Interview mit Caroline Link

Von Pressplay Magazin @pressplayAT
Interview

Veröffentlicht am 9. November 2013 | von Wolfgang Bruckner

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Interview mit Caroline Link

Anlässlich ihres neuen Films Exit Marrakech hat sich pressplay mit der Filmemacherin Caroline Link im Café Aux Gazelles in Wien auf ein gemütliches und ausführliches Gespräch getroffen und über Ideenfindung, die richtige Besetzung, dem Druck nach dem Oscargewinn und vieles mehr gesprochen.

In Ihrem neuen Film Exit Marrakech sind sehr viele Themen ineinander verstrebt. Es geht um einen Vater-Sohn Konflikt, es ist ein bisschen ein Road-Movie, es geht ums Erwachsenwerden, es ist ein Abenteuerfilm. Was war Ihr Ausgangspunkt beim Verfassen des Drehbuchs, von dem aus Sie den Film entwickelt haben?

Ich weiß, dass das relativ unorthodox ist und man es an allen Filmhochschulen anders lernt, aber in diesem Fall war es tatsächlich so, dass ich mich an dieses Land (Anm.: Marokko) erinnert habe und schon seit längerer Zeit vorhatte hier einen Film zu drehen. Das kann natürlich nicht der einzige Anstoß sein einen Kinofilm auf den Weg zu bringen, aber es war tatsächlich so, dass ich in diesem Land, in dieser gleichzeitigen Atmosphäre von Verführung und Gefahr, von sinnlichen Eindrücken und Fremdheit eine Geschichte ansiedeln wollte, die ganz vage in meinem Hinterkopf herumgesponnen ist. Ich hatte diese Konstellation Vater-Sohn in meinem Kopf, weil es in meinem familiären und privaten Umfeld einige junge Männer gibt, die ohne Väter aufgewachsen sind, eine sehr intensive und starke Beziehung zu ihren durchaus tollen alleinerziehenden Müttern haben und die sich fast schon als Freunde und Partner ihrer Mütter verstehen. Sie empfinden also eine große Loyalität zu ihren Müttern, sind damit aber auch ein stückweit belastet, weil sie wahnsinnig wenige männliche Rollenvorbilder in ihrem Leben haben. Ich denke mir, dass man sich als junger Mensch dann in irgendeinem Alter auch auf den Weg macht zu begreifen, wer man selber ist bzw. wer der Vater, also die zweite Hälfte des genetischen Materials, ist. Wenn der ein Idiot ist, wer ist man dann denn eigentlich selber und wie viel von dem Vater ist in einem drin? Also das waren so die zwei Anstöße des Films: Marokko und dieses Sich-Gegenüberstehen von zwei Männern, die sich gegenseitig kaum kennen.

Lässt sich der Film als Plädoyer für Familie verstehen, ist das eine Botschaft des Films? Auch in Bezug auf die Figur der Karima, die von ihrer Familie verstoßen wird und trotzdem an ihr festhält?

Ich glaube einfach, es gibt kein Entkommen. Familie ist, ob man es will oder nicht, ob man das gut findet oder nicht, das was uns prägt und ich glaube, dass wir da nicht rauskommen. Man muss sich mit dem eigenen Selbst und der Welt aus der man kommt auseinandersetzen und den Menschen, die einen geprägt haben. Und wenn es keine Beziehung zur Familie gibt, dann ist das auch ein Statement, dann hat uns das auch geprägt. Und die Karima anerkennt das auf ihre Weise. Sie weiß, es sind keine idealen Bedingungen, sie weiß, es liegt alles mögliche im Argen, aber es ist trotzdem ihre Familie und es gibt kein Zurückweisen. Man kann sich trennen, aber man muss den Wert schon anerkennen glaub ich und darum geht es ja in meinen Filmen irgendwie immer, dass ich glaube, dass wir versuchen sollen oder müssen, oder gar nicht anders können, als zu versuchen uns mit dem, wer wir sind, und dem, woher wir kommen, irgendwie auseinanderzusetzen und zu arrangieren. Es gibt ja die wildesten Vorstellungen und Thesen darüber, was Familie ist oder zu sein hat. Man denke nur an den deutschen Familientherapeuten Bert Hellinger, der behauptet, dass sich Kinder von ihren Eltern immer verneigen müssen, egal was Eltern ihren Kindern antun. Verneigen im Sinn von: du musst lieben wer du selber bist, du musst dich selber lieben und du musst deine Ursprünge kennen und anerkennen, weil du sonst nie ein ganzer Mensch sein kannst. Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde, aber ich glaube schon, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft und Familie wesentlich ist.

