses ‚Hire & Fire‘, was im Film in der Arbeitswelt praktiziert wird, in allen Regionen. Man findet auch in allen Regionen Menschen, die sich mit dem Leben arrangieren müssen. Deren Leben ist nicht so verlaufen, wie sie es sich gedacht hatten. Und diese Art damit umzugehen und der Witz der daraus entsteht, der ist nicht Norddeutsch. Herbert Knaup kommt aus dem Allgäu, Johannes Allmayer kommt aus Karlsruhe. Wir hatten also ein bunt gemischtes Deutschlandteam vor und hinter der Kamera. Darum würde ich sagen, dass durch die Landschaft und durch den Wind, der von vorne weht, wir zwar ein solches norddeutsches Etikett haben, aber für jede Region etwas dabei ist.

filmtogo: Dein erster Film war ‚Selbstgespräche‘. Und auch da hast du die Handlung in der Arbeitswelt angesiedelt. In dem Film war das in einem Callcenter. Warum bist du jetzt mit ‚Arschkalt‘ wieder in dieser Arbeitswelt-Umgebung gelandet?

André Erkau: Ich denke, dass Arbeit oder die Abwesenheit von Arbeit sehr viel mit uns macht. Da wir in einer Zeit leben, in der sich bestimmte Sicherheiten auflösen, müssen wir darauf reagieren. Daher habe ich das Gefühl, dass dieses Thema zum Greifen nahe ist, so dass ich mich immer wieder damit beschäftigen möchte oder auch muss.

filmtogo: Und bei ‚Selbstgespräche‘ hast du auch schon mit Johannes Allmayer zusammen gearbeitet. War das jetzt Zufall oder entwickelt sich da so eine Regisseur/Schauspieler-Kollaboration, wie bei Filmemachern wie Tim Burton und Johnny Depp?

André Erkau: Also ich finde Johannes Allmayer super. Sowohl menschlich, als auch schauspielerisch. Er spielt auch super Fußball. Gleich drei Punkte, die für ihn sprechen. Es war aber tatsächlich so, dass wir ihn wirklich für diesen Film gecastet haben. Bei aller Freundschaft, wollte ich wirklich sicher gehen, dass das Team Herbert Knaup/Johannes Allmayer gut funktioniert. Aber ich wollte auch einfach sichergehen. Ich habe bereits seine vielen verschiedenen Facetten gesehen. Ich habe ihn vor der Kamera sehr häufig als introvertierten Menschen erlebt. Und auch als Mensch ist er eher ein stiller, zurückhaltender Typ. Und ich wollte einfach ausprobieren, ob wir ihn glaubhaft als jemanden zeigen können, der aus sich heraus sprudelt. Ich war so froh, dass das geklappt hat. Ich finde es wunderbar. Ich bin in der glücklichen Lage, in naher Zukunft noch einen Film drehen zu können. Aber auch da ist es wieder so, dass ich wieder gucken werde, wo es passt und wo es nicht passt. Ich will da jetzt nicht krampfhaft versuchen über den Film irgendwelche Freundschaften zu pflegen. Ich bin mir sicher, weil Johannes Allmayer so gut und wandlungsfähig ist, dass wir auf jeden Fall im Laufe der 50jährigen Filmkarriere, die mir hoffentlich noch bevor steht, wieder zusammen drehen werden.

filmtogo: Gab es für dich Vorbilder? Du hast den Film selbst auch als Buddy-Komödie eingeordnet. Da gibt es bekanntlich reichlich Filme, die auch auf dieser Basis funktionieren, auch mit diesen Gegensätzen, die da aufeinander prallen. Hast du dir da so ein paar Filme oder Pärchen ausgeguckt?

