- Venedig ist eine Wasserstadt, und Wasser spielt in Ihrem neuesten Fall eine wichtige Rolle. Brunetti und Griffoni verfolgen am Anfang des Romans gebannt die Reinigung eines Kanals. Dabei kommt allerlei zutage. Was gab den Ausschlag zur Idee für das Buch, was bedeutet Wasser für Sie?
Donna Leon: Seit Jahren wollte ich ein Buch über Wasserverbrauch und Wasserverkauf in Venedig schreiben. Ich glaube, es ist in der Verfassung verankert, dass Wasser ein "öffentliches Gut" ist, auch haben die Italiener wiederholt in Volksabstimmungen entschieden, dass das Wasser nicht privatisiert werden soll. Dennoch bezahlen die Menschen in Venedig für Wasser, und alles Geld geht an dieselbe Firma. Immer wieder finden sich in der Zeitung Artikel über den Zustand der Leitungen: Verschiedenen Quellen zufolge geht etwa die Häfte des im Land verbrauchten Wassers durch undichte Leitungen verloren. Die Italiener gehen sehr sorglos mit dem vorhandenen Wasser um: In fünfzig Jahren habe ich noch nie einen Italiener getroffen, der sich darum sorgte. Dann ist da noch das verschmutzte Wasser: Chemikalien, Pestizide, alles Mögliche. Also, das Thema ist fast wie für mich gemacht.
- Woher bezieht Venedig heute sein Trinkwasser, und wie war die Wasserversorgung in Venedig früher?
Donna Leon: In der Vergangenheit hatte Venedig ein ausgeklügeltes System öffentlicher Brunnen; viele der venezianischen Zisternen alle sind heute verschlossen kann man heute noch sehen. Zum Teil stammen sie aus dem 14. Jahrhundert. Obwohl Venedig eine auf Wasser gebaute Stadt ist, gibt es leider wenig Süßwasser, nach dem unter der Stadt gegraben oder gebohrt werden kann. Heute wird das meiste Trinkwasser über Leitungen von Quellen auf dem Festland bezogen.
- Kann man in Venedig das Wasser vom Hahn noch trinken?
Donna Leon: Ja. Die meisten Menschen ziehen jedoch "Acqua Minerale" vor. Werbekampagnen, die zum Trinken von Leitungswasser das vollkommen sicher ist ermutigen sollten, haben wenig gefruchtet. Dies gilt nicht nur für Venedig: Die meisten Italiener trinken Wasser in Flaschen. Ich persönlich habe immer darauf vertraut, dass das Wasser in Venedig trinkbar ist.
- Wegen der ausbleibenden Touristenströme ist das Wasser in Venedigs Kanälen in der aktuellen Krise plötzlich wieder viel sauberer. Kann man jetzt darin schwimmen oder Fische fangen?
Donna Leon: Ich könnte mir vorstellen, dass eine Person darin schwimmen könnte. Ich habe allerdings keine Ahnung, wie sicher es ist. Die meisten Verschmutzungen und Verunreinigungen sind unsichtbar. Wie ich gehört habe, ist das Wasser viel sauberer als üblich, weil viel weniger Boote fahren. Der Schlamm in den Kanälen und man will nicht darüber nachdenken, was in diesem Schlamm drin ist wird nicht wie üblich von den Motoren aufgewühlt, sondern bleibt auf dem Grund. Ich nehme an, es wäre möglich, einen Fisch zu fangen. Die Entscheidung, ihn zu essen, ist eine andere Sache.
- Es ist Sommer im Buch, es herrscht eine unerträgliche Hitze in Venedig, und Griffoni protestiert einmal: "Zu Fuß ist unmöglich. Überlebe ich nicht." Wie überstehen die Venezianer solche Sommer am besten, wie richten sie sich ein? Ist es im Sommer heißer geworden in Venedig, hat sich das Klima geändert?
Donna Leon: Wie überall auf der Welt steigt die Temperatur. In Venedig als einer feuchten Stadt ist die Hitze unerträglicher als in einer trockeneren Stadt. Viele schaffen sich deshalb Klimaanlagen an oder ein mobiles Kühlgerät.
- Am Rialto herrscht üblicherweise trotz Hitze ein Gedränge, wie man es aus Kriegsfilmen kennt. Alle Touristen streben die gleichen Sehenswürdigkeiten an. In der aktuellen Krise ist Venedig leer. Keine Touristenmassen. Ist das für Sie ein ungewohntes Bild?
Donna Leon: Ich kam, glaube ich, erstmals 1969 nach Venedig, also lange vor dem Massentourismus. Damals besuchten die Touristen die Stadt normalerweise im Herbst und blieben nur ein paar Wochen. Es gab wenige Hotels, keine B&Bs. So ist mir die Stadt als ein Ort in Erinnerung, an dem es möglich war, auf praktisch leeren Straßen zu spazieren, ohne von chinesischen Billigsouvenirs umstellt zu sein. Die meisten Menschen in den Gassen waren Venezianer, und Venezianisch war die am häufigsten gehörte Sprache.
- Die todkranke Benedetta Toso wechselt von einer Privatklinik in ein staatliches Hospiz. Wie steht es um das italienische Gesundheitswesen?
Donna Leon: Wegen der Covid-Pandemie ist es unmöglich zu wissen, in welchem Zustand sich das Gesundheitssystem momentan befindet. Innerhalb weniger Wochen musste es Tausende von Patienten mit einer neuen und tödlichen Krankheit bewältigen. Nach dem, was ich gelesen und von Freunden gehört habe (ich bin in einem anderen Land eingeschlossen, stehe aber täglich mit Freunden in Kontakt), hat das System gut reagiert, auch wenn die Zahl der Todesopfer erschreckend ist. Mehr als hundert Ärzte starben in dieser Zeit; viele kamen aus dem Ruhestand zurück, um in den Krankenhäusern zu helfen. Ich denke, das ist heldenhaft; dasselbe gilt für die Pflegekräfte und alle, die im Dienst geblieben sind.
Donna Leon: Glücklicherweise ging ich in den Sechzigerjahren zum ersten Mal nach Venedig. Ein noch größeres Glück war, dass ich ein Ehepaar kennenlernte und mich mit ihm angefreundet habe, beide Venezianer, die auch heute noch, nach mehr als fünfzig Jahren, meine besten Freunde sind. Aus diesem Grund und weil ihre Familien und Freunde mich adoptierten, wurde ich nicht ins kalte Wasser geworfen, sondern liebevoll eingewöhnt. Zum Glück war ich immer in Begleitung, denn alleine hätte ich mich in dem Gassengewirr niemals zurechtgefunden. Ohnehin war ich zu sehr damit beschäftigt, dem Gespräch auf Italienisch zu folgen, also schenkte ich dem Weg wenig Aufmerksamkeit. Erst als ich mich allein aufmachte und ohne Karte spazieren ging, habe ich gelernt, mich zu orientieren.
- Was liest Brunetti momentan, und welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch?
Donna Leon: Brunetti liest Tacitus, genau wie ich. Außerdem lese ich gerade den dritten und letzten Band der Trilogie von Hilary Mantel über Thomas Cromwell und seinen monströsen Chef, Heinrich VIII.
Haben Sie schon eine Idee für das nächste Buch?Donna Leon: Ja, und ich hatte während dem Lockdown sieben Wochen Zeit, um daran zu arbeiten. Es wird um unangenehme Dinge gehen, die einige Leute schwachen Menschen antun. Wie eigentlich in allen meinen Büchern.
Leseprobe - Geheime Quellen:
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