internet.leben

internet.leben»Jetzt grade fühlt es sich so an als würde ein Teil von mir sterben.«
- Sascha

Vor einer Woche hat Sascha über sich und das Internet geschrieben. Er nannte es eine Hassliebe und der Text hat mich zum grübeln gebracht. Zum nachdenken über meine eigene Situation, eine neue Perspektive einbringend. Da ich ihn, dem Text gerecht werdend, nicht wiedergeben kann, empfehle ich ihn selbst zu lesen. Für mich zentral ist eine Art Erschöpfung, er nennt es Social Media Ermüdungserscheinung. Mir geht es selbst ähnlich, immer öfter bin ich genervt von der Kommunikation, die ich früher so geliebt habe. Doch, wie auch er schlussfolgert, ist ein Rückzug keine Option. Wir können nicht sagen, wir machen da nicht mehr mit. Eine Aussage, über die ich früher oft bei anderen gelächelt habe. Manche Veränderungen kann man nicht aufhalten, wir waren vorne dabei, haben den Zug angetrieben. Nachdem viele Grenzen überschritten wurden, brauchen wir etwas anderes. Ich interpretiere hier viel hinein, mische es mit meiner eigenen Empfindungen und bitte um Richtigstellung in den Kommentaren, wenn ich wo falsch liege.

Bei mir sind es private und berufliche Dinge, die ich immer wieder anklingen habe lassen, welche ebenfalls hineinspielen. Vielleicht sogar Hauptauslöser sind. Meine berufliche Situation hat sich verändert. Ein echtes Startup. Wie sich das Arbeiten ändern kann. Die erste Zeit im sektor5 war großartig, jetzt alleine arbeiten macht mich kaputt. Zumindest, wie ich es momentan gestalte. Die meisten Freunde sind in Wien. Nicht alles abgebrochen, aber ein winziger Bruchteil an Treffen, an zielloser Kommunikation. Ich habe begonnen auf englisch zu twittern, wegen einer größenwahnsinnigen Perspektive. Das hat mich viel von der Nähe zur deutschsprachigen Twittosphäre gekostet. Ich halte es noch immer für die richtige Entscheidung. Einfach ist es aber nicht. Thematisch weiter weg von den Neue Medien, Journalismus, Blogger Themen, die sowohl durch Studium als auch Wiener Umfeld geprägt wurden, zum Thema Arbeit und Gesellschaft. Nicht uninteressant aber größtenteils ein Neuanfang, der noch nicht wirklich funktioniert hat. Ich war nicht unbekannt, hatte Themen öffentlich besetzt und die meisten Dinge passierten von selbst. Jetzt muss ich kämpfen und das bin ich nicht gewöhnt. Vielleicht ist es auch das falsche. Selbstzweifel sind auch etwas ganz tolles.

Wie Sascha habe auch ich die wichtigsten Menschen durchs Internet kennen gelernt. Bis auf zwei Freunde, die ich noch aus der Schulzeit kenne. Und beide waren hier schon Gastblogger über einen längeren Zeitraum, als die meisten von euch mich noch nicht gekannt haben. Die meisten wichtigen Kontakte stammen aus der Zeit um 2007. Mit Sascha bin ich interessanterweise erst viel später in Kontakt gekommen. Aber auch er war damals schon umtriebig.

Einen Grund für die Lustlosigkeit sieht er in der veränderten Kommunikation. Verweist auf einen eigenen Beitrag aus dem Sommer: Von Herzchen und Sternen. Habe dort ein längeres Kommentar geschrieben. Im Kern geht es mir darum, dass sich das Liken und Sternen für mich oft wie ein stummes Kopfnicken anfühlt. Man sitzt in einem Raum voller Menschen, jeder sagt einmal etwas, ein paar Nicken. Es fehlt die Konversation. Natürlich gibt es Kommentare und Replys, manche Menschen schicken mir auch noch Mails. Doch Sternchen und Likes sind wesentlich öfter. Sie sind das passende Mittel für die massenhafte Kommunikation. Mir ist es auch lieber 10 Likes zu bekomman, als fünf Kommentare, die nur sagen, dass sie das auch finden. Ich konsumiere so viel, dass ich es nicht schaffe überall ein sinnvolles Kommentar zu schreiben, auch wenn es mich oft reizt. Aber zu schnell erweckt etwas anderes meine Aufmerksamkeit und eigentlich sollte ich auch arbeiten. Also belüge ich mich selbst, klicke auf Like und mache weiter wie bisher.

