Interview: Die Stadt für alle – ein absurder Traum (Süddeutsche Zeitung)

Interview: Die Stadt für alle – ein absurder Traum (Süddeutsche Zeitung)
Laura Weißmüller hat mich in ein ausführliches Gespräch über sehr verschiedenen Aspekte der aktuellen Stadtentwicklungsternds verwickelt. Das Ergebnis gibt es nun in der Süddeutschen Zeiotung zu lesen: Die Stadt für alle – ein absurder Traum

Als Stadtsoziologe fordert Andrej Holm mehr Auflagen in der Baupolitik – ein Gespräch über Gentrifizierung.
Der deutsche Stadtsoziologe Andrej Holm forscht über Gentrifizierung und Wohnungspolitik im internationalen Vergleich. Im Internet betreibt er einen ‘gentrificationblog’. Ein Gespräch über homogene Nachbarschaften, Windmühlenkämpfe und den Mythos von der Stadt für alle.

SZ: Wie wirkt sich der aktuelle Bauboom auf die Städte aus?

Andrej Holm: Wir können in vielen Städten beobachten, dass neue Bauprojekte erst einmal Streit auslösen. Da Bauen relativ teuer ist, lassen sich Neubaumieten nur im oberen Marktsegment etablieren. Es ergibt aus Investorensicht auch nur Sinn zu bauen, wenn der Druck in den Städten groß genug ist. Deshalb werden Neubauprojekte häufig im Rahmen der allgemein steigenden Mieten in den Metropolen diskutiert. Gerade in deutschen Großstädten, wo der Großteil der Wohnungen Mietwohnungen sind. Egal ob in München, Hamburg, Frankfurt oder Köln. Dieses System ist aber durch die aktuellen Neubauprojekte in Auflösung begriffen. Sehr vieles von dem, was gerade gebaut wird, sind Eigentumswohnungen.

 

Was lösen diese neuen Wohnviertel aus?

Ein Aspekt, der mit den hohen Preisen von Neubauten zusammenhängt, ist, dass dadurch relativ homogene Nachbarschaften entstehen. In Bestandsquartieren, wo sanierte Wohnungen neben unsanierten stehen und Häuser aus dem 19. Jahrhundert neben welchen aus den Sechzigerjahren, gewährleistet das unterschiedliche Wohnungsangebot die soziale Mischung, die sich viele wünschen. In den neuen Wohnkomplexen gibt es zwar verschiedene Haushaltstypen und vielleicht auch verschiedene Herkunftskontexte der Bewohner, aber das ist nicht die soziale Mischung, die man sonst in den Städten vorfindet.
Wie kann eine solche soziale Mischung von Beginn an angesiedelt werden?

Indem die Städte Auflagen machen. Es ist noch nicht lange Konsens, dass man Investoren Vorgaben machen kann, die möglicherweise auch abschreckend wirken. Wir hatten sehr lange eine Stadtentwicklungspolitik und Wohnungspolitik, die als offene Einladung an jede Investition gestaltet wurde.

Die Immobilienwirtschaft kritisiert solche Auflagen, die auch der Koalitionsvertrag der großen Koalition vorsieht, scharf und erklärt, diese würden die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt nur noch verschärfen.

Wir haben eine bis in das Feld der Politik stark verankerte Bau- und Immobilienlobby, die jede Gestaltung in Richtung soziale Wohnungsversorgung permanent torpediert. Ihr zentrales Argument ist dabei stets, dass Auflagen zukünftige Investitionen verhindern würden. Es gibt wenige, die Gutachten vorlegen und damit begründen wollen, dass die Vorgaben nicht denen helfen, die sie schützen sollen. Im Vordergrund steht dagegen immer: Wenn jetzt die Mieten beschränkt werden, dann bauen die Investoren nicht mehr. Indem die Lobbyverbände diese Argumente in den Vordergrund stellen, versuchen sie an das allgemeine städtische Narrativ anzuknüpfen. Die Politik der letzten 20 Jahre war, dass alle Städte wachsen wollen, dass Investitionen am Ende immer auch gut für die Gesamtstadt sind. Wir haben aber nun einen Punkt erreicht, wo Investitions- und Wachstumsgläubigkeit als Lösung für städtische Probleme infrage gestellt wird.

Woran machen Sie das fest?

