Interview mit Alexander Alvaro: "Grundregeln des demokratischen Austausches einhalten"

Mehriran.de: Welche Auswirkungen haben die verschärften Sanktionen der Europäer gegen Iran auf die Bevölkerung, insbesondere auf die immer wieder beklagten iranischen Verstöße gegen Menschenrechte?
Alvaro: Es wäre sicher wünschenswert, wenn wir solche Auswirkungen erkennen könnten. Die Sanktionen führen ja zu Einschränkungen für die dort lebende Bevöl­kerung, was nicht in unserem Sinne ist. Aber das Regime in Teheran hat sich bislang unbeeindruckt gezeigt. Und wir können keine Verbesserung der Lage erkennen in punkto Menschenrechte, da ist bislang keinerlei Einlenken sichtbar. Mehriran.de: Dann plädieren Sie dafür, nach anderen Mitteln zu suchen? Alvaro: Nein, ich halte die Sanktionen durchaus für ein sinnvolles Instrument. Über kurz oder lang bereiten sie dem Regime natürlich Schwierigkeiten. Als ein Element der politischen Strategie sind Sanktionen sicher nützlich – wenn man parallel dazu auf diplomatischer Ebene die Gespräche auch fortführt. Mehriran: Auf diplomatischer Ebene hat sich der Konflikt ja zuletzt deutlich zugespitzt. Die Delegation des Europäischen Parlaments hat einen lang geplanten Besuch in Teheran kurzfristig abgesagt, weil das Regime der Gruppe verweigert hat, Nasrin Sotoudeh und Jafar Panahi zu treffen, die diesjährigen Träger des Sacharow- Preises für geistige Freiheit. Beide sind aus politischen Gründen inhaftiert und von der Öffentlichkeit isoliert... Alvaro: Ich habe früh dafür plädiert, diese Reise abzusagen, um dem Regime nicht Gelegenheit zu geben, eine solche Delegation als Propaganda-Plattform für sich zu nutzen. Das wäre falsch. Aber die diplomatischen Kontakte ganz einzustellen, ist ebenfalls kein gangbarer Weg, in meinen Augen. Wenn sich beide Parteien zurückziehen und das Gespräch verweigern, würde die Lage bloß eskalieren. Zugleich müssen wir dem Regime aber ganz deutlich machen, wo die Grenze der Toleranz erreicht ist und wo sie überschritten ist. Eine heikle Aufgabe. Ich sage Ihnen ganz offen, wenn ich der Weisheit letzten Schluss dazu wüsste, hätte ich ihn längst artikuliert. Auf jeden Fall ist für uns wichtig, behutsam vorzugehen. Man wird hier nicht mit einem groben Keil arbeiten können. Mehiran.de: Sie haben im Frühjahr als Gastgeber ein Hearing im Europäischen Parlament veranstaltet. Iranische Oppositionelle, Journalisten und Menschenrechts­gruppen wie die International Organisation to preserve Human Rights in Iran hatten so eine Plattform, sich unter einander auszutauschen und ihrem Anliegen in Europa Gehör zu verschaffen. Was war für Sie das Fazit dieses Hearings? Alvaro: Besonders bemerkenswert war für mich, dass die Gruppierungen, unabhän­gig davon, welches Ziel sie langfristig verfolgen, aus welcher gesellschaftlichen aber auch religiösen Richtung sie kommen, alle geeint waren darin, dass ein freies Leben im Iran, eine politische Tätigkeit in Iran, wie er sich heute darstellt, nicht möglich ist. Es war von allen Seiten das Interesse spürbar, eine freie Gesellschaft aufzubauen, die auch andere Meinungen und Minderheiten toleriert, wie wir das von unseren Gesell­schaften her kennen. Mir ist klar geworden, bei diesem ersten Treffen in einem solchen Rahmen, dass es wirklich eine übergreifende Opposition gibt, die vorhat, den Iran demokratisch für die Zukunft zu gestalten. Das war eine sehr positive Erfahrung, weil sich nicht im Klein-Klein und in Streitigkeiten ergangen worden ist, sondern man gemeinsam nachgedacht hat, wie die Menschen in diesem Land langfristig unter besseren Bedingungen leben können. Mehriran.de: Sie haben ja durch das Hearing einen Überblick gewonnen. Welche Gruppen sind es in Ihren Augen, die in besonderer Weise die Unterstützung der Europäischen Union erhalten sollten? Alvaro: Man darf da niemanden ausklammern. Meine Arbeit zielt schon darauf ab, sowohl politische Parteien anzusprechen, aber auch religiöse Gruppen, und natürlich Menschenrechtsgruppen. Da möchte ich einen Austausch unter einander ermöglichen. Ich glaube auch nicht, dass es an uns wäre, im Detail zu sagen, wie eine solche Gesellschaft sich neu organisieren muss. Sondern es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Grundregeln des demokratischen Austausches eingehalten werden. Darum halte ich es notwendig, dass religiöse Gruppen, die ohne Zweifel Bestandteil der iranischen Gesellschaft sind, ebenso wie