Ihr Film spielt in Marokko, genauer gesagt in Marrakech. Wie waren dort die Drehbedingungen bzw. wie ist Ihre Arbeit von den Marokkanern aufgenommen worden?

Die Marokkaner sind in dieser Hinsicht viel gewohnt, weil Marokko ein ziemliches Filmland und König Mohammed der VI. sehr filmaffin ist. Es gibt ein großes Festival im Winter in Marrakech und es wird auch sonst viel gedreht. Alles was in dieser Region spielt, sei es in Nordafrika oder im Nahen Osten wird größtenteils in Marokko gedreht. Hier haben sie sehr gute Leute, die auch überhaupt keine Probleme damit haben, dass da jetzt eine Frau kommt und Regie macht oder so, also das ist überhaupt kein Thema. Es gibt nicht unbedingt wahnsinnig gutes Equipment, haben wir feststellen müssen (lacht). Es gibt ein paar verrostete Kräne aber ansonsten ist da nicht viel zu holen. Man muss alles mitbringen aber man kann in diesem Land sehr viel machen, man bekommt auch Drehgenehmigungen und wird sehr unterstützt.

Der Film wirkt teilweise wie ein Touristenfilm, vermittelt ein bisschen das Flair von Tausendundeiner Nacht und macht Lust, selbst nach Marrakech zu reisen, …

Ist das so? Finden Sie? Denn das wollte ich eigentlich eben nicht, das wollte ich vermeiden.

… dieser Eindruck wird aber dann doch immer wieder durch gesellschaftskritische Momente gebrochen. So wird die Stellung der Frau in der arabischen Welt thematisiert, aber auch die Toleranz und Einstellung Homosexuellen und Prostitution gegenüber und der Anspruch Europas seine „Hochkultur“ anderen Ländern aufzudrängen. All diese gesellschaftskritischen Momente sind allerdings für die Handlung des Films nicht wirklich relevant. Was war der Hintergedanke diese Themen dennoch im Film anzusprechen?

Ich finde diese Wahrheiten, die wir meinen schon alle zu wissen, ehrlich gesagt in diesem Film, in dem es um einen deutschen Vater mit einem deutschen Sohn vor dieser Kulisse Marokkos geht, irgendwie langweilig. Ich reise nicht in ein Land um meine Vorurteile und mein beschränktes politisches Wissen über diese Kultur und dieses Land noch einmal zu illustrieren. Ich will überhaupt nicht erzählen, wie schlecht es den Frauen in dieser Kultur geht oder wie sehr die Homosexuellen unterdrückt werden. Ich will zuerst einmal schauen, was eigentlich ist und ich sehe, dass Prostitution und Homosexualität, zwei Themen die in Marokko nicht gerne öffentlich behandelt werden, überall präsent sind und dass die Menschen sich auch gut damit arrangieren. In der islamischen Welt haben junge Männer oftmals keinen Kontakt zu Frauen bevor sie verheiratet sind, es sei denn zu Prostituierten. Und deswegen haben sehr viele Jungs ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit anderen Jungs. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie deswegen schwul sind. Es gibt soviel zu entdecken, was die Menschen erzählen, wenn sie merken, dass du nicht unbedingt gleich wieder eine Meinung dazu hast. Ich will nicht immer diese Meinungen, die wir hier in jedem Blättchen lesen können noch einmal weiterverfolgen oder bestätigen. Die von Ihnen angesprochenen Problematiken sind zwar nicht die Themen des Films, aber sie spielen mit hinein und das anzudeuten entspricht der Normalität im Alltag in Marokko.

Die Themen sind also Teil des Films, weil sie in Ihrer Wahrnehmung Teil des Lebens in Marokko sind…

Ich nehme diese Dinge wahr und möchte sie so stehen lassen. Ich sehe, wie sich die Frauen in ihren Familien verhalten, ich sehe Homosexualität im Alltag und ich will das nicht sofort erklären und schon gar nicht kritisieren. Ich will das einfach nur wahrnehmen und so zeige ich das in meinen Filmen als Alltäglichkeit, verfolge aber keine politische Mission damit. Ich möchte es einfach nur zur Kenntnis nehmen dürfen. Und ich glaube, dass ist auch wichtig, weil was die Araber und die arabische Welt komplett abtörnt, ist immer unser Missionscharakter, mit dem wir hier anreisen. Wir wissen nichts, aber meinen immer wir müssen ihnen die Welt und das Gesellschaftssystem erklären.

