Jens Sommer bei Schlämmarbeiten in Eppelsheim. Foto: Privat
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Frage: Herr Dr. Sommer, Ihre Doktorarbeit über die rund zehn Millionen Jahre alten Ablagerungen des Ur-Rheins bei Eppelsheim, die so genannten Dinotheriensande, spiegelt den neuesten Wissensstand hierüber wieder. Wie und wann kamen Sie auf die Idee, sich diesem Thema zu widmen?
Antwort: Mein Interesse galt schon immer den tertiären Säugetieren. Als Student der Geologie/Paläontologie absolvierte ich im Jahr 2000 mein Praktikum an der Grabungsstelle bei Eppelsheim unter der Leitung von Dr. Jens Lorenz Franzen. Während dieser Zeit gelang mir ein bedeutender Fund, worauf mich Dr. Franzen bat, doch über eine Doktorarbeit über die "Dinotheriensande" nachzudenken. Im Jahre 2001 verbrachte ich meinen Urlaub als Grabungshelfer an der Grabungsstelle bei Eppelsheim wo ich Dr. Ottmar Kullmer vom Forschungsinstitut Senckenberg kennen lernte. Auch er legte mir diesen Vorschlag nahe. Unter seiner Betreuung begann ich mit meiner Arbeit am 6. Januar 2002.
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Frage: Die Dinotheriensande heißen so, weil sie Zähne und Knochen des bis zu 3,60 Meter hohen Rüsseltieres Dinotherium giganteum enthalten. Ist dieser Begriff heute noch berechtigt?
Antwort: Wie heute waren die Dinotherien auch früher schon äußerst interessante und ungewöhnliche Tiere. Die Ablagerungen, in denen sie gefunden wurden, hat man verständlicherweise nach ihnen benannt. Da Funde von Pferden (früher Hipparion, heute Hippotherium) in den Dinotheriensanden recht häufig sind, wurde früher auch erwogen, die Ablagerungen „Hipparionsande“ zu bezeichnen. Auch die Bezeichnung „Eppelsheimer Sande“ wurde schon früher diskutiert. Heute werden diese berühmten Ablagerungen als „Eppelsheimer Formation“ deklariert.
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Frage: Bei der Lektüre Ihrer Doktorarbeit über die Dinotheriensande fällt einem bald auf, dass damit ein ungeheuer großer Arbeitsaufwand verbunden war. Welche Aktivitäten haben Sie am meisten Zeit gekostet?
Antwort: Der zeitliche Rahmen dieser Doktorarbeit erstreckte sich vom 6. 1. 2002 bis zur Prüfung am 5. 9. 2007. Die praktische Datenaufnahme habe ich im Frühjahr 2006 beendet und mich dann der schriftlichen Arbeit gewidmet. Für die 10.165 Gerölle, die ich bestimmt und vermessen habe, brauchte ich im Sommer 2003 an der Grabungsstelle "nur" 3 Wochen. Den größten Arbeitsaufwand benötigte ich für die 9.483 fossilen Wirbeltierfragmente aus den Dinotheriensanden in Rheinhessen und die sedimentologischen Profilaufnahmen an der Grabungsstelle bei Eppelsheim. Für die einzelnen fossilen Wirbeltierfragmente in den historischen Sammlungen und der aktuellen Grabung in Eppelsheim wurden wenn möglich folgende Daten ermittelt: Inventarnummer, Fundbestimmung, Fundort, Fundmenge, Abkauungsgrad der Zähne, Abrollungsgrad, Bruchmuster, Mindestanzahl von Individuen und ihr Altersspektrum, Oberflächenmarken und Fundfarbe. Mit den Daten der Gerölle ergibt dies über 100.000 Messdaten.
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Wissenschaftliche Grabungen bei Eppelsheim im Herbst 2008. Foto: Ernst Probst
Frage: Sie haben an wissenschaftlichen Grabungen bei Eppelsheim (Kreis Alzey-Worms) in Rheinhessen teilgenommen. Ist Ihnen dabei ein wichtiger Fund geglückt?