Man sieht das an der Wiederentdeckung von städtischer und kommunaler Wohnungspolitik. Ich glaube zwar nicht, dass die Instrumente im Moment besonders wirkungsvoll sind, aber man kann zumindest einen Kurswechsel erkennen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass vor 2010 Stadtplanungsämter große Tagungen veranstaltet hätten, wie sie das Problem der Gentrifizierung in ihrer Stadt in den Griff bekommen.

Wie würden Sie als Gentrifizierungsforscher Gentrifizierung definieren?

Im Kern steht die Verdrängung von ärmeren Haushalten. Die Gentrifizierung umfasst alle wohnungswirtschaftlichen Investitionsstrategien, die zu ihrer Realisierung die Verdrängung von ärmeren Haushalten voraussetzen.

Das heißt, die jungen Kreativen und hippen Cafés sind gar nicht schuld an der Gentrifizierung?

Wenn wir uns Fälle angucken, in denen ärmere Haushalte aus ihrer Nachbarschaft verdrängt werden, dann gibt es viele komplett ohne Studenten, ohne Galerien, ohne Hipster und Touristen. Natürlich gibt es auch Beispiele, wo der Zuzug von besonders kreativen Bevölkerungsgruppen zur Verdrängung geführt hat. Aber das ist nur eine Art der Gentrifizierung. Viel häufiger ist in Deutschland die Form der staatlich initiierten Gentrifizierung, wo Städte ein Sanierungsgebiet festlegen und über steuerliche Vorteile die Anschubfinanzierung für private Investitionen geben, die sie in ihrer sozialen Dimension dann aber gar nicht mehr kontrollieren können – und zum Teil auch gar nicht kontrollieren wollen.

Die öffentliche Hand trägt also die Verantwortung für die Verdrängung?

Das Grundmotiv ist: Wenn ich den Markt spielen lasse, dann produziert er diese sozialen Ungerechtigkeiten. Notwendigerweise. Wenn ich mich als Stadt oder als Staat aus der Verantwortung stehle, dann überlasse ich das Feld den Marktkräften. Wir können das bei allen drei Steuerungswerkzeugen sehen, mit denen die öffentliche Hand Einfluss auf den Wohnungsmarkt nehmen kann – das sind Geld, Recht und Eigentum. In allen drei Bereichen haben wir einen Dreiklang aus Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung. In allen drei hat sich der Staat in den letzten 20 Jahren zurückgezogen.

Sehen Sie darin Potenzial für sozialen Sprengstoff?

Langfristig ist das die Schreckensversion der Pariser Verhältnisse, wo sich die Reichen in den Zentren konzentrieren und die Armen in die Peripherien abgedrängt werden. Der Konflikt ist im Augenblick jedoch nicht die Angst vor der segregierten Stadt, sondern eine unmittelbare Betroffenheit von vielen, die mit steigenden Mieten konfrontiert sind und keine Lösung für ihr Wohnungsproblem sehen. Anders als vor einigen Jahren können sie nicht mehr einfach in das nächste Viertel umziehen, weil Mietsteigerung zu einem flächendeckenden Phänomen geworden ist. Das ist der Grund für den aufkeimenden Protest, den es in Hamburg oder Berlin gibt. Der Versuch, die eigene Notsituation zu bewältigen, hat zu einer Repolitisierung der Wohnungsfrage beigetragen.

Vielerorts ist aber auch der Wunsch der Menschen gewachsen, sich mehr mit ihrer Stadt zu beschäftigen.

Jenseits von Partizipations-Prosa kann man bei der Wohnungsfrage davon ausgehen, dass sich die Menschen lieber mit anderen Dingen beschäftigen würden als mit ihrer Miete, der Stadtentwicklung oder einem Milieuschutz. Sie sehen sich aber zunehmend dazu gezwungen, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen. Das kann man als Wunsch zur Beteiligung positiv darstellen. Aber im Prinzip ist das eine Reaktion auf das Versagen der Politik und die Krise in der Wohnungssituation.

Wie reagieren die Menschen konkret auf diese Krise?

Wir beobachten in Berlin zum Beispiel Nachbarn, die sich aufgrund einer drohenden Verdrängung als Hausgemeinschaft zusammengeschlossen haben. Eine völlig neue Art, sich in der Stadt zu engagieren. Denn diese Leute sind nicht in einem Verein oder einem Nachbarschaftstreff organisiert, haben aber alle einen sehr existenziellen Ausgangspunkt. Man ist angewiesen auf die Wohnung, deswegen kämpft man so verbissen. Da formiert sich ein sehr kleinteiliger Protest. Auf der anderen Seite sehen wir in Anfängen eine öffentliche Artikulation, neue Medien spielen eine große Rolle. Es gibt viele Webseiten und Blogs, auf denen die Mieter ihre Erfahrungen im Verdrängungskampf wiedergeben.