André Erkau: Ich habe für den Film nicht explizit nach Vorbildern gesucht. Die haben mich eher automatisch gefunden, weil ich schon seit jeher ein großer Billy Wilder Fan bin. Ich schätze seine Komödien, aber auch seine Dramen. Auch die Filme mit Jack Lemmon und Walther Matthau – ‚Ein seltsames Paar‘ oder ‚Der Glückspilz‘ – haben natürlich einen gewissen Beispielcharakter. Gerade was das Grummelige von Walther Matthau betrifft und das quirlig Lebensbejahende, oft auch Naive von Jack Lemmon. Aber als klar war, dass ich mich mit dem Drehbuch auf eine gewisse Spur begeben hatte, habe ich mir selbst verboten, da noch einmal reinzugucken. Oft beginnt man dann die Meister zu kopieren oder zitieren. Bei mir ist es eher so, dass man es mit dem Fahrradfahren vergleichen kann. Man hat es irgendwann einmal gelernt und noch im Hinterkopf. Ich kenne also die Filme, kann aber keine Dialoge nachsprechen. Aber sie sind da und sie haben natürlich etwas mit mir gemacht. Sie haben mich geprägt.

filmtogo: Man findet dich ja auch nicht nur hinter der Kamera, sondern ab und an auch davor. Zuletzt hattest du eine kleine Rolle in ‚Ein Tick Anders‘. Wo siehst du dich selbst eher Zuhause? Vor der Kamera oder hinter der Kamera?

André Erkau: Auf jeden Fall hinter der Kamera. ‚Ein Tick Anders‘ war nicht mehr als ein Cameo-Auftritt. Da habe ich im Wald eine Leiche entdeckt. Da hatte ich dann zwei oder drei Sätze als Pilzsammler. Aber auch da habe ich schon gemerkt, wie gestresst ich war. Ich komme zwar vom Theater und habe auch auf einer Schauspielschule gelernt, aber ich merke, dass ich mich hinter der Kamera wirklich Zuhause fühle. Dort kann ich mit einer gewissen Ruhe und Gelassenheit arbeiten. Diese Atmosphäre ist auch wichtig um letztendlich etwas Gutes zu erschaffen.

filmtogo: Du hast gerade das Theater und die Schauspielschule erwähnt. Wo war für dich der Punkt, wo du wusstest, dass du in der Filmwelt Fuß fassen möchtest?

André Erkau: Ich habe einige Jahre am Theater gespielt. Während dieser Zeit habe ich schon viele Sachen geschrieben. Das waren kleinere, szenische Dinge. Manchmal auch so bunte Abende am Theater. Da gab es dann immer so eine Art Nachtschicht um 22 Uhr. Da habe ich mit einem Kollegen kleine Miniaturen gemacht. Mit diesen geschriebenen Sachen habe ich mich dann auf der Filmhochschule beworben. Ich habe damals bemerkt, dass die Art wie ich erzählen möchte, nämlich dicht an die Menschen heranzugehen, eine Form ist, die der Film einlösen kann. Ich möchte nicht über das Theater lästern, aber für mich persönlich war es zu sehr ein Kunsthandwerk. Ich war nicht wirklich Feuer und Flamme fürs Theater. Ich wurde damals immer unzufriedener und bin sehr froh, dass ich da für mich einen Weg heraus gefunden habe.

filmtogo: Du hast vorhin über ein neues Filmprojekt gesprochen, welches du drehen wirst. Kann man da schon mehr erzählen?

André Erkau: Das nächste Projekt ist auch wieder eine Tragikomödie. Vielleicht wird es sogar noch eine Ecke tragischer. Sie trägt den Titel ‚Das Leben ist nichts für Feiglinge‘. Wotan Wilke Möhring steht als Darsteller schon fest. Die anderen Darsteller werden jetzt erst noch gecastet.

filmtogo: Und um zum Schluss noch einmal auf „Arschkalt“ zu sprechen zu kommen. Wie ist das bei dir selbst? Bist du ein Konsument von Tiefkühlkost oder dann doch lieber frisch vom Markt?

André Erkau: Ich bevorzuge es dann doch eher frisch vom Markt. Es wäre für die Werbung natürlich ganz toll, wenn ich sagen könnte, dass ich alle drei Tage Fischstäbchen esse. Aber das ist leider nicht der Fall. Und dann wäre ich auch eher so ein Schlemmerfilet-Typ. Hin und wieder so ein Schlemmer-Filet ist gar nicht mal so schlecht.

Das Interview führte Denis Sasse

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