Intelligenz kann gefährlich sein – und der Tatort verdammt gut: "Tatort: Im Schmerz geboren"

Erstellt am 13. Oktober 2014 von Bandrix @cityofcinema1
Michael Proehl und Florian Schwarz – diese beiden Namen sollte man sich merken. Vor vier Jahren waren Drehbuchautor Proehl und Regisseur Schwarz bereits für den Hessischen Rundfunk tätig. Damals, am 3. Januar 2010, strahlte das Erste den Tatort „Weil Sie böse sind“ aus – ein unglaublich starker Streifen. In den Hauptrollen mit Matthias Schweighöfer und Milan Peschel zwei bekannte deutsche TV- und Kino-Gesichter. In dem Film ging es – kurz gesagt – um Rache und Hass, was in einem perfiden Spiel des Hauptprotagonisten Schweighöfer ausartet. Ein Tatort, den man trotz (oder gerade wegen) Schweighöfer einmal gesehen haben sollte. Im neusten Tatort des Super-Duos „Im Schmerz geboren“ geht es wieder um Rache und wieder um einen klugen Plan. Und wieder ist das Endprodukt ein Meisterwerk, manche Medien sprechen gar vom besten Tatort aller Zeiten. So weit möchte ich nicht gehen, so weit darf man auch vermutlich gar nicht gehen, aber Fakt ist: Das, was da am 12.10.2014 zwischen 20:15 Uhr und 21:45 Uhr in den deutschen Wohnzimmern auf den Fernsehgeräten zu bewundern war, war ganz großes Tennis.

Die Protagonisten: Harloff (Ulrich Matthes, l.) und Murot (Ulrich Tukur) genießen sündhaft teuren Wein. ©HR/Philip Sichler

Drei bewaffnete Männer stehen an einem kleinen hessischen Provinz-Bahnhof und warten auf den Zug. Kurze Zeit später hält dieser, ein Mann in weißem Anzug steigt aus – anscheinend das Objekt der Begierde. Doch dann: Peng, Peng, Peng – und die drei Männer, die bestimmt nicht mit dem Hessenticket zum Erkunden des schönen Bundeslandes angereist waren, fielen um. Tot, erschossen, aber nicht von dem Mann in dem weißen Anzug. Ein Fall für Felix Murot vom LKA, gerade geheilt von seinem Gehirntumor. Murot, der gerade von einem Date kam (Kein Internet-Date!), bekommt einen kleinen Schock, als er den Mann im weißen Anzug auf den Überwachungsbildern sieht. Er kennt ihn, Richard Harloff ist sein Name, ein ehemaliger Drogenbaron, der jetzt in Südamerika ökologische Waisenhäuser betreibt. Und nicht nur das: Als Murot ihn verhaften möchte, zückt der Mister Goodguy plötzlich einen bolivianischen Diplomatenpass. Scheiße gelaufen für Murot. Vor Harloffs Drogenkarriere waren beide mal mit der selben Frau zusammen und beide besuchten die Polizeischule. Von der musste sich Harloff dann aber verabschieden. Jetzt ist er also zurück, und irgendetwas möchte er von Murot – aber was...
Gehirntumor beseitigt, jetzt kann Tukur endlich überzeugen
Felix Murot ist endlich geheilt! Das ist die eigentliche Nachricht des Abends.
Als er 2010 mit „Wie einst Lilly“ in den Kreis der Tatort-Ermittler kam, war ich regelrecht erbost. Wieder mal so ein unnormaler Ermittler, der keine Frau, drei Kinder, Hunde und ein schönes Haus besitzt. Murot hatte einen Gehirntumor, mit dem er sprach. Ohje. Und als dann ein Jahr später mit „Das Dorf“ ein kruder Möchtegern-Kunstmist über den Bildschirm flimmerte, hatte ich nur noch einen Wunsch: Murot muss krepieren an dem Teil in seinem Kopf.
Sein dritter Fall „Schwindelfrei“, in dem es in den Zirkus ging, war dann leider eine ziemlich müde Angelegenheit. Nein, innerlich hatte ich abgeschlossen mit dem Wiesbadener Standort. Doch nach dem gestrigen Abend sieht die Lage schon wieder deutlich besser aus: Kaum ist er seinen Tumor los, da darf Tukurs Figur endlich brillieren. Proehl und Schwarz sei Dank, die beiden Macher zeigen sich mit „Im Schmerz geboren“ risikofreudig. Es hätte wie beim Dorf-Fall wieder in einer billige Kopie enden können – damals waren Edgar Wallace & David Lynch die Vorbilder - , letztlich ist ihr Fall aber eine tolle Hommage an viele Größen der Kulturszene geworden. 

Der Tatort des Geschehens: ein Bahnhof im Hessischen. Drei Männer wurden hier just wie im Western hingerichtet. ©HR/Philip Sichler

Der Beginn am Bahnhof lässt sofort den Atem stocken: Eine feine Western-Inszenierung, an der auch Sergio Leone seine helle Freude gehabt hätte. So geht es munter weiter. Schwarz zeigt, wie schön man das Zielen mit dem Laser-Punkt einer Waffe in Szene setzen kann. Kunstvoll auch die Inszenierung einer großen Massenschießerei. Man merkt jeder Szene die Liebe zum Detail an. Zwischendurch halten Szenen an, das Bild färbt sich in roten oder grünen Tönen – Tarantino lässt grüßen. Aus dem Hintergrund ertönen Bach und Beethoven, extra eingespielt vom HR-Sinfonieorchester. Die ganzen 90 Minuten werden von Alexander Held als Erzähler kommentiert – eine einmalige Idee, die aber aufgeht. So fühlt man sich wie im Theater.
Jeder einzelne Mord – insgesamt gibt es sogar knapp 50 – wird zelebriert, der ganze Streifen ist mehr als bloße Sonntagabend-Massenware zur Sendeplatz-Auffüllung. Schwarz & Proehl hatten Bock, etwas Großes zu erschaffen. Und sie haben es wie bei „Weil sie böse sind“ geschafft. Die Fallhöhe war auch diesmal groß, aber mit Tukur und Ulrich Matthes als seinen Gegenpart können sie sich auf ihre Schauspielerriege verlassen. Aber auch der restliche Cast mit Held oder Barbara Phillip als Murots Gehilfin steht ihnen im Nichts nach. Die Story verspricht einiges an Action und Spannung, die Szenen sind teilweise ein regelrechtes Gedicht. Und seien wir mal ehrlich: Ein Picknick im Park von Kommissar und Bösewicht mit 200-Euro-Wein und 200-Euro-Kaffee, wenn ringsherum SEK-Beamten – die übrigens noch Cocktails serviert bekommen - warten, darauf hat Fernsehdeutschland gewartet!

©ARD

„Intelligenz kann gefährlich sein“, sagt Harloff an einer Stelle. Und der Tatort kann verdammt gut sein – was mit „Im Schmerz geboren“ einmal mehr bewiesen wäre.
BEWERTUNG: 10/10Titel: Tatort: Im Schmerz geborenErstausstrahlung: 12.10.2014Genre: KrimiRegisseur: Florian SchwarzDarsteller: Ulrich Tukur, Ulrich Matthes, Barbara Philipp, Alexander Held, Golo Euler, Alexander Scheer