Kommen wir kurz zu den Hauptdarstellern. Da ist einerseits in der Rolle des Heinrich Ulrich Tukur, der ja schon sehr etabliert und ein bekannter Schauspieler ist, andererseits Samuel Schneider als Ben, der noch relativ unbekannt ist. Wie wählen Sie Ihre Schauspieler aus und warum sind es letztendlich diese beiden geworden?

Wenn man einen 55-jährigen Vater besetzen will, kommt man schnell auf die Idee vielleicht Ulrich Tukur mit in Betracht zu ziehen, weil er natürlich kein unbekannter Schauspieler ist und sehr viele Eigenschaften mit bringt, die für die Figur des Heinrich hilfreich sind. Er ist ein sehr kosmopolitischer Mensch, lebt in Italien, spricht fließend Französisch, ist ein Künstler und Tausendsassa, hat antagonistische Qualitäten und ist gleichzeitig ein sehr warmer, offener und humorvoller Mensch. Als wir uns kennengelernt haben und er mein Drehbuch gelesen hat, hat er mir von seiner eigenen privaten Situation erzählt, dass er zwei Töchter hat, die in Amerika aufgewachsen sind und zu denen er wenig Kontakt hat. Da gab es also gleich eine große Übereinstimmung. Ich wusste dann beim Ausarbeiten des Drehbuchs bereits, dass er den Heinrich spielt und konnte die Figur ihm entsprechend ein bisschen prägen. Genauso lief das Casting der Jugendlichen parallel zum Schreiben. Ursprünglich suchte ich für die Rolle des Ben einen Fünfzehnjährigen, eher unattraktiveren, pickligen und schüchternen Junge und als Samuel durch die Tür kam dachte ich, der kann gleich wieder gehen, der ist viel zu gutaussehend, der hat nicht diese Probleme. Dann war er im Casting aber einfach wahnsinnig gut und auch in der Kombination mit Ulrich wahnsinnig gut und dann hab ich mir gedacht, ok, das Schicksal zeigt mir jetzt den Jungen, jetzt muss ich halt meine Geschichte, meine Figur verändern, dass es für diese Besetzung stimmt. Es ist daher schön, wenn man das Casting während des Drehbuchschreibens schon weiß und die Darsteller schon kennt, weil man dann für sie die Figuren noch ein bisschen verändern kann.

Ja, das ist wahrscheinlich auch spannend, wenn von außen, also die Schauspieler durch ihre Besetzung das Drehbuch verändern und ein wenig in neue Richtungen lenken können.

Ja, genau. Das hab ich ja bei Im Winter ein Jahr zum Beispiel bei Josef Bierbichler ganz extrem gemacht. Der war zuerst eine ganz andere Figur und durch die Tatsache, dass er das spielt, hat sich das alles komplett noch einmal verändert.

Es gibt in dem Film Exit Marrakech zwei gegensätzliche Zugänge ein Land zu entdecken. Einerseits Heinrich, der am Pool sitzt, Cocktails schlürft und Marokko um ihn herum primär durch seine Lektüre und Phantasie wahrnimmt und andererseits Samuel, der durch die Stadt läuft, alles entdecken und soviel wie möglich erleben will. Was entspricht eher Ihrer persönlichen Art zu reisen und ein Land zu entdecken?

Bei mir ist das ganz klar eher die Art des Jungen. Erst einmal zu schauen was ist und dann vielleicht noch irgendwelche Informationen zu vertiefen durch etwas, das man liest. Ich will das aber gar nicht bewerten, das ist einfach meine Art zu sein. Ich bin einfach sehr kontaktfreudig, ich lerne gerne fremde Leute kennen, ich habe auch keine Probleme irgendwo hineinzulaufen und Fragen zu stellen, weil ich einfach sehr neugierig bin. Interessant ist es, wenn ich mit meinem Mann zusammen auf Reisen bin. Dominik (Anm.: Dominik Graf) ist eher ein intellektueller Mensch, er schreckt davor zurück fremde Menschen anzusprechen und würde niemals in einen Hinterhof gehen und schauen, wer da sitzt und womöglich eine Frage stellen oder so. Es ist eben nicht seine Art. Stattdessen liest er sehr viel und interessiert sich für Ansichten und Blicke anderer kluger Köpfe, für die er sich begeistert. Interessant ist die Kombination, weil ich dann auch davon profitiere wenn ich auf Reisen bin, wenn ich so jemanden neben mir habe, der mir vielleicht noch ein passendes Buch, einen interessanten Roman zu der jeweiligen Situation in die Hand drückt.

