Internetkriminalität - Der schwierige Kampf gegen die Kinderschänder

Internetkriminalität  - Der schwierige Kampf gegen die Kinderschänder

Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt

Im Internet tummeln sich Kriminelle. Politik und Behörden in Deutschland wollen ihnen das Handwerk legen – oft fehlen ihnen aber die Mittel. Internetkriminalität  - Der schwierige Kampf gegen die Kinderschänder Der Internetkriminalität beizukommen, ist für Behörden und Politik oft sehr schwierig (Symbolbild)
Foto: picture alliance
Das erste Foto: Das kleine Mädchen ist vielleicht ein halbes Jahr alt. Es trägt einen blau-weiß gestreiften Strampelanzug, das Gesicht hat es abgewendet, in der Hand hält es etwas, das einer violetten Taucherbrille ähnelt. Im Hintergrund ist eine gekachelte Wand zu sehen, ein Badezimmer vielleicht.

Das nächste Bild: Zu sehen ist eine Wickeldecke, auf die kleine gelbe und orange Äpfel gedruckt sind, nackte Beine rechts und links.
Das dritte Foto: Ein Mann mit Brille und kurzen dunkelbraunen Haaren schaut von oben in die Kamera. Sein behaarter Bauch ist entblößt.

Drei Aufnahmen, die ein furchtbares Puzzle ergeben. Das Badezimmer, in dem sie entstanden sind, ist zum Tatort geworden. Das Baby zum Opfer.
Was genau passiert ist, damals vor geschätzten fünf Jahren, zeigt das Bundeskriminalamt auf seinen Fahndungsseiten im Internet nicht; die Fotos sind eigens zurechtgeschnitten worden. Doch schon die Überschrift über den Bildern lässt den Betrachter erstarren.
Es geht um den schweren sexuellen Missbrauch eines Säuglings. Und es geht um eine Tat, die ein Licht wirft auf die wohl dunkelste und widerwärtigste Ecke des Word Wide Web: Kindesmissbrauch und Kinderpornografie.
Der Fall des missbrauchten Säuglings ist abartig und zugleich doch typisch für ein grassierendes Phänomen. Denn der Mann, der sich an dem kleinen Geschöpf vergangen hat, hat sowohl die Tat als auch sich selbst dabei fotografiert und gefilmt - und die Bilder ins Netz gestellt.
Anhand solcher Detailaufnahmen wie der bunten Wickeldecke oder Fotos vom Täter versucht das Bundeskriminalamt (BKA) nun, dem unbekannten Kinderschänder auf die Spur zu kommen.
"Dieser Fall hat für uns höchste Priorität", sagt Christian Hoppe, Leiter der Zentralstelle Kinderpornografie beim BKA. Seine Fahnder haben Anhaltspunkte, dass das Verbrechen in Deutschland geschehen ist. Und sie fürchten, dass der Täter das Kind auch heute noch missbraucht.

Warum der Täter die Bilder gemacht und dann ins Internet gestellt hat, verraten die Fahnder nicht. Doch wahrscheinlich sind es die gleichen Motive, die auch die Mitglieder des "Dreamboards" umtrieben - so nannte sich bis vor Kurzem eine Gruppe von Pädophilen, die über mehrere Länder verteilt war und sich im Internet zu einem riesigen Kinderpornoring zusammengeschlossen hatte.
Bei den rund 600 Mitgliedern handelte es sich keineswegs "nur" um Konsumenten von Kinderpornografie, die sich darauf beschränkt hätten, untereinander Bilder austauschten.
Die "Dreamboard"-Leute waren zugleich selbst oft Täter, die Kinder missbraucht und sich dabei gefilmt haben. Nur wer solche Bilder beisteuerte, wurde "Super VIP" und stieg in die höchste von insgesamt vier Kategorien auf, in die sich "Dreamboard" unterteilte.
Je drastischer die Bilder, je brutaler die Taten und je jünger die Opfer, desto höher die Einstufung des Mitglieds und desto mehr Bilder durfte es sich in dem Internetarchiv anschauen - ein perverses Belohnungssystem, bei dem sich Mitglieder gegenseitig zu immer neuen Taten anstachelten.
Seit 2009 hatten amerikanische Kriminalbeamte in der "Operation Delgado" dem "Dreamboard" hinterhergespürt. Nun wurde gegen 72 Mitglieder des Online-Klubs Anklage erhoben. Den Washingtoner Angaben zufolge kam es auch im Ausland zu 13 Festnahmen - darunter in Deutschland.
"Kinderpornografie gab es als Delikt schon immer", sagt Ermittler Christian Hoppe, "aber durch das Internet hat sich das Problem in Umfang und Qualität eindeutig verstärkt."
Denn heute muss sich ein Kinderschänder keinem Komplizen mehr anvertrauen, sondern kann selbst verbotenes Bildmaterial herstellen und anonym verbreiten. Alles, was er braucht, sind eine Digitalkamera, ein PC und ein Internetanschluss. Für die Opfer ist die Tat gleich doppelt grausam.
"Ein ins Internet gestellter Missbrauch ist nie wirklich zu Ende", sagt Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. Für Therapeuten seien solche Fälle besonders herausfordernd. Selbst wenn die Bilder schon am nächsten Tag gelöscht würden, habe sie bestimmt schon jemand heruntergeladen, der sie wieder ins Netz stelle. "Das Kind", sagt Hilgers, "bleibt sein Leben lang ein Opfer."
Konsum und Verbreitung von Kinderpornos gehen oft Hand in Hand mit dem Missbrauch selbst. So im Fall eines europäischen Kinderpornorings, dessen neun deutschen Administratoren im vergangenen Jahr in Darmstadt der Prozess gemacht wurde.
Einer von ihnen, ein Speditionskaufmann, 57, wurde zu achteinhalb Jahren plus Sicherungsverwahrung verurteilt, weil er selbst Kinder sexuell gequält hatte. Laut Hoppe ist das keine Ausnahme: "Von denen, gegen die wir wegen des Besitzes von Kinderpornografie ermitteln, haben zehn bis 15 Prozent selbst Kinder missbraucht." Untersuchungen in den USA gehen sogar von einer 30-Prozent-Quote aus.

