Interview mit Judith End

Von Alexandra @Alexandra71

© FinePic Münche

Ende November habe ich Judith End's Buch, Sterben kommt nicht in frage, Mama! fertig gelesen. Das Buch, nein, Judith End hat mich sehr berührt, ihre Geschichte, wie sie damit umgegangen ist. Sie war sehr offen und hat einfach nichts schön geredet, sie hat tiefe Einblick in ihre Gedankenwelt sowie ihre Emotionen zugelassen, was ich sehr mutig finde. Denn egal wie fies sie zum teil waren, wie mutlos oder wüten, es gehört eben genau so dazu wie die Freude, der Mut und die Hoffnung. Aber wer Krank ist, ist nicht immer nobel. 
Nun sind 4 Jahre vergangen seit sie die Diagnose bekommen hat, zur Zeit ist alles gut und doch machte ich mir ein paar Gedanken über das Gelesene, sie als Person und wie es ihr im Moment wohl geht und in wie weit sie das alles beeinflusst hat und so bin ich an Frau End heran getreten und habe mit ihr ein Interview durchführen dürfen welches ich euch gerne vorlegen möchte
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ICH:Frau End, wie geht es ihnen, Heute?
FRAU END:Heute geht es mir gut. Dafür, dass ich damals nicht einmal sicher wusste, ob ich das Jahr überleben werde, sogar sehr gut. Trotzdem fordert mich die Krankheit mit all ihren Folgen auch heute noch fast jeden Tag heraus, sei es körperlich oder seelisch. Ich nehme noch einige Medikamente und manchmal schleicht sich auch die Angst vor einem Rückfall wieder ein. Aber eine Garantie auf morgen hat niemand und ich versuche das Beste aus dem Hier und Jetzt zu machen und bin froh über all die schönen Dinge in meinem Leben.
ICH:Sie haben sich damals gefragt, ob es überhaupt jemand interessiert was in einer Krebskranken Frau vor sich geht, als sie angefragt wurden einen Artikel für eine Zeitschrift zu schreiben. Sind sie überrascht wie viele sich das Buch kaufen und lesen?
FRAU END: Eigentlich nicht. Jeder 3. Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs, jede 8. Frau wird irgendwann mit der Diagnose Brustkrebs zu tun haben, der Krankheit, die die häufigste Todesursache bei jungen Frauen darstellt. Und nicht nur diejenigen sind betroffen, die selbst erkranken. Alle Angehörigen und Freunde zählen ebenfalls zum Kreise derer, die sich unweigerlich damit auseinandersetzen müssen, was diese oder eine andere Krankheit mit uns macht, wie sie das Leben verändert und eben nicht nur das der Kranken. Ich habe mich zwar tatsächlich gefragt, ob es jetzt genau meine Erfahrungen sein müssen, die veröffentlicht werden sollten, aber dann habe ich schnell gelernt, dass es die Erfahrungen vieler erkrankter Menschen sind. Im Kern sind es die gleichen Ängste, die gleichen Herausforderungen und der gleiche Kampf, den es zu bestehen gilt. Und es ist nicht nur ein Buch über eine Krankheit, es ist auch ein Buch über Beziehungen, Liebe, Alltagsbewältigung, Eitelkeit, das Sterben: ein Buch über das Leben eben.
ICH:Haben sie es bereut so offen und ehrlich gewesen zu sein, uns allen so viel Einblick in ihre Emotionen und Gedankenwelt gewährt zu haben?
FRAU END: Nein, überhaupt nicht. Wenn ich angefangen hätte, meine Gefühle und Erlebnisse zu zensieren und nur das aufzuschreiben, was mich in einem guten Licht darstehen lässt und niemanden Anstoß nehmen lässt, dann hätte ich es gleich bleiben lassen können. Ein solches Buch hilft niemandem. Den Lesern nicht und dem Autor auch nicht. Nur so ist es ein authentischer Bericht und das war mir sehr wichtig. Ich schäme mich für nichts und wusste spätestens, als sich die erste Leserin dafür bedankt hat, dass endlich mal jemand zugibt, dass man auch Neid und Wut und Selbstvorwürfe und Ärger spüren darf, dass manches einfach peinlich oder würdelos ist und dass es genauso die ganz feinen und leisen Momente gibt, die wunderschön sein können und von ganz großer Wichtigkeit, dass das der richtige Weg war, meine Geschichte zu erzählen. Und wenn nicht für jeden der richtige, dann zumindest mein Weg, und daher für mich der einzig richtige.
