Insiderwissen zum Libyenkrieg

Von Denkbonus


Michel Chossudovsky ist Professor der Wirtschaftswissenschaften und lehrt an der kanadischen Universität Ottawa. Als Wirtschaftsberater unterstützte er eine ganze Reihe von Regierungen in Entwicklungsländern, unter anderem auch als Consultant für Entwicklungsprogramme der Vereinten Nationen. Er arbeitete für die Afrikanische Entwicklungsbank, die WHO und die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik, um nur einige Stationen seines Lebens zu nennen. Heute leitet er das Global Research Center in Montreal und hat Zugang zu Informationen aus Regierungskreisen. Kurzum, der Mann ist ein absoluter Insider, der genau weiß, was er sagt.


Libyen: Grösste Militäroperation seit der Invasion des Irak

Michel Chossudovsky – Unverblümte Lügen der internationalen Medien: Bomben und Raketen werden als Instrumente des Friedens und der Demokratisierung gepriesen: Hier geht es nicht um ein Eingreifen aus humanitären Gründen. Der Krieg in Libyen eröffnet einen neuen Kriegsschauplatz. In der Grossregion Naher und Mittlerer Osten sowie Zentralasien existieren drei unterschiedliche Kriegsschauplätze: Palästina, Afghanistan und der Irak.

Vor unseren Augen entwickelt sich ein vierter Kriegsschauplatz der USA und der NATO in Nordafrika und erhöht das Risiko einer Eskalation. Diese vier Kriegsschauplätze sind funktionell miteinander verbunden; sie sind Teil einer integrierten militärischen Agenda der USA und der NATO.

Die Luftangriffe auf Libyen wurden schon seit Jahren von den Planungsstäben des Pentagon vorbereitet, wie der frühere NATO-Kommandeur General Wesley Clark bestätigte. Operation Odyssey Dawn wird als die „grösste militärische Intervention des Westens in der arabischen Welt seit der Invasion des Irak vor genau acht Jahren“ bezeichnet. („Russia: Stop ›indiscriminate‹ bombing of Libya“, Taiwan News Online, 19. März 2011)

Dieser Krieg ist Teil des Kampfes um Erdöl. Libyen gehört zu den weltweit grössten Erdöl-Volkswirtschaften mit einem geschätzten Anteil von 3,5 Prozent an den globalen Erdölreserven; damit sind seine Reserven zweimal so gross wie die der USA. Hinter dem militärischen Eingreifen steht das Ziel, sich unter dem Vorwand einer Einmischung aus humanitären Gründen die Kontrolle über die libyschen Erdöl-und Erdgasreserven anzueignen. Die geopolitischen und wirtschaftlichen Auswirkungen einer von den USA und der NATO angeführten militärischen, gegen Libyen gerichteten Intervention reichen weit.

Operation Odyssey Dawn ist Teil einer umfassenderen militärischen Agenda für den Nahen und Mittleren Osten sowie Zentralasien, die darauf abzielt, die Kontrolle und Besitzrechte von mehr als 60 Prozent der Weltreserven von Erdöl und Erdgas, einschliesslich der Erdgas- und Erdölpipelines, an sich zu reissen. Mit 46,5 Mrd. Barrel (1 Barrel = 158,99 Liter) an nachgewiesenen Reserven (zehnmal mehr als Ägypten) ist Libyen die grösste afrikanische Erdölwirtschaft, gefolgt von Nigeria und Algerien (Oil and Gas Journal). Im Gegensatz dazu werden die nachgewiesenen amerikanischen Erdölreserven nach Angaben der Behörde für Energieinformation mit etwa 20,6 Mrd. Barrel beziffert. (Stand Dezember 2008, U.S. Crude Oil, Natural Gas, and Natural Gas Liquids Reserves)
Grösster Militäreinsatz seit der Invasion in den Irak

Ein Militäreinsatz dieser Grösse und dieses Umfangs, an dem sich verschiedene NATO-Mitgliedsstaaten und andere Partnerländer aktiv beteiligen, kann niemals improvisiert sein. Operation Odyssey Dawn befand sich bereits vor Beginn der Proteste in Ägypten und Tunesien in einem fortgeschrittenen militärischen Planungsstadium. Die Weltöffentlichkeit sollte glauben gemacht werden, die Protestbewegung hätte spontan von Tunesien und Ägypten auf Libyen übergegriffen. Der bewaffnete Aufstand in Ostlibyen wird direkt von ausländischen Mächten unterstützt. Die Rebellen in Bengasi hissten sofort die rot-schwarz-grüne Flagge mit dem Halbmond und dem Stern – die Flagge der Monarchie unter König Idris, die die Herrschaft der früheren Kolonialmächte symbolisiert. Der Aufstand war also geplant und mit dem Zeitpunkt der militärischen Operation abgestimmt. Er war als Teil einer verdeckten Operation bereits Monate vor den Demonstrationen und Protesten sorgfältig vorbereitet worden. Amerikanische und britische Sondereinheiten befanden sich von Anfang an vor Ort, um der „Opposition beizustehen“. Wir haben es hier mit einem militärischen „Fahrplan“ sorgfältig geplanter militärischer und nachrichtendienstlicher Aktionen zu tun. (Manlio Dinucci, „Libya – When historical memory is erased“, Global Research, 28. Februar 2011)