Die Zahlen sind auch deswegen so erschreckend, weil nur ein Bruchteil der Kinderporno-Konsumenten verurteilt wird. Im Darmstädter Fall, berichtet Hoppe, hätten die Ermittler insgesamt 400 Mitglieder gezählt, doch nur 160 habe man davon identifizieren können, darunter 120 Deutsche.
Rund 140 Hinweise erhält Hoppes Abteilung jeden Monat. Was die Ermittler dabei zu sehen bekommen, ist psychisch so belastend, dass das BKA vor zwei Jahren eigens ein Stress-Prophylaxe-Programm eingeführt hat.
Die Internet-Ermittler bewegen sich bei ihrer Arbeit nicht nur psychisch, sondern auch juristisch auf unsicherem Gelände. Die meisten Kinderpornoringe sind mit Passworten geschützt, wer mitmachen will, muss als Aufnahmeprüfungen selbst entsprechende Aufnahmen beisteuern. Doch das ist Polizisten nicht gestattet.
Hoppe sagt nur, es gebe andere Möglichkeiten. Aber die sind eingeschränkt: Trojaner, also Spähprogramme, dürfen die Cyberkriminalisten ebenfalls nicht einsetzen.
Früher hatten die Ermittler zumindest noch die Möglichkeit, auf gespeicherte Vorratsdaten zurückzugreifen. Denn meist ist die IP-Adresse die einzige digitale Fährte, die die Mitglieder von Kinderpornoringen hinterlassen.
Das Bundesverfassungsgericht forderte Anfang 2010 jedoch eine verbesserte Sicherheit der Vorratsdaten - seitdem speichern Provider höchstens noch einige Tage. Eine Neuregelung lässt auf sich warten, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sperrt sich vehement gegen die umfassende und anlasslose Speicherung.
In Ermittlerkreisen heißt es aber übereinstimmend, dass die Vorratsdatenspeicherung geholfen habe. Das BKA erklärte bereits im September 2010, seit dem Karlsruher Urteil habe man wegen des Verdachts der Kinderpornografie knapp 850-mal bei Providern angefragt - in drei von vier Anfragen aber keine Auskunft mehr erhalten.
BKA-Chef Jörg Ziercke sieht die Ermittlungen seiner Beamten behindert. Kritiker bemängeln wiederum, es gebe keine Vergleichszahlen zu der Zeit vor dem Speicherverbot, zudem betreffe der Aspekt Kinderpornografie weniger als 0,1 Prozent der registrierten Straftaten, eine Speicherung der Daten sei somit unverhältnismäßig. Die politische Situation ist festgefahren.
Schwer getan hat sich die Bundesregierung lange Zeit auch mit der Frage, wie sie mit kinderpornografischen Websites umgehen sollte. Favorisierte sie zunächst das Sperren solcher Seiten, hat sie nun einen Schwenk vollzogen und Ende Juli dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem sie sich für das Löschen der Seiten ausspricht. Testläufe des "Arbeitskreises Zensur" und ein mehrmonatiger Probelauf des BKA hatten ergeben, dass dieses Löschen meist auch dann recht schnell abläuft, wenn die entsprechende Seite auf einem ausländischen Server liegt.
Auch die EU scheint mittlerweile vom Ansatz "Löschen statt Sperren" überzeugt. Nach der Sommerpause wollen die EU-Parlamentarier über eine neue Richtlinie gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie abstimmen: Darin fordern die Abgeordneten ein Löschen entsprechender Internetinhalte. Außerdem sollen die nationalen Höchststrafen einheitlicher und der Opferschutz verbessert werden.
Zudem soll Kindesmissbrauch auch dann innerhalb der EU strafrechtlich verfolgt werden, wenn er im EU-Ausland, also beispielsweise in Thailand, stattgefunden hat. "Uns ist bewusst, dass der Kampf gegen die Kinderpornografie eine Sisyphusarbeit ist", sagt die deutsche EU-Abgeordnete Birgit Sippel (SPD). "Aber die Richtlinie ist ein deutliches Signal, dass die Behörden der EU-Staaten diesen Kampf aufnehmen."
Weil heute Kinderpornoringe oft über Staatengrenzen hinweg zusammenarbeiten würden, müssten auch die europäischen Ermittlungsbehörden und die Justiz eng miteinander kooperieren können. Der Hamburger EU-Abgeordnete Knut Fleckenstein (SPD) kritisiert, dass es zurzeit noch zu wenige Ermittler beim BKA und den Landeskriminalämtern gebe, die gezielt gegen Kindesmissbrauch im Internet ermitteln. Dennoch ist er überzeugt: "Die Richtlinie ist eine klare Ansage an die Kinderpornorringe: Wir werden euch das Handwerk legen."
Quelle: Hamburger Abendblatt 09.08.2011

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