Antwort: Ja, am Morgen meines dritten Praktikumstages habe ich im Grobsieb an der Schlämmanlage ein kleines Fragment eines Unterkiefers mit einem Zahn gefunden. Die fertig geschlämmte Probe wurde zum Trocknen auf einer großen Folie verteilt und bis zum Abend von mir mit einer Lupe und einem kleinen Pinsel durchgesehen. Dabei fand ich zwei weitere kleine Unterkieferbruchstücke und einen weiteren Zahn, welche alle zu einem Fragment zusammen passten. Wie sich herausstellte, handelte es sich um ein Unterkieferfragment eines Kleinsäugers (Plesiosorex roosi). Dies war der erste Kleinsäugerfund in den Dinotheriensanden überhaupt. Kleinsäugerfunde sind sehr wichtig, da sie einen sehr schnellen Generationswechsel haben und somit für die zeitliche Einordnung der Fundstelle sehr wichtig sind. Nebenbei fand ich in dieser durchgesehenen Probe noch ein Schildkrötenfragment (Trionyx sp.) und, wie sich erst später herausstellte, erstmalig einen Fund eines Maulwurfes (Talpa vallesensis) in Form eines Humerus (Oberarmknochen). Bedingt durch ihre grabende Tätigkeit sind diese Oberarmknochen besonders kräftig im Knochenbau.
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Frage: Hat man bei den Grabungen in Eppelsheim neue Erkenntnisse über den Urrhein gewonnen?
Antwort: Bisher hatte man immer spekuliert, wie es zu dieser Anhäufung von Wirbeltierresten kam. Bei meinen Forschungen zeigte sich, dass die fossilen Skelettreste größtenteils zerbrochen waren. Da sie in einem Flusslauf abgelagert wurden, habe ich sie auf Abrollungsspuren untersucht. Auch dies bestätigte sich. Bedingt durch meine praktische Grabungsarbeit bei Eppelsheim in den Jahren 2000 bis 2005 hatte sich gezeigt, dass alle Funde in den Dinotheriensanden nicht im Skelettverband gemacht wurden. Überwiegend waren die Funde einzeln abgelagert worden, ausgenommen im Strömungsschatten größerer Objekte, wie der große Kalkklotz im Grabungsbereich von Eppelsheim, wo die Wirbeltierreste gehäuft und durchmischt aber nicht im Skelettverband abgelagert wurden. Auch habe ich alle Funde aus allen bekannten Fundlokalitäten in Rheinhessen in den historischen Sammlungen verglichen und herausgefunden, dass sie vom Erhaltungszustand (Bruchmuster, Abrollungsgrad, Farbe) fast identisch sind. So zeigte sich mir im Grabungsbereich bei Eppelsheim, dass die Wirbeltierreste schwerpunktmäßig in drei Fossilhorizonten abgelagert wurden. Wilhelm Wagner beschrieb 1946 und 1947 am Wissberg bei Gau-Weinheim drei Fossilhorizonte im fast identischen Höhenniveau wie in Eppelsheim. Oberflächenspuren von Insekten und Raubtieren (Nagespuren, Bissspuren) deuteten auf eine längere Liegezeit der Tierkadaver, Skelette oder Teilskelette vor ihrer Sedimentation im Ur-Rhein hin.
Alle diese Fakten geben folgendes Bild wieder: Der eigentliche Fluss hatte sich im Laufe der Zeit in den kalkigen Untergrund eingearbeitet und floss tektonisch bedingten Störungen und Schwächezonen entlang. Durch zeitweilige stärkere Strömung (z. B. durch Frühjahrshochwasser) und dem dadurch resultierenden breiteren Flussbett wurde das aus dem Süden mit geschwemmte Material aus dem Uferbereich des Ur-Rheins in Form von Geröllen, Wirbeltierresten (Abrollungsgrad, Bruchmuster), Tonlinsen und Sande bei Strömungsrückgang im Flussbett, vorzugsweise in drei Fossilhorizonten, abgelagert. Durch die Hebung Rheinhessens oder die Einsenkung des Oberrheingrabens ist der Ur-Rhein nach Nordosten in seine heutige Lage gewandert, während der alte Verlauf verlandet ist. Die geologische Entwicklung des Ur-Rheins im Bereich Eppelsheim ist offenbar charakterisiert durch die Einwirkung von Sedimentation, tektonischer Hebung, Verkarstung und Erosion.