ICH:In ihrem Buch kommt oft rüber das sie bedenken haben ihrer kleinen Tochter (damals 4) zu viel zugemutet zu haben. Sind sie noch immer der Meinung das es falsch war sie mit ein zu beziehen?
FRAU END:Nein, überhaupt nicht. Und der Meinung war ich auch nie. Dass ich ihr so viel zumute, bezog sich einfach auf die Tatsache, dass sie nicht wie andere Kinder in einer stabilen Familie mit Mutter und Vater aufwachsen kann und dass das einzige Elternteil dann auch noch vom Tode bedroht ist. Für ein 4-jähriges Kind ein schweres Päckchen zu tragen, das ihr niemand abnehmen kann, weil es einfach ihre Geschichte ist. Dafür habe ich mir manchmal Vorwürfe gemacht, heute weiß ich, dass meine Aufgabe als Mutter nicht darin besteht, mein Kind in eine perfekte Welt zu setzen, das liegt gar nicht in meinem Einflussbereich. Meine Aufgabe ist vielmehr, mein Kind innerlich bestmöglichst auszustatten, damit sie lernt mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen.Und dazu gehört es meiner Meinung nach auch, dem Kind die Möglichkeit zu geben, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen. Ich habe ihr immer die Wahrheit über meinen Zustand gesagt und wir haben viel darüber gesprochen. So durfte auch sie ihre Wut und Angst ausleben und mir jede Frage stellen, die sie belastete. Gefühle sollten nicht im Schweigen ersticken und Kinder merken so oder so was los ist. Man sollte sie damit nicht alleine lassen und in Kontakt bleiben. Das ist glaube ich das wichtigste.
ICH:Ich, als ein Kind einer Krebskranken (die leider nicht überlebt hat), empfand das Schweigen, das Schönreden, das Ignorieren viel schlimmer. Ich fühlte mich sehr einsam und allein gelassen. Ich persönlich denke, dass dies mehr Schaden angerichtet hat, als wenn man mit mir offen umgegangen wäre. Wie hat Paula das alles verkraftet, was denken sie? Sprechen sie heute noch darüber was geschehen ist?
FRAU END:
Was Sie schildern, entsprach genau meinem Gefühl. Wenn man nicht mit den Kindern spricht, entstehen außerdem Fantasieräume, in denen sich das Kind alles mögliche ausmalt und die Schuld am Ende noch bei sich selbst sucht. Ich finde, Paula hat meine Krankheit ganz gut verarbeitet. Natürlich bleiben Ängste und sie hat für ihre 8 Jahre schon ein relativ schweres Päckchen zu tragen. Aber wir sind uns sehr nah und wenn Ängste oder Fragen aufkommen, sprechen wir selbstverständlich auch heute noch darüber.
ICH:Das Buch, oder besser das Schreiben, war bestimmt noch mal eine weitere Verarbeitungsmöglichkeit, was haben sie währenddessen daraus gelernt oder was für ein Fazit haben sie zum Schluss gezogen?
FRAU END:Schreiben hat etwas sehr befreiendes und therapeutisches. Es war sowohl ein Trost als auch ein Ventil für all die Ängste und negativen Gefühle, die ich hatte und mit denen ich irgendwo hin musste. Beim Schreiben ordnen sich die Gedanken und Gefühle ganz automatisch und es erlaubt auch einen distanzierteren Blick auf die Geschehnisse. Ich bin auch froh, dass Paula und ich später noch einmal die Möglichkeit haben werden, uns an das, was passiert ist, ganz unmittelbar zu erinnern, denn man wird es immer nachlesen können, sollten wir anfangen zu vergessen. Schreiben ist für mich die beste Therapie.