NGOs (Non governmental organizations), in diesen Prozess eingebunden werden. Wir haben in vielen anderen Fällen gesehen, was passiert, wenn man Gruppen ausklammert aus solchen Reformprozessen. Da entsteht Unmut, da entsteht Widerstand. Darum halte ich es für so wichtig, alle diese Gruppen in den Reformvorgang mit einzubeziehen. Mehriran.de: Aus westlicher Sicht scheint es ja oft der Islam zu sein, der eine Ausrichtung auf Menschenrechtsstandards und Demokratie verhindert. Welche Rolle spielt also bei den anstehenden Reformen die Religion? Alvaro: Ich meine, dass der Islam im Grunde genommen eine positive Rolle dabei spielen kann. Das hängt natürlich davon ab, wie beim Christentum auch, wie er interpretiert wird. Man findet Menschen im Iran, wie im ganzen Nahen Osten, die eine restriktive und auch reaktionäre Deutung des Koran vornehmen. Man findet aber ebenso Menschen, die den Koran zeitgemäß auslegen, so dass er auf die heutige Zeit anwendbar ist. Wenn wir dies weiter verfolgen, kann Religion auch eine positiver Faktor für eine freiheitliche Gesellschaft werden. Ich glaube nicht, dass wir Religion überhaupt verantwortlich machen können für die Situation, die wir derzeit im Iran vorfinden. Es ist jedoch insbesondere der Wächterrat, der eine enorm restriktive Auslegung vornimmt. Darum meine ich, wenn wir einen moderaten, modernen Islam in die Reformbewegung mit einbinden können, dann ist viel gewonnen. Aber auch hier gilt: Es ist nicht unsere Aufgabe, einer Gesellschaft von außen zu erklären, wie sie zu leben hat, nach welchen Regeln – solange diese Regeln von universellen Menschenrechten und Demokratie geprägt sind. Mehriran.de: Sollten wir Europäer demnach versuchen, jene religiösen Gruppen im Iran zu identifizieren, die humanistische Ideale verfolgen – und diese Gruppen dann gezielt zu unterstützen? Alvaro: Das ist tatsächlich Bestandteil des Prozesses, an dem wir auch arbeiten. Wir sind dabei aber angewiesen auf Fachleute, die sich in dieser Frage wirklich aus­kennen. Denn auch wenn ich für mich in Anspruch nehmen würde, ein Verständnis der Region zu haben, einen Überblick über verschiedene Gruppierungen, ist für uns doch oft schwer nachzuvollziehen, welche Gruppen vor Ort welche Ziele verfolgen, und welche Allianzen dort bestehen. Es ist wichtig, Gruppen im Iran einzubinden – aber ebenso wichtig, sorgsam zu klären, wer sind diejenigen, mit denen man reden kann. Das wird als Ziel von unserer parlamentarischen Arbeitsgruppe für Beziehun­gen zum Iran auch verfolgt. Wir sind dabei aber in der schwierige Lage, dass wir ja derzeit gar nicht ins Land reisen und dort frei Gespräche führen können; und wenn eine Delegation nach Teheran reisen kann, wie kürzlich ja geplant, müssen wir darauf achten, dass das Regime diesen Besuch nicht gleich zu Propagandazwecken missbraucht. Unterm Strich ist es für uns derzeit echt schwierig, aus der Entfernung zu erkennen, gerade bei einem so großen Land wie Iran, wer auf religiöser Seite wäre ein Ansprechpartner für uns, mit dem wir auch über die Zukunft des Landes reden können. Mehriran.de: Das spräche ja dafür, so etwas wie das Hearing aus dem letzten Frühjahr fortzusetzen oder zu wiederholen – um den Exilkräften eine Plattform zu geben, sich darzustellen, damit man eine genauere Einschätzung der Gruppen gewinnt und in Kontakt treten kann? Alvaro: Meines Erachtens, ja. Nach der positiven Resonanz des ersten Meetings haben wir vereinbart, mit der International Organisation to Preserve Human Rights in Iran, dass wir auch in Deutschland die Diskussion vorsetzen wollen. Wir möchten einige Universitäten besuchen, dem Thema Zukunft des Iran auch dort eine Plattform geben. Und natürlich wäre es sinnvoll, im kommenden Jahr ein über­greifendes Hearing in Brüssel zu wiederholen, um den Prozess fortführen zu können. Da eine solche Reform einer Gesellschaft nur langfristig anzugehen ist, sind auch langfristig begleitende Gespräche notwendig – Gespräche, bei denen man sich nach und nach besser einzuschätzen lernt und Verständnis entstehen kann, auch der Gruppen unter einander. Sonst bleibt unklar, wer hier für wen spricht. Es ist bekannt, das iranische Regime hat eine langen Arm, und so ist es auch verständlich, dass viele Gruppen im Exil erst einmal zurückhaltend reagieren und warten, sich offen zu äußern. Da müssen wir Vertrauen schaffen, auf allen Seiten.  

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