Was ich auch vermisse ist Persönlichkeit. Die Intimität vieler Blogs, die ich früher geliebt habe, ist verschwunden. Oft mit den Blogs selbst. Offenheit ist etwas so wichtiges und ich bin Sascha sehr dankbar, dass er mit den Text einen Einblick in seine Gedanken gewährt hat. Ich habe mich über die Jahre immer stärker selbst insziniert. Nicht indem ich mich zu jemand anderem gemacht habe, sondern indem ich Dinge weggelassen habe. Dazu gab es auch den einen oder anderen Blogpost, wo ich im Moment aber keine Lust habe, sie rauszusuchen.

Das Internet wird immer selbstverständlicher, immer mehr Menschen nutzen es. Etwas, das ich mir immer gewünscht habe, das aber nicht die Wahrnehmung in der Gesellschaft verändert hat, wie ich es mir gewünscht hätte, sondern wie es schon viele beschrieben haben, dass es lediglich verstärkt, wie die Gesellschaft ist. Das tut weh. Ich halte so viel von den Menschen und es gibt viele ganz großartige Menschen, aber es gibt, momentan gefühlt noch mehr, Idioten und Arschlöcher, die zwischenmenschlich versagen.

Wenn Menschen sich öffnen, erwarte ich, dass sie Verständnis bekommen. Dass es zumindest versucht wird. Doch stattdessen kommen überflüssige Ratschläge, abfällige Bemerkungen und Anbiederungen. Natürlich trifft das nicht auf alle zu und ich bin auf den Großteil meiner Kommentatoren stolz, aber leider musste ich auch miterleben, wie Blogger in die Anonymität gedrängt wurden, ihre Identiäten änderten und ähnliches, um frei schreiben zu können.

Ich selbst bin müde, den Menschen Dinge immer wieder zu erklären, bis sie sie verstehen. Früher hat es mir nichts ausgemacht, ich habe mir für jede und jeden Zeit genommen, habe Dinge neu formuliert und alles im Detail erklärt, um Verständnis zu bekommen. Beim steigenden Informationsfluss, wird das immer anstrengender. Als ein Resultat bin ich arrognater geworden und ich wimmle immer öfter Menschen mit schnippischen Kommentaren ab, was sie oft in ihren Annahmen bestätigt, sie aber mir in der Regel vom Leib hält. Außer ein paar wenige, die es als Aufforderung sehen, noch mehr zu nerven. Doch dann reicht es meist sie zu ignorieren.

Früher habe ich oft propagiert, dass man im Netz einfach authentisch sein muss. Und dass das ganz leicht ist. Man darf sich nur nicht verstellen. Heute halte ich das für Unsinn. Jeder Mensch hat mehrere Personas, die trotzdem die gleiche Person sind, auch wenn sie sich teilweise widersprechen. Ich brauche die Freiheit, manchmal jemand anderer zu sein, im Netz gibt es diese Möglichkeit fast nur durch Anonymität. Es gibt mehrere Selbst- und Fremdbilder. Im Kontakt mit unterschiedlichen Menschen sind unterschiedliche Dinge relevant und bestimmten die Kommunikation. Wenn man für alle gleich ist, dreht man durch, weil man mehr ist als nur dieses eine Ding, von dem alle wollen, dass man es ist. Menschen sind komplexer, als sie damit umgehen können. Ich tue mir selbst schwer zu verstehen oder bloß zu akzeptieren, dass ich andere Menschen nicht nur so sehen kann, wie ich sie wahrnehme. Auf der anderen Seite sollte dies auch keine Rolle spielen, weil für die Interaktion mit mir, eben nur der Teil, der mir gezeigt wird relevant ist. Doch im Internet werden teilweise mehrere sichtbar und verwirren.