Das klingt sehr danach, dass jeder für sich kämpft.

Das ist tatsächlich ein Dilemma. Die Proteste sind sehr kleinteilig und vermutlich auch nicht sehr zielführend. Aber das ist die Ausgangslage. Man kann sich einen städtischen Protest oder eine soziale Bewegung ja nicht so wünschen, wie man sie gerne hätte. Die Städte haben sich aus den städtischen Diskursen zurückgezogen, die Mieterverbände können die Lücken nicht füllen und dort stoßen jetzt diese selbst organisierten Mietergrüppchen hinein, die aber kein komplettes wohnungspolitisches Programm präsentieren können, für dessen Durchsetzung es sich auch zu kämpfen lohnt.

Also werden die Stadtbewohner den Verdrängungskampf auch in Zukunft an Einzelbeispielen ausfechten?

Es ist ein Lernprozess. Die allermeisten kommen ja über eine eigene Betroffenheit in ihr politisches Engagement. Es gibt Ansätze, sich zu vernetzen und Foren zu entwickeln, wo man die Gemeinsamkeiten herausarbeitet. Aber es politisiert sich an Einzelfragen, ganz selten gibt es übergreifende soziale Forderungen, wie wir das zum Beispiel bei der Ökologiebewegung in den Achtziger- und Neunzigerjahren hatten. Die war ja auch aus einer Vielzahl von einzelnen Aspekten zusammengesetzt, hat aber trotzdem in verschiedenen Bereichen mehr Verantwortung eingefordert. So etwas gibt es im Moment im Wohnungs-Stadt-Bereich nicht.

Sehen Sie denn überhaupt die Möglichkeit dazu?

Das wird stark davon abhängen, wie sich die Einzelkonflikte in diesen Städten entwickeln werden. Wenn es Inititiativen gelingt, sich mit ihren Forderungen durchzusetzen, dann hat das eine Leuchtwirkung. Außerdem wird entscheidend sein, ob sich auch ein größerer Teil der Stadtgesellschaft dafür interessiert. Im Moment ist es eine Manifestation der unmittelbar Betroffenen.

Wie wirkt sich die Verdrängung auf den öffentlichen Raum aus?

In dem Moment, wo sich die Nachbarschaft tatsächlich strukturell verändert, wächst häufig der Druck auf marginalisierte und nicht angepasste Gruppen, wie etwa Obdachlose. Diejenigen, die eine neue Wohnung gekauft haben, leiten von dem hohen Preis eine Lagequalität ab und wollen diese dann auch durchsetzen. Das haben wir durch Interviews mit Polizeibehörden festgestellt. Da, wo saniert wird, gibt es mehr Beschwerden.

Kann es sie geben, die Stadt für alle?

Nein. Das ist ein Mythos, der zu einer völligen Depolitisierung von Stadt- und Wohnungspolitik führt. Wir haben in allen Gesellschaftsbereichen soziologische Befunde, die besagen, die Gesellschaft fragmentiert sich immer weiter. Es wäre völlig absurd davon auszugehen, dass ausgerechnet in der Stadt und der Frage des Wohnens eine große Harmonie und Einheitlichkeit gefunden werden kann. Aber fast alle Parteien versprechen, die Stadt für alle zu bieten – mit jeweils unterschiedlichen Ausschmückungen. Es gibt keine Partei, die sagt, ich vertrete die Belange der Hartz-IV-Empfänger und Familien, die sich in den Zentren keine Wohnung mehr leisten können. Dabei wäre es sehr viel ehrlicher, wenn man verstehen würde, wer eigentlich für welche Interessen streiten möchte.

Die Forderung nach der Stadt für alle ist also vor allem politische Augenwischerei?

Die Stadt für alle suggeriert: Es wird eine technische Lösung geben, die es allen recht macht. Aber es wird keine Wohnung für alle geben. Die Wohnung ist immer nur für einen da. Es geht darum, die Konkurrenzen sichtbar zu machen und einen Modus zu finden, wie man regulierend eingreift. Die Stadt für alle kann es gar nicht geben, weil Stadt immer umkämpfter Raum ist.



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