ICH:Im Buch beschreiben sie ihren Autonomiekampf ganz gut, sie wollen bestimmen, wann sie zum Beispiel die Perücke aufsetzen wollen. Sie wollen bestimmen wann sie sich das Mitleid der anderen anhören können. Haben sie etwas Autonomie rüber retten können aus dieser Zeit oder ist das alte Muster schon bald wieder ans Tageslicht getreten.
FRAU END: Ich habe definitiv gelernt, besser auf meine eigenen Bedürfnisse zu hören und mich für sie einzusetzen. Das sind manchmal nur Kleinigkeiten, aber das positioniert mich anders in der Welt als vorher. Ich war nicht gut im Nein-Sagen und im Ziehen von Grenzen. Viel zu oft habe ich mich überfordert oder meine eigenen Wünsche hinten angestellt, um zu gefallen, um nicht anzuecken, weil ich dachte, ich muss dies und das tun, weil es sich eben so gehört. Heute bin ich freier und selbstbestimmter in meinen Entscheidungen.
ICH:
Sie haben sich gegen einen Brustaufbau entschieden, damals. Haben sich inzwischen um entschieden oder brauchten sie sie doch um sich „Ganz“ oder weiblich zu fühlen?
FRAU END: Ich habe nach wir vor keinen Aufbau machen lassen und lebe immernoch mit einer Brust.Der Aufbau würde mir nicht das zurückgeben könnte, was ich verloren habe, sondern allenfalls eine optische Reparatur darstellen, zu der man auch erstmal bereit sein muss. Ich identifiziere mich nicht über meine Krankheit, aber sie gehört nunmal zu meinem Leben und bisher war es Teil des Verarbeitungsprozesses, meinen Körper und mein Leben mit den inneren und äußeren Narben anzunehmen und zu akzeptieren. Wenn die seelischen Narben irgendwann weitgehend verblasst sind, und ich bin auf einem guten Weg dahin, dann gönne ich mir vielleicht auch nochmal eine hübsche zweite Brust. Aber auch nur vielleicht.
ICH:
Persönlich bin ich wirklich sehr beeindruckt von ihrer Stärke, und oft ertappte ich mich wie ich mich gefragt habe, wie diese Frau trotz allem noch so viel Humor aufbringen kann. Hat der Humor ihnen Kraft gegeben nicht zu verzweifeln?
FRAU END:
Seinen Humor nicht zu verlieren, ist mit Sicherheit eine sehr große Hilfe. Viele Situationen, in die man gerät, stellen einen vor die Entscheidung, völlig frustriert aus ihnen herauszugehen oder ihnen das Komische abzugewinnen und einen gewissen Sarkasmus freizulegen, der befreiend sein kann. Ich habe aber auch viele andere Frauen getroffen, die sehr humorvoll mit ihrer Situation als Glatzköpfige oder Brustlose umgegangen sind. Das heißt nicht, dass man nicht genauso traurig darüber ist, man macht nur eben das Beste daraus.
ICH:Sie haben während der Zeit der Chemo mit ihrem Studium weiter gemacht, half ihnen dies als Anker für die Zukunft? Würden sie das heute noch mal so machen?
FRAU END:Auf jeden Fall würde ich das wieder genau so machen. Es war zwar unglaublich anstrengend aber so war ich nicht nur eine krebskranke, hilflose Person, sondern auch eine Studentin mit Möglichkeiten und einem Plan. Außerdem habe ich so die Bestätigung bekommen, dass ich zwar vieles verloren hatte, nicht mehr mit meinem langen blonden Pferdeschwanz wedeln oder mit den Wimpern klackern konnte, aber dass das Wichtigste noch da war: Meine Gedanken, meine Hirnzellen, meine Sprache.
ICH:Wie hat sie der Krebs verändert?
FRAU END:Ich bin selbstbewusster geworden und das meine ich im wortwörtlichen Sinne: Ich bin mir meiner Selbst bewusster. Ich kann meine Gefühle besser wahrnehmen und besser darauf reagieren. Ich kann mich besser abgrenzen und weiß heute schon sehr viel mehr darüber, was ich vom Leben will und was mir wichtig ist.
