Wie arbeitet eigentlich ein Filmkomponist? CHASED im Gespräch mit André Feldhaus,
Er schrieb die Musik zu NORDSTRAND, der am 23. Januar 2013 in den deutschen Kinos startet.
André Feldhaus wurde 1975 in Münster geboren und lebt und arbeitet in Bremen und Berlin.
Chased: Hallo André, schön dass Du gekommen bist. Seit wann bist du eigentlich Filmkomponist, wie hat alles angefangen, und wie bist du darauf gekommen, gerade diese Berufsbahn einzuschlagen?
André Feldhaus: Meine ersten Filme habe ich in den 90er Jahren vertont. Das waren Kurzfilme von Regisseuren, die in ihren Filmen Songs hatten, die ersetzt werden mussten, weil die Rechte daran nicht zu bekommen waren. Zum Beispiel kam in einem der Filme ein Song von Elvis vor, und die Rechte kriegt man als Kurzfilmproduzent natürlich nicht ohne weiteres, also habe ich versucht, ihn „nachzukomponieren“. Das war alles noch während des Studiums.
Chased: Wie alt warst du da?
André Feldhaus: Anfang zwanzig. Aber Komponieren ging bei mir schon ziemlich früh los. Ich habe eine klassische Klavierausbildung, 13 Jahre Unterricht. Meine Klavierlehrerin hat gemerkt, dass ich wahrscheinlich nicht in Richtung Tastenvirtuose gehen würde, der Konzertsäle bespielen will. Ich habe nämlich bei Klassenvorspielen oft, wenn ich in den Noten nicht mehr weiterkam, fehlende Teile einfach improvisiert. Dieses Talent hat sie aber bemerkt, hat mich auf Workshops geschickt und das Improvisieren gefördert. Sie war richtig super, da hatte ich wohl riesiges Glück, dass sie mich so gefördert hat. Ich durfte schließlich am Ende dieser Vorspiele immer ein eigenes Stück vorspielen. Dann habe ich aber nicht, wie man vielleicht erwarten würde, Musik studiert.
Chased: Was meinst du aus heutiger Sicht, warum du das nicht gemacht hast?
André Feldhaus: Es interessiert mich eigentlich nicht so wirklich (lacht). Musik natürlich wohl, und zwar sehr … aber das Studium der Musik weniger. Ich bin, was das angeht, eher ein ungeduldiger Mensch und bin wohl zu vielseitig interessiert – mich interessiert eigentlich alles und Musik eben auch und besonders. Aber Musik wollte ich immer machen. Der theoretische Background hat mich am Anfang weniger interessiert. Ich wollte auch nie ein Berufskomponist sein, weil ich die Annahme hatte, dass der irgendeinem Raster folgen muss. Ich war immer irgendwie zwischen allen Stühlen. Ich habe dann Anglistik und Germanistik studiert, das aber auch eher schleppend, und habe nebenbei angefangen, zu bewegten Bildern zu komponieren, Anfang der 2000er Jahre für die ersten kleineren Dokus.
Chased: Wie bist du zu diesen Aufträgen gekommen?
André Feldhaus: Ich weiß nicht mehr ganz genau, welche Schnittstelle das war. Aber von den Kurzfilmen ging es über zu den dokumentarischen Sachen. Das waren aber noch keine Fernsehsachen, eher Portraits von Städten oder auch biografische Filme, für Kaufkassetten, damals noch Video. Und dann hat mich eines Tages ein Regisseur, der auch in Bremen arbeitete, entdeckt. Er sah einen Kurzfilm von mir im Kino und hatte eigentlich nur eine allgemeine Frage zur Musik in Dokufilmen. Am nächsten Tag war ich bei ihm und wir haben uns angefreundet. Dann habe ich die Musik für diesen speziellen Dokufilm gemacht und auch für weitere von ihm, die Filme hatten Erfolg und das zog dann so seine Kreise.
Chased: Und jetzt hast du mit „Nordstrand“ einen Spielfilm vertont.
André Feldhaus: Ja, ich habe schon früher Langfilme vertont, Dokumentarfilme oder auch ein Dokudrama, aber dies ist jetzt der erste „reine“ Spielfilm. Und es ist interessant, dass der Regisseur zuerst eigentlich gar keine Musik in seinem Film haben wollte. Gar keine. Dann hat er zwei Songs gefunden. Er wollte aber eigentlich nach wie vor keinen Score, also eine extra für den Film komponierte Musik, und dann hatten wir ein Treffen in Hamburg und einer meiner drei Entwürfe hat ihn überzeugt. Er war völlig minimalistisch, nur zwei Klarinetten, die umeinander spielen mit einem ganz minimalen Thema. Ich hatte die Vorstellung, es sollte eine „verwehte“ Musik sein, im Film kommt der Wind als begleitendes Element ja häufig vor. Florian Eichinger, der Regisseur, ist ein eher „purer“ Filmer. Er glaubt an die Kraft von Geschichten und intensiven Situationen, was man seinen Filmen auch ansehen kann. Filmmusik gegenüber ist er dagegen eher ein bisschen skeptisch. Oder sagen wir, er hat wahrscheinlich Respekt vor ihr und ihrer potenziell manipulativen Wirkung. Seine Filme sind deswegen aber auch konsequent, und kraftvoll. Ich habe lustigerweise oft mit Regisseuren zu tun, die erstmal nicht sehr an Filmmusik glauben. Ich muss sagen, ich persönlich mag oft auch lieber die leisen, minimalistischen Töne, und das Reduzierte an Filmmusik. Manchmal ist natürlich aber auch ein großer Score sehr passend, und sinnvoll.
Chased: Mal für unsere Leser zum Verständnis: Wie funktioniert das mit dem Komponieren? Kriegst du erst das Drehbuch oder den Film und fängst dann an? Oder wie läuft das alles ab?
André Feldhaus: Wir kommen ziemlich am Ende des Filmproduktions-Prozesses an die Reihe, Filmkomponisten sind mit die letzten. Nach uns kommt eigentlich nur noch die Farbkorrektur (lacht). Also, ganz am Ende des Produktionsprozesses kommt erst die Musik. Das spiegelt sich dann auch in den Fristen wider, die oft relativ knapp sind. Das heißt aber nicht, dass wir in manchen Projekten nicht auch früher ins Boot geholt werden. Es gibt manchmal Exposées oder Treatments, die geschickt werden, noch bevor der Film überhaupt gefördert ist.
Chased: Komponierst du dann zu Worten, also zu etwas Geschriebenem, oder zu Bildern?
André Feldhaus: Meist zu Bildern. In 80 % der Fälle ist es so, dass man den Rohschnitt bekommt, manchmal auch schon frühere Szenen. Das ist dann am Ende ein ziemlicher Zeitdruck. Es gibt aber zum Beispiel auch eine Regisseurin, die Dokus macht und die mir, schon bevor sie zum Drehen fährt, Fotos schickt von den Orten, wo sie hinfahren wird. Und dann habe ich eine ganze Weile Zeit, diese Bilder, dieses Thema, im Kopf mit mir herumzutragen und mir etwas dazu zu überlegen … in der U-Bahn oder auf dem Fahrrad. Stimmungen, die sie mir schon im Kopf sät, sozusagen. Und kann mir zwischendurch schon Skizzen machen.
Chased: Und wonach gehst du dann? Nach der Stimmung, nach den Farben?
André Feldhaus: Das ist ziemlich intuitiv. Manche Sachen kann man da gar nicht zu Ende erklären. Aber ein Teil davon ist Handwerk. Und Handwerk ist zum Beispiel, dass man schaut, ist das ein männlicher Protagonist oder ein weiblicher, in welchem Verhältnis stehen sie zueinander, ist das eine Krise oder Harmonie? In welchem Setting sind sie unterwegs? Landschaften etc…. Und man kann eine Musik harmonisch unter einen Film legen oder kontrapunktisch. Kontrapunktische Musik ist oft interessanter, aber die kann man nicht immer benutzen. Dass man zum Beispiel sagt, es ist eine Liebesszene, aber man legt dann etwas Eckiges, Kantiges darunter, um anzudeuten, dass irgendetwas nicht stimmt. Filmemacher, wenn sie großzügig sind, sagen, dass die Hälfte der Filmwirkung durch die Musik und den Ton entsteht. Ich denke manchmal, man müsste diese Wirkung noch höher ansetzen.
Chased: Ab jetzt werde ich da mehr darauf achten (lacht).
André Feldhaus: Ja, das ist schon so. Filmemacher oder Regisseure sind nach einem Gespräch mit Filmkomponisten meistens sensibilisierter. Ich gebe an der Uni und der Filmschule hier in Berlin Seminare und die Studenten sind angehende Regisseure, also keine Musiker. Das heißt, sie sind tendenziell versierte Bildmenschen oder Wortmenschen und können zum Beispiel gut mit Schauspielern umgehen, aber mit Musik vielleicht weniger. Was aber nicht schlimm ist, ich finde, man kann es lernen. Die Sensibilisierung für Musik im Kontext mit Film und Dramaturgie macht mir Spaß.
Chased: Ihr wart jetzt für den Max-Ophüls-Preis nominiert mit „Nordstrand“ …
André Feldhaus: Ja, das war super. Obwohl der Hauptpreis an uns vorbeigegangen ist. Aber dafür hat es auf dem Festival Einladungen von fünf oder sechs anderen Festivals gegeben. Max-Ophüls ist ein tolles, würdevolles Festival, wo viele junge Leute aufeinander treffen und da entsteht eine gute Energie. Ich fand es echt gut. Ich war dort schon mal mit einem Film nominiert vor Jahren, und es ist immer irgendwie bereichernd.
Chased: Was sind deine nächsten Projekte?
André Feldhaus: Eine 3-teilige Serie für ARTE, über die verschiedenen Winde der Welt. Und zwei Spielfilm-Projekte, die aber noch nicht bestätigt sind. Dazwischen wieder der ein oder andere Kurzfilm, und Musikarbeiten für das Fernsehen. Und ein Kino-Dokumentarfilm über deutsche Auswanderer im vorletzten Jahrhundert.
Chased: Machst du eigentlich auch noch selber Musik, hast du eine Band oder ähnliches?
André Feldhaus: Wenn ich irgendwann wieder Zeit für so etwas habe, gerne. Ich mache, wie in meinem Beruf üblich, ganz vieles selber, Komponist, Produzent, Papierkram-Ausfüller … Aber ich habe tatsächlich hunderte von Songs, die ich geschrieben habe und die ich gerne aufnehmen würde, aber ich komme einfach nicht dazu. Vielleicht irgendwann … (lacht).
Chased: Vielen Dank für das Interview!
André Feldhaus: Gerne, ich danke.
Der Kinospielfilm NORDSTRAND mit der Musik von André Feldhaus läuft ab dem 23. Januar 2014 in den deutschen Kinos. In Berlin ist er im fsk Kino am Oranienplatz zu sehen.
(c) André Feldhaus
Nordstrand Trailer from Print Peppermint on Vimeo.