Also die Mischung macht es aus?

Die Mischung macht es dann irgendwie, ja. Aber ich glaube, dass man, wenn man jung ist, unvoreingenommener reist und sich nicht einbildet schon alles zu wissen. Denn es ist ja eigentlich langweilig, wenn man meint, man wisse schon alles und sich von der Wahrheit gar nicht mehr überraschen lässt.

Sie haben 2003 für Nirgendwo in Afrika den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewonnen. Hat das in irgendeiner Art und Weise die Arbeit an diesem Film beeinflusst? Haben Sie eine besondere Erwartungshaltung, einen Druck gespürt bzw. haben Sie das Gefühl, dass Sie dadurch versucht haben einen kommerzielleren Film zu machen, um den Erfolg zu wiederholen?

Also bei diesem Film jetzt nicht mehr, weil der Oscar ist ja schon wirklich lange her ist. Aber beim letzten Film (Anm.: Im Winter ein Jahr) war es sicherlich ein bisschen so, dass alle Welt gekuckt hat: was macht sie jetzt als Nächstes? Und sie muss doch einen großen Film in Amerika drehen wollen! Also das war für mich immer der größte Druck, dass ich das höre, was andere denken, was ich angeblich will. Ich habe das immer so empfunden, dass man einen gewissen Mut braucht um zu sagen: aber ich will das doch gar nicht, auch wenn alle denken, dass man es wollen müsste. Ich möchte in meinem Leben vielleicht 10 schöne Kinofilme drehen, wenn mir das gelingt hab ich schon so viel erreicht. Ich muss sie aber nicht unbedingt in Amerika drehen, ich kann sie auch in Europa drehen. Das heißt, ich will sie da drehen, wo ich sie drehen darf und ich habe das Gefühl, dass ich über eine Freiheit in Deutschland verfüge meine Geschichten so zu machen wie ich sie machen will, die ich in Amerika nicht hätte.

Haben Sie schon ein neues Projekt in Aussicht?

Ich fange gerade wieder an Sachen zu lesen die mir angeboten werden und überlege mir, was ich als nächstes machen kann. Aber es ist noch nichts konkret.

Ich habe noch eine letzte Frage die mich besonders interessiert und zwar betrifft sie die „Konkurrenz“ bzw. das Zusammenspiel von Kameramann/frau und RegisseurIn. Wie konkret ist die Vorstellung von den einzufangenden Bildern bereits in Ihrem Kopf bzw. wie viel Raum lassen Sie Ihrer Kamerafrau, in diesem Fall Bella Halben, noch für eigene Ideen?

Also mit Kamera bin ich überhaupt nicht besonders dominant. Wir überlegen uns immer gemeinsam eine Auflösung, die aber dann auch abweichen kann. Wir reagieren auf das was wir vor Ort noch sehen und da bin ich extrem dankbar, wenn ich einen Kameramann bzw. eine Kamerafrau habe, der oder die mir da Möglichkeiten zeigt, eine Szene noch spannender zu erzählen. Ich weiß dann schon in dem Moment, wenn ich etwas angeboten bekomme, was mir artifiziell erscheint, oder überambitioniert. Ich reagiere immer ein bisschen allergisch, wenn Kameraleute schöne Bilder machen wollen nur um schöne Bilder zu machen. Darüber habe ich mit Bella aber auch immer viel gesprochen und sie sieht das ja genau so. Es ging immer darum, so wahrhaftig wie möglich zu erzählen. Aber mit meinen Schauspielern bin ich glaube ich relativ streng, weil ich die Drehbücher selber schreibe und meine Dialoge sehr genau kenne. In diesem Bereich weiß ich wirklich genau, wie ich mir eine Szene vorstelle. Was die Bildauflösung angeht, bin ich nicht so fix. Da bin ich einfach auch dankbar für Inspiration. Aber als Konkurrenz habe ich die Beziehung zu Kameramann oder -frau noch nie empfunden. Im Gegenteil, das sind eher Verbündete. Der Regieassistent, die Kamerafrau und ich, wir drei sind in Marokko wirklich extrem eine Einheit gewesen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Wolfgang Bruckner