Man wird auf sehr brutale Weise auf sich selbst zurückgeworfen in einer solchen Situation und hat praktisch kaum eine andere Wahl, als sich mit seiner eigenen Person und seiner Seele zu beschäftigen. Wenn man das Glück hat, wieder gesund zu werden, hat man durchaus die Chance, gewachsen aus einer solchen Lage hervorzugehen.
Man wird bei Weitem nicht automatisch weise und gelassen, weil man dem Tod von der Schippe gesprungen ist. Aber ich habe eine gewisse Demut und Dankbarkeit gelernt, die ich vorher nicht so bewusst empfunden habe und verstehe es heute besser, im Hier und Jetzt zu leben und mir nicht so viele Gedanken um die Zukunft zu machen. Die kommt oder kommt eben nicht, aber das Leben findet immernoch im jeweiligen Moment statt.
ICH: Existiert die Angst noch immer das der Krebs noch mal zurück kommt?
FRAU END:Ich fühle mich zwar nicht mehr krank, aber sehrwohl als Betroffene, als Bedrohte. Die akute Krankheit ist überstanden, aber damit ist nicht alles vorbei. Ich kann morgen wieder einen Befund bekommen und dann werde ich vielleicht nicht mehr gesund. Dieser Umstand ist mir sehr bewusst und somit begleitet mich die Erkrankung weiterhin jeden Tag. Ich muss ja nur nackt in den Spiegel gucken und meine Narben erinnern mich wie Mahnmale daran, wie fragil meine Gesundheit und mein Leben sind. Das macht mir natürlich Angst. Auch wenn ich die Last der Angst im Alltag nicht ständig spüre, ist sie irgendwo in mir und bricht auch von Zeit zu Zeit aus.
ICH: 
Und zum Schluss.... Sie erzählen das sie sich manchmal doch sehr einsam gefühlt haben. Was würden sie sich von der Gesellschaft wünschen? Was für Gedanken möchten sie an Verwandte, Bekannte und Freunde von Betroffenen weiter geben?
FRAU END:Auch wenn es heute durchaus eine gewisse mediale Präsenz gibt und das Thema nicht mehr ganz so stark tabuisiert wird, isoliert Krebs jeden Betroffenen immernoch sehr stark. Aber wenn jemand darüber schreibt oder spricht, wird er immernoch gefragt, warum die Öffentlichkeit erfahren sollte, wie man sich als Erkrankter fühlt. Das verstehe ich nicht. Das zeigt doch, dass nach wie vor zu wenig darüber gesprochen wird.
Heilsam ist immer, sich nicht alleine und nicht ausgegrenzt zu fühlen. Als wir beispielsweise in Hamburg einen Raum für einen Fitnesskurs nach Brustkrebs suchten, bekamen wir von mehreren Fitnessstudios die Antwort, so etwas würde andere Besucher belästigen. Das ist symptomatisch für den Umgang, den unsere Gesellschaft mit Kranken pflegt: wegsehen, ignorieren, alleine lassen. Das muss sich ändern, denn die Frau, die sich heute vermeintlich belästigt fühlt, ist morgen vielleicht selbst krank. Nur, dass diese Tatsache in einer Welt, in der Jugend und Schönheit zu den wichtigsten Attributen eines Menschen geworden sind, erfolgreich verdrängt wird.
ICH:
Was wünschen sie sich für die Zukunft, ganz persönlich für sich, was für ihre Tochter?
FRAU END: Gesundheit, viel Zeit miteinander, einen erfüllenden Job für mich und vielleicht in absehbarer Zeit auch wieder eine neue Liebe. Für Paula wünsche ich mir, dass sie weiterhin so ein herzensgutes, zauberhaftes und kluges Mädchen bleibt, dann werden ihr alle Türen offen stehen.
Ich bedanke mich hiermit noch mal herzlich bei Judith End für das offene  Interview und wünsche ihr  und ihrer Tochter alles Gute, Gesundheit und Glück.