Ins Rampenlicht gezerrt

Ins Rampenlicht gezerrtVon Stefan Sasse – In seinem Artikel „Kanonen gegen Online-Spatzen“ überlegt Jens Berger beim Spiegelfechter, warum die Verlage – allen voran SZ und FAZ – so aggressiv gegen ein Webangebot vorgehen, das ihnen eigentlich nur nützen kann: die Seite commentarist.de wollte Anrisse von Meinungsartikeln sammeln, also ein wenig wie eine Suchmaschine für Meinungen aller Zeitungen.

Da die Anrisse direkt zu den jeweiligen Artikeln führen, konnten die Verlage nur profitieren, doch SZ und FAZ packten die juristischen Geschütze aus und zwangen commentarist.de zur vorläufigen Einstellung des Angebots. Gleichzeitig sind noch Klagen darüber anhängig, wie viel Zitat aus bestehenden Artikeln erlaubt sein soll. Die juristische Zielsetzung scheint zu sein, dass selbst eindeutige Phrasen – etwa „Wir sind Papst“ oder ähnliche Überschriften – geschützt sein und nicht zitiert werden dürfen. Das wäre natürlich das Ende des Bloggens, wie wir es kennen. Die Frage aber, warum die Verlage so etwas tun – schließlich bringen diese Zitate Aufmerksamkeit und wegen der Links Leser – kann Jens Berger nicht wirklich schlüssig beantworten. Selbstverständlich wird eine eindeutige Antwort hier kaum zu geben sein. Im Gegensatz zu manchen angelsächsischen Angeboten sind die deutschen Blogs allesamt viel zu klein und unbedeutend, um auch nur mittelfristig eine wirtschaftliche Konkurrenz zu den etablierten Verlagen darstellen zu können; auf eine deutsche Huffington Post werden wir noch lange und vergeblich warten müssen. Im Allgemeinen halten sich die Blogs außerdem an bestehende Gesetze und zitieren keine längeren Passagen, so dass auch kein Content-Raub stattfindet. Angesichts der geringen Leserzahlen von Blogs im Vergleich zu den Zeitungen, selbst online, und dem Nicht-Vorhandensein einer Art von Raubkopiekultur, wie sie die Musikindustrie anzuprangern nicht müde wird, fallen wirtschaftliche Gründe für diesen Kampf gegen die Blogger aus.

Umso verwunderlicher ist die Vehemenz, mit der dieser Kampf geführt wird. Seit Monaten überfluten besonders in der Journalismus-Hierarchie höher Stehende das Netz und auch die Printwelt mit Beiträgen, in denen sie erklären, warum die „Qualitätsmedien“ – ein von ihnen geprägter Begriff für sich selbst – den neuen Kommunikationsformen im Netz, vor allem den Blogs, überlegen sind. Begleitet wird diese publizistische Kampagne, deren Argumentation entlang der Linie „alles was gedruckt ist ist Qualität, der Rest nicht“ verläuft, von intensivem politischen Lobbying, das inzwischen seine ersten Früchte trägt (siehe hier). Neben der aggressiven Selbstvermarktung als Qualitätsmedien und einzig qualifizierten Personen für Meinungsproduktion existiert eine zweite Schiene, die eine nicht vorhandene „Gratis-Kultur“ im Netz anprangert (ebenfalls eine Wortschöpfung der Verlage). Dieser Argumentation zufolge wollen alle Internet-User nichts bezahlen und alles gratis, was an der wirtschaftlichen Malaise der Verlage schuldig wäre.

Diese Argumente wurden bereits oft auseinandergenommen, besonders Stefan Niggemeier ist es eine ständige Freude sich daran abzuarbeiten. Besonders der Vorwurf der Gratis-Kultur ist nachgerade lächerlich, schließlich zwingt niemand die Verlage, ihre Inhalte kostenlos ins Netz zu stellen. Was hier stattfindet, ist ein normaler marktwirtschaftlicher Prozess: der Spiegel hatte zuerst ein erfolgreiches Onlineangebot mit kostenlosen Texten, das werbefinanziert war, und der Rest der Verlage zog nach. Wirtschaftlich gesehen handelt es sich schlicht um eine Fehlkalkulation und -investition: die Verlage gingen davon aus, dass sie die Kosten durch Werbeeinnahmen wieder einzuspielen in der Lage sein würden. Dummerweise ging dieses Konzept nicht auf; auch das ist ein marktwirtschaftlicher Prozess. Ungewöhnlich ist lediglich, dass die Verlage die Schuld dafür mit solcher Vehemenz den Kunden zuschieben, die einfach zu blöd sind um die Qualität ihrer Produkte zu verstehen. Das erinnert an die Verteidigungsstrategie von Opel und SPD: unsere Produkte sind toll, nur sind die alle zu blöd das zu sehen.

Nur, die Produkte sind eben nicht toll. Die Verlage haben billige Contentmaschinen ins Netz gestellt; alleine das Bilderstreckenunwesen, bei dem teilweise absurde Bilderstrecken zu thematisch völlig abwegigen Artikeln gestellt werden, spricht hier Bände. Aus diesem Dschungel von billig hingeklatschtem Contentmüll die wenigen Perlen herauszusuchen, die sich nach Lage der Dinge hauptsächlich in den Meinungsspalten finden, ist schwierig (bezeichnenderweise mehr bei den Klägern SZ und FAZ als beim erfolgreichen Branchenprimus SpOn, der sich mit den Kolumnisten sogar einen Ausbau dieses Konzepts gegönnt hat). Wie eine Bank oder ein Automobilkonzern versuchen die Verlage, ein marktwirtschaftliches Versagen mit Lobbying auszugleichen. Niemand will die Internetprodukte kaufen (und auch immer weniger die Printerzeugnisse), deswegen soll die Politik es richten. Nur, all das erklärt noch immer nicht, warum dann ausgerechnet die angegriffen werden, die für mehr Besucher und damit potentielle Werbeeinnahmen sorgen.

Es ist wahrscheinlich, dass die Erklärung hierfür auf psychologischer Ebene zu suchen ist. Bis vor wenigen Jahren waren Journalisten die Götter der Meinungsbildung. Ihr Beruf ist wie der des Politikers chronisch unbeliebt. Ausgeglichen wurde dies, ebenfalls wie bei Politikern, durch die speziellen Privilegien: die Veröffentlichung des eigenen geschriebenen Wortes, die Nähe zu Entscheidungsprozessen und das Wissen darum, dass man die öffentliche Meinung mitbestimmen kann. Das große Selbstvertrauen, mit dem die Verleger immer wieder der Politik und der Wirtschaft gegenübergetreten sind spricht dafür Bände. Doch die Zeiten, in denen ein Rudolf Augstein selbstbewusst verkünden konnte, dass Politik und Wirtschaft jeden Montag morgen vor dem neuen Spiegel erzitterten, sind vorbei. Die politischen Blogs haben zwei Dinge verändert.

Zum Einen haben die Journalisten ihr Meinungsmonopol verloren. Sie sind nicht mehr die Einzigen, die Meinung machen. Die politische Blogosphäre mag eine relativ kleine und intellektuell inzestiöse Community sein, in der sich viele Freigeister und Irrlichter tummeln – aber die Mission der NachDenkSeiten eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, denen in diesem Prozess eine deutlich unterschätzte Rolle zukommt, war weitgehend erfolgreich. Die Gegenöffentlichkeit ist nicht besonders groß (es handelt sich wohl um maximal 75.000 Personen, eher 50.000), aber praktisch unabhängig von den großen Leit- und „Qualitätsmedien“. So wirtschaftlich irrelevant die Gruppe auch ist, sie ist laut genug, um dem traditionellen Journalismus Angst zu machen, besonders, da das Potential für ein großes deutsches Blog/Internetmagazin theoretisch vorhanden ist (praktisch wegen des Individualismus’ der Blogger nicht, aber das ist eine andere Geschichte). Die bösen Blogger haben eine Gruppe geschaffen, die das Meinungsmonopol gebrochen hat. Eine kleine Gruppe, zugegeben, aber es ist das erste Mal und hat dem Machtanspruch der Journalisten eine deutliche Delle versetzt, auch wenn diese Delle vorläufig nur in deren Selbstwahrnehmung wirklich feststellbar ist.

Zum Anderen haben die politischen Blogs die Stellung der Journalisten verändert. Obwohl diese zuvor große Macht besaßen, was das Prägen der öffentlichen Meinung betrifft und sicherlich Befriedigung darin verspürten, ihre Artikel gedruckt und weit verbreitet zu sehen (wer tut das nicht?), waren die individuellen Journalisten doch relativ anonym. Nur einige wenige große Namen waren bekannt, die Masse schrieb eher in einer Art Kollektiv, und gegen dieses Kollektiv „Journalisten“ richtet sich ja auch die Abneigung der Bevölkerung, die immer wieder in den Umfragen um das Ansehen der Berufsgruppen zum Vorschein kommt. Die Blogs jedoch haben damit begonnen, einzelne Journalisten und Artikel direkt zu kritisieren. Vor zehn Jahren wäre es noch kaum vorstellbar gewesen, dass einzelne Journalisten wie Marc Beise, Jan Fleischhauer oder Thorsten Denkler so ausdauernd und öffentlich in die Kritik geraten. So wie die Journalisten die Objekte ihrer Berichterstattung ins Rampenlicht zerren und öffentlich darüber urteilen, wurden sie nun plötzlich selbst zum Gegenstand der Berichterstattung – eine ungewohnte Erfahrung. Es spricht Bände, dass die Medien nur sehr selten übereinander, über ihre Verfehlungen und Interessenverwicklungen berichten. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Diese Aufgabe aber haben Blogs übernommen. Heute finden sich im Netz zahllose Beispiele für eine direkte Beschäftigung mit individuellen Journalisten und ihrer Arbeit. Sie stehen unter einem neuen Rechtfertigungsdruck, sind selbst auf unvorteilhafte Art in den öffentlichen Fokus geraten. Die halbe Anonymität früherer Tage, in deren Schutz es sich so vortrefflich arbeiten ließ, ist weg. Bislang erleben die Journalisten einzig die negativen Seiten dieser neuen Aufmerksamkeit. Nicht nur ist ihr Meinungsmonopol angegriffen, sie werden inzwischen selbst als Teil des Establishments begriffen, der zu beobachten ist – die alte Frage, wer denn die Wächter bewache, wurde plötzlich neu beantwortet. Das traditionelle journalistische Selbstverständnis als vierte Gewalt und Kontrolle der Mächtigen ist angegriffen. Die politischen Blogs werfen die Journalisten letztlich in den gleichen Topf und erheben den Anspruch, sie ebenfalls zu kontrollieren. Das ist neu und hat einen schmerzhaften Anpassungsprozess ausgelöst.

Es ist menschlich verständlich, dass diesem Prozess zuerst mit dem Versuch begegnet wird, das Rad zurückzudrehen. In diesen Kontext sind auch die juristischen und publizistischen Attacken sowie das Lobbying gegen die Blogs zu sehen. Allein, erfolgreich werden sie auf Dauer nicht sein. Die Verleger haben, das beweisen gerade ihre Selbstverteidigungsversuche, noch immer nicht verstanden, wie das Netz funktioniert. Bezahlte Abonnement-Programme werden nicht funktionieren. Sie sind gezwungen, neue Wege zu gehen um marktwirtschaftlichen Erfolg zu haben – das ist, wie sie uns im Rahmen der Agenda-Politik immer wieder verkündet haben, ein schmerzhafter Prozess, den Besitzstandswahrer nur vezögern – es wird interessant zu sehen, welche Entwicklungen auf diesem Sektor noch vor sich gehen werden. Eines aber ist jetzt schon klar: eine Rückkehr zum status quo wird es