Vereinte Nationen als Komplize

Die Luftangriffe haben bereits zu zahllosen zivilen Opfern geführt, die von den Medien entweder als „Kollateralschaden“ bezeichnet oder den libyschen Streitkräften zugeschrieben werden. Es ist fast schon zynisch zu nennen, dass die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates der NATO das Mandat erteilt, „Zivilisten zu schützen“. Paragraf 4 „autorisiert die Mitgliedsstaaten, die den Generalsekretär verständigt haben, national oder über regionale Organisationen und Vereinbarungen sowie in Zusammenarbeit mit dem Generalsekretär zu handeln und alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, abweichend von Paragraf 9 der Resolution 1970 (2011), um Zivilisten und zivil bewohnte Gebiete in der Libysch-arabischen Dschamahirija, einschliesslich der Stadt Bengasi, denen Angriffe drohen, zu schützen. Das schliesst eine Besatzungstruppe in jeder Form und auf jedem Teil der Republik Libyen aus. Die Mitgliedsstaaten sind aufgefordert, den Generalsekretär umgehend über die von ihnen im Rahmen der Ermächtigung gemäß dieses Paragrafen ergriffenen Maßnahmen zu informieren, der daraufhin sofort den UN-Sicherheitsrat unterrichtet.“ („UN Security Council Resolution on Libya: No Fly Zone and Other Measures“, 18. März 2011)

Diese Resolution des UN-Sicherheitsrates gibt den Koalitionskräften unter Missachtung des Völkerrechts und unter Verletzung der UN-Charta praktisch grünes Licht, einen offenen Krieg gegen ein souveränes Land zu beginnen. Darüber hinaus dient sie vorherrschenden Finanzinteressen: Sie erlaubt nicht nur Luftangriffe auf einen souveränen Staat, sondern zugleich auch, [finanzielle und wirtschaftliche] Werte einzufrieren, was das libyschen Finanzsystem gefährdet.

Einfrieren wirtschaftlicher Werte

Paragraf 19 entscheidet, dass das Einfrieren von Werten, wie es die Paragrafen 17, 19, 20 und 21 der Resolution 1970 (2011) anordnen, auf alle Fonds und andere Finanzwerte sowie wirtschaftliche Ressourcen angewendet werden soll, die sich auf ihren Territorien befinden und von den libyschen Behörden besessen oder direkt oder indirekt kontrolliert werden. Nirgendwo in der Resolution des UN-Sicherheitsrats wird das Problem eines Regimewechsels angesprochen. Aber es besteht Einvernehmen darüber, dass die Oppositionskräfte einen Teil der Gelder, die gemäß Art. 19 der Resolution 1973 beschlagnahmt werden, erhalten sollen. Gespräche mit führenden Vertretern der Opposition zu diesem Punkt haben bereits stattgefunden. So etwas bezeichnet man eigentlich als Kooptation und Finanzbetrug: Ziffer 20 bestätigt seine Entschlossenheit, dass Werte, die gemäß Paragraf 17 der Resolution 1970 eingefroren wurden, so schnell wie möglich zu einem späteren Zeitpunkt dem Volk der Libysch-arabischen Dschamahirija zur Verfügung gestellt und zu seinem Nutzen angewendet werden sollen. Was die Durchsetzung des Waffenembargos nach Paragraf 13 der Resolution angeht, wollen sich die Koalitionskräfte ohne Ausnahme verpflichten, ein Waffenembargo gegen Libyen durchzusetzen. Mit ihren Waffenlieferungen an die Aufständischen in Bengasi haben sie aber Paragraf 13 von Anfang an verletzt.

Ein langwieriger Militäreinsatz?

Politische und moralische Vorstellungen werden in ihr Gegenteil verkehrt. In einer verqueren Logik sollen Frieden, Sicherheit und der Schutz der libyschen Bevölkerung durch Raketenangriffe und Bombardierungen erreicht werden. Der Militäreinsatz zielt nicht darauf ab, Zivilisten zu schützen, sondern auf einen Regimewechsel und die Aufspaltung Libyens (wie im Falle Jugoslawiens) in verschiedene Länder. Washington dachte schon seit vielen Jahren über die Gründung eines unabhängigen Staates in den Erdölfördergebieten Ostlibyens nach. Knapp eine Woche vor Beginn der Luftangriffe betonte der oberste Geheimdienstchef der USA, der Direktor Nationale Nachrichtendienste (DNI) James Clapper, vor dem Verteidigungsausschuss des amerikanischen Senats, Libyen verfüge über bedeutende Luft-Verteidigungskapazitäten und die Umsetzung einer Flugverbotszone könnte möglicherweise in einen langwierigen Militäreinsatz münden: Die Politik Präsident Obamas „zielt darauf ab, Gaddafi aus dem Amt zu entfernen“, wiederholte der Nationale Sicherheitsberater. Aber Clappers Aussage machte deutlich, wie schwierig das sein könnte. Er erklärte vor dem Ausschuss, seiner Ansicht nach stelle sich Gaddafi auf eine lange Auseinandersetzung ein und habe keineswegs die Absicht, freiwillig zu gehen.