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Frage: Der Ur-Rhein floss vor etwa zehn Millionen Jahren nicht durch die Gegend von Mainz und Wiesbaden, sondern westlich davon über die Gegend von Alzey auf die Binger Pforte zu. Weiß man, wie breit und tief dieser Fluss war und ob er Nebenarme hatte?
Antwort: Bei den Grabungen bei Eppelsheim zeigte sich, dass der Flusslauf in diesem Bereich eine Breite von etwa 45 bis 60 Meter erreichte. Er war nicht besonders tief, hatte aber mit Sicherheit in diesem kalkigen Untergrund (Verkarstung) einige Nebenarme. Die Zusammensetzung der Ablagerungen, insbesondere die drei Fossilhorizonte, zeigen, dass der Ur-Rhein bei Hochwasser, z. B. im Frühjahr, wesentlich breiter gewesen sein muss. Dies kennen wir auch vom heutigen Rheinverlauf. Nur damit ist zu erklären, warum so viele Skelettreste und Gerölle aus dem Umland zusammengeschwemmt und schwerpunktmäßig im Flusslauf, nachdem die Strömungsgeschwindigkeit zurück ging, abgelagert wurden.
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Frage: In Rheinhessen kennt man rund ein Dutzend Fundstellen mit Ablagerungen des Ur-Rheins. Welche sind die bedeutendsten?
Antwort: Die bedeutendsten Fundstellen liegen am Wissberg bei Gau-Weinheim, bei Eppelsheim, Westhofen und Esselborn. Sie lieferten bisher die meisten fossilen Wirbeltierfragmente.
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Frage: Die Einwohner des Dorfes Eppelsheim interessieren sich sehr für die Grabungen und Funde in der Gegend ihres Wohnortes. Ist dies der Normalfall?
Antwort: Das Interesse bei den Eppelsheimer Bürgern und Bürgerinnen an der Grabung ist unglaublich groß. Da wird ein Anhänger mit 2000 Liter Wasser für die Schlämmanlage organisiert und natürlich immer auf Verlangen nachgefüllt. Häufig wird Essen aus dem Ort zur Grabungsstelle gebracht oder wir werden in den Ort zum Essen eingeladen. Dabei wechseln sich die Eppelsheimer Familien ab. Das ganze Flair ist freundlich und herzlich. Ich denke, dies ist nicht überall so.
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Rüsseltier Deinotherium giganteum auf einer Zeichnung des Prager Malers Pavel Major aus dem Dinotherium-Museum in Eppelsheim. Bild: Förderverein Dinotherium-Museum e.V. Eppelsheim
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Frage: Welche von den teilweise sehr exotischen Tieren aus der Zeit der Dinotheriensande faszinieren Sie persönlich am meisten?
Antwort: Die imposanten Dinotherien, zumal immer noch nicht ganz klar ist, wozu sie ihre Stoßzähne eingesetzt haben. Man glaubt, dass sie mit ihnen die Rinde der Bäume abgeschabt und höherliegende Äste herunter gezogen haben. Für mich sind diese Tiere besonders faszinierend und was ihre damalige Lebensweise angeht immer noch geheimnisvoll.
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Frage: Glauben Sie, dass in der Gegend von Eppelsheim noch viele bisher unbekannte Tierarten entdeckt werden können?
Antwort: Mit Sicherheit liefern die Dinotheriensande oder Eppelsheimer Formation noch weitere überraschende Funde. Bei der relativ weiten Verbreitung der Eppelsheimer Formation in Rheinhessen kann man noch einige interessante bzw. neue Funde erwarten. Obwohl die Eppelsheim-Formation bisher eine reiche Artenvielfalt geliefert hat, kann man davon ausgehen, dass es noch viele Tierarten gibt, die bisher unentdeckt blieben und weitere Bausteine zur genaueren Rekonstruktion der Paläoökologie und zur biochronologischen Einstufung liefern würden. Neben den bislang wissenschaftlich beschriebenen Arten sind besonders weitere Kleinsäuger-Funde für eine präzisere zeitliche Einstufung der Ablagerungen von Bedeutung. Es sind auch weitere seltene Menschenaffenfunde zu erwarten, deren Entwicklungsgeschichte in Mitteleuropa aus der Zeit der Eppelsheim-Formation wichtige Information zur frühen Stammensgeschichte der Menschheit liefern kann. Deshalb ist das Fortführen von wissenschaftlichen Grabungsarbeiten in der Eppelsheim-Formation von besonderem internationalem Interesse.
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Frage: Wie war das Klima zur Zeit des Ur-Rheins vor etwa zehn Millionen Jahren?
Antwort: Es war damals wärmer und bedeutend feuchter als heute. Die mittleren Jahrestemperaturen betrugen 11 bis 15 Grad Celsius gegenüber 10 bis 11 Grad Celsius heute und die durchschnittlichen Jahresniederschläge 1.000 bis 1.200 Millimeter, wobei heute weniger als 500 Millimeter fallen.
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Frage: Gediehen am Ufer des Ur-Rheins wärmeliebende Palmen und sonnten sich dort Krokodile?
Antwort: Weder Palmen noch Krokodile hätten wir am Ufer des Ur-Rheins angetroffen. Zur Zeit der Ablagerungen der Eppelsheim-Formation war es in dem Gebiet, welches wir als Rheinhessen kennen wärmer und feuchter als heute, aber nicht tropisch genug für Palmenbewuchs.
Die drei Krokodil-Zähne die am Wissberg gefunden wurden sind ältere umgelagerte Fossilien aus dem Oligozän.
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Frage: Funde aus Eppelsheim werden in vielen Museen aufbewahrt. Welches Museum besitzt die meisten Fossilien aus Eppelsheim?
Antwort: Bedingt durch die aktuelle Grabung in Eppelsheim durch das Naturhistorische Museum Mainz/Landessammlung Rheinland-Pfalz befinden sich dort derzeit die meisten fossilen Wirbeltierfragmente aus der Eppelsheim-Formation in Rheinhessen.
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Altbürgermeister Heiner Roos im Dinotherium-Museum. Foto: Ernst Probst
Frage: „Geistiger Vater“ des 2001 gegründeten Dinotherium-Museums in Eppelsheim ist Altbürgermeister Heiner Roos. Hatten Sie bei den Grabungen oft Kontakt mit diesem rührigen Ortschef?
Antwort: Herr Roos ist ein Unikat für sich. Ein freundlicher und hilfsbereiter Mann, der für Eppelsheim und besonders für das Dinotherien-Museum sowie die Grabungsstelle immer tätig ist. Bemerkenswert ist, wie sich Herr Roos in den letzten Jahren, ich kenne ihn schon 9 Jahre, in das Thema Dinotheriensande/Eppelsheim eingearbeitet hat. Dass er Besuchergruppen sehr informativ durch das Eppelsheimer Dinotherium-Museum führt, bleibt da nicht aus.
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Die Fragen für das Interview stellte der Wiesbadener Wissenschaftsautor Ernst Probst, der das Weblog http://wissenschafts-news.blog.de betreibt
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Literatur zum Thema:
Jens Sommer: Sedimentologe, Taphonomie und Paläoökologie der miozänen Dinotheriensande von Eppelsheim/Rheinhessen. Doktorarbeit 2007
Ernst Probst: Der Ur-Rhein. Rheinhessen vor zehn Millionen Jahren, München 2009
http://www.libri.de/shop/action/productDetails/8105517/ernst_probst_der_ur_rhein_3640248015.html
Jens Lorenz Franzen / Heiner Roos / Ernst Probst: Das Dinotherium Museum in Eppelsheim, Eppelsheim 2009