Es ist wichtig, dass man mit Freunden einfach sein kann ohne daran zu denken, wie andere einen wahrnehmen. Ich habe die Außenwahrnehmungsschere so verinnerlicht, dass es mir oft gar nicht mehr auffällt, dass ich nur noch die Person mime, die ich zeigen möchte.

Daniel H. Pink schreibt über den Personality Split zwischen Arbeit und Privat, den es bei Free Agents nicht mehr gibt. In dem Bereich kommt er am stärksten raus, ich glaube aber, dass er noch viel öfter stattfindet und auf mehreren Ebenen. Ich bin mir sicher, dass irgendjemand einmal ein Zwiebelschalenmodell dazu erstellt hat, wo man je mehr man jemand vertraut, mehr von seiner Persönlichkeit zeigt. Und unsere Persönlichkeiten sind nie nur schön und selten für uns vorteilhaft, wenn wir sie ungefiltert herzeigen. Man sagt auch den besten Freunden nicht exakt was man denkt, sondern formuliert es für sie passend. Das heißt nicht, dass man lügen muss, sondern dass man über die Art und Weise, über den Tonfall schon etwas verändert. Ich erwarte auch von anderen, dass sie mir die Wahrheit sagen ohne mich stark zu verletzen.

Doch ich komme vom Thema ab. Mir geht es darum, dass die Aussage, dass man einfach authentisch sein muss, das Persönlichkeitsproblem für jemanden, der das Internet lebt, nicht lösen kann. Inzwischen bin ich auch soweit, dass ich mich langsam von meiner Prämisse, dass alles, was im Internet kommuniziert wird, von Mail über FB bis Blog, öffentlich und mit meiner Person in Verbindung bringend ist.

Für manche mag es funktionieren, dass man das Internet nur für bestimmte Kommunikation nutzt. Ich lebe hier. Meine Internetpersonas sind nichts eigenes, sondern meine Personas, die ich offline ebenfalls besitze. Hier sind all meine Freunde. Erschwerend kommt hinzu, dass ich keinen lokalen Freundeskreis habe. Den meiner Freundin, aber da fehlt die über Jahre aufgebaute Vertrautheit und auch die Interessen sind unterschiedlich.

Die letzten Jahre habe ich viel Energie in weak ties gesteckt, die ich auch alle mag, aber da fehlt noch etwas. Für die nächsten Wochen und Monate nehme ich vor, mich mehr um einzelne Personen zu kümmern, die ich jetzt schon als Freunde bezeichnen würde, die sich diesem Glückes aber nicht alle bewusst sind. Ein Grund dafür war neben Saschas Post auch Path. Die Version 2 ist toll geworden. Ich empfehle dazu dieses Video mit dem Gründer und den dailycoffeebreak dazu, wo ich zwar nicht mit allem übereinstimme aber mit vielem. Path ist für mich momentan das Refugium, wo ich mich zurückziehen kann, wenn mir das Web zu viel wird. Ich füge nur Menschen hinzu, denen ich vertraue und die ich gern mag. Dadurch gibt es keine dummen Kommentare, keine pseudolustigen Updates und keine effekthascherischen Überschriften. Man ist dort, weil man sich für die Menschen interessiert, niemand muss versuchen lauter zu sein, niemand geht unter. Der Preis dafür ist die Geschlossenheit, die Abschottung. Die Inhalte sind aber für die meisten Menschen nicht interessant, meist würden sie wohl langweilen. Ich weiß nicht, ob das die Zukunft ist, aber es ist ein Anfang und ich hoffe, dass ich damit wieder etwas Zufriedenheit und Gelassenheit in mein Leben bekomme, sodass nicht mehr meine Freundin alleine dafür verantwortlich ist, dass ich nicht durchdrehe.

Danke Sascha für die Inspiration und euch für die Aufmerksamkeit. Vielleicht habt ihr ja etwas dazu zu sagen.

Foto von Tony Gigov: Alone but not lonely


CC-BY Luca Hammer (Digital Fingerprint: l0ulc6a7h6aom468m67m69eor4ka (209.85.224.97) )

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