Später führte er einige Gründe an, warum Gaddafi seiner Ansicht nach die Oberhand gewinnen könnte. Das Regime verfüge über erheblichen militärischen Nachschub und könne auf die besten ausgebildeten Kräfte der Armee zählen. Dabei handele es sich unter anderen um „robust ausgerüstete“ Einheiten wie die 32. Brigade, die von Gaddafi Sohn Khamis befehligt wird, und die 9. Brigade. Ihr militärisches Gerät setzt sich zum grossen Teil aus Luftabwehrkapazitäten russischer Herstellung, Geschützen, Panzern und anderen Fahrzeugen zusammen, „und sie scheinen genauer zu wissen, wie ihre Ausrüstung zu behandeln und zu reparieren ist“, fuhr Clapper fort. Clapper bezweifelte Einschätzungen, nach denen eine Flugverbotszone rasch und einfach umgesetzt werden könnte, denn Gaddafi kommandiere die nach Ägypten zweitgrössten Luftverteidigungssysteme des Nahen Ostens. „Sie verfügen über erhebliche Mengen an russischer Ausrüstung, die auch von entsprechender Qualität ist. Ein Teil dieser Ausrüstung ist den Aufständischen in die Hände gefallen“, sagte er weiter.

Das libysche Regime verfügt darüber hinaus auch über 31 Boden-Luft-Raketenstellungen sowie einen Radarkmplex, „die die vorrangige Aufgabe haben, die (Mittelmeer-)Küste zu schützen. „In dieser Region leben zwischen 80 und 85 Prozent der Bevölkerung“, erläuterte Clapper. Gaddafis Einheiten besässen auch „eine riesige Anzahl“ von Panzerfäusten. Armeegeneral Ronald Burgess, Leiter des Militärgeheimdienstes DIA, stimmte Clappers Einschätzung zu. Die Zeit spiele den Einheiten Gaddafis in die Hände, erklärte er, nachdem zuvor die Opposition die Initiative gehabt hätte. „Ob die Initiative im Lande jetzt völlig auf Gaddafis Seite gewechselt ist, ist meiner Meinung nach unklar“, sagte Burgess weiter. „Aber wir haben nun eine Art Gleichgewicht erreicht, bei dem die Initiative möglicherweise beim Regime liegt.“

Wenige Stunden nach Clappers Stellungnahme legte Obamas Nationaler Sicherheitsberater Thomas Donilon eine deutlich abweichende Einschätzung vor, was auf Differenzen zwischen dem Weissen Haus und den amerikanischen Nachrichtendiensten hindeutet. Donilon erklärte, die Lageeinschätzung der Geheimdienstchefs sei „statisch“ und „eindimensional“. Sie gehe von einem militärischen Kräftegleichgewicht aus und vernachlässige Gaddafis zunehmende Isolation und das Vorgehen der internationalen Gemeinschaft, die sich auf die Seite der Opposition stelle. Diese Stellungnahmen deuten darauf hin, dass sich Operation Odyssey Dawnzu einem langwierigen offenen Krieg entwickeln könnte, in dem die NATO und die USA erhebliche Verluste beklagen müssten. („White House, intel chief split on Libya assessment“, McClatchy, 11. März 2011)

Bereits seit Beginn der Luftangriffe melden libysche Quellen militärische Rückschläge für die NATO. Bisher unbestätigte libysche Berichte meldeten nur wenig Stunden nach Beginn der Luftangriffe den Abschuss dreier französischer Kampfflugzeuge. Mahdi Darius Nazemroaya, („Breaking News: Libyan Hospitals Attacked. Libyan Source: Three French Jets Downed“, Global Research, 19. März 2011)

Das staatliche libysche Fernsehen berichtete, ein französisches Kampfflugzeug sei in der Nähe von Tripolis abgeschossen worden. Die französische Armee dementierte diese Meldung: „Wir weisen die Information zurück, dass ein französisches Kampfflugzeug in Libyen abgeschossen wurde. Alle Flugzeuge, die wir heute zu Einsätzen losgeschickt haben, sind in ihre Stützpunkte zurückgekehrt“, sagte der französische Armeesprecher Oberst Thierry Burkhard, der von der Tageszeitung Le Figaro zitiert wird. Noch unbestätigte Berichte aus Libyen vom Sonntag melden den Abschuss zweier Kampfflugzeuge aus Katar. Andere libysche Berichte sprechen von insgesamt fünf abgeschossenen französischen Kampfflugzeugen; drei davon sollen in Tripolis, die beiden anderen bei einem Angriff auf Sirte abgeschossen worden sein. (Mahdi Darius Nazemroaya, „Libyan Sources Report Italian POWs Captured. Additional Coalition Jets Downed“, Global Research, 20. März 2011) und („Libya: A french fighter plane was shot down! The French Army denies this information“, xiannet.net, 20. März 2011)

Quelle: Mit freundlichem Dank an Global Research