Inszenierte Dokumentation “This Ain’t California”

Erstellt am 11. September 2012 von Denis Sasse @filmtogo

© 24bilder / Kai Hillebrand als Denis Panicek in “This Ain’t California”

Ist es wirklich so ein verheerendes Unheil wenn der Kinogänger nicht über die inszenierte Darstellung einer Dokumentation aufgeklärt wird? Im Falle der deutschen Pseudo-Doku „This Ain’t California“ von Regisseur Marten Persiel haben die vielen nachgestellten Szenen an mancherlei Stelle für Unmut gesorgt, da der Zuschauer nicht über den Echtheitsgehalt der gerade gezeigten Szene informiert wurde. Wenn man sich jedoch die zentrale Figur des Denis Panicek anschaut, schweifen die Gedanken sowieso unweigerlich zu Robert Stadlobers Rolle als Punker Engel in Vanessa Jopps „Engel & Joe“, wieso dann nicht einfach Kai Hillebrand in eben der Rolle des aufmüpfigen DDR-Teenager ertragen, der seine Leidenschaft fürs Rollbrett-Fahren entdeckt?

In sieben Episoden und einen Epilog aufgeteilt wird hier eben diese Geschichte von Denis Panicek erzählt, der aus der DDR heraus die internationale Szene des Skateboard-Fahrens kennenlernt. Zuerst noch ebenso im Überwachungsstaat wie unter den Fittichen seines Vaters gefangen, wird ihm durch sein Rollbrett ein gewisses Freiheitsgefühl bewusst, welches er in teils aggressiven, teils rebellischen Taten ausleben möchte. Dabei führt es den Teenager hinaus aus seiner Heimat Olvenstedt in das große Berlin, welches dem Dörfler wie ein Wunderland vorgekommen sein dürfte. Hier florierte die Rollbrett-Szene trotz der anfänglichen Bemühungen des Staates diese offensichtlich westliche Invasoren-Sportart auszumerzen, dann später aber mit einem Wettkampfgedanken zur eigenen Profilierung zu nutzen. Hierdurch gelangen Denis und seine Skater-Freunde auch zur Euroskate ’88 nach Prag, wo er zum ersten Mal das Gefühl bekommt, zu den wenigen Menschen zu gehören, die ihr Leben nicht in aller Freiheit genießen können.

Rollbrett-Fahren auf dem Alexanderplatz in Berlin

Die dort geknüpften Kontakte sollten natürlich aufrecht erhalten werden, schon allein um die qualitativ besseren West-Rollbretter zu bekommen, die den ständig zu Bruch gehenden Ost-Brettern weit überlegen waren. Nach einem unautorisierten Skate-Contest von West und Ost kommt es nach Ausschreitungen zur Verhaftung von Panicek, der inzwischen als Panik in der Skaterszene bekannt geworden ist Daraufhin bricht der Kontakt zwischen ihm und seinen Freunden ab. Sie hören erst wieder von ihm, als ihnen sein Tod im Afgahnistankrieg mitgeteilt wird.

Ganz gleich ob sich der Zuschauer darüber bewusst ist, ob die gezeigten Sequenzen gerade gestellt sind oder aus Archivmaterial bestehen, auf wahren Begebenheiten beruht das Ganze dennoch und der Unterhaltungsfaktor wird durchgehend aufrecht erhalten. Das ist vor allem der abwechslungsreichen Inszenierung zu verdanken, die einmal mit – nachgestellten – Super 8 Kamerabildern arbeitet, dann wieder mit Interviews, animierten Abschnitten und Archivmaterial aus Fernsehsendungen, in denen dann auch Helmut Kohl, Bill Clinton oder Gerhard Schroeder zu Wort kommen dürfen. Dabei sollte man sich nicht nur als Skater angesprochen fühlen, denn „This Ain’t California“ bietet soviel mehr, worüber es zu staunen gibt. Ganz nebenbei spricht man dann auch schon mal über die Architektur Berlins, fängt das Lebensgefühl einer Generation ein, zeigt die immense Bedeutung von internationalen Zusammenkünften, ebenso wie die Entstehung einer Freundschaft. Hier wird ein zeithistorisches Kulturbild geschaffen, das gerade durch den nachträglichen Einsatz der real erscheinenden Super 8 Aufnahmen an viel Authentizität gewinnt.

Durchgedrehter Rebell: Denis Panicek (Kai Hillebrand)

Viel störender wirken dann tatsächlich die qualitativ hochwertigen Aufnahmen des Freundeskreises, der sich nach dem Tod von Denis noch einmal auf dem Gelände einer alten Wäscherei trifft um am atmosphärischen Lagerfeuer über die Vergangenheit zu sinnieren. So real diese Aufnahmen auch sein sollen, stellen sie einen Bruch in den sonst so hübsch rückblickenden Film dar. Es erscheint fast so, als wolle Regisseur Persiel durch das Zeigen dieses „in Erinnerungen schwelgen“ offenbar nur Emotionen erzeugen, die zwischen Traurigkeit und „gute alte Zeit“ rangieren. Das trifft aber dann nicht mehr ganz den Ton dieser Dokumentation. Das reiht sich dann nur wenig in Episoden ein, in denen ein langhaariger, blond gelockter Schnauzbartträger, braungebrannt im Handstand auf seinem Rollbrett über den Alexanderplatz fährt. Er hat zwar noch nicht verstanden, dass das hier nicht Kalifornien ist, aber dafür bekommt er dennoch alle Mädchen ab, die ihm verliebt quietschend zu Füßen liegen.

Die Erzählung rollt geschmeidig auf dem Rollbrett voran, zeigt die Höhe und Tiefen in Denis Paniceks Leben, macht diesen Rollbrettfahrer aus der DDR zu einem Mythos, zu einer Legende, über die man ab „This Ain’t California“ in Ost und West sprechen würde, hätte diese Aufteilung nicht schon lange ihr Ende gefunden. Welche Aufnahmen nun gestellt sind, welche real, darüber mag sich bitte jeder selbst informieren, wenn es denn überhaupt von irgendeiner Relevanz ist. Natürlich weicht die Begrifflichkeit der Dokumentation hier eher dem inszenierten Found-Footage-Film, womit sich „This Ain’t California“ aber sicherlich auch zugleich zu einem der besten Vertreter dieses sonst vom Horrorfilm dominierten Gattung macht.

Denis Sasse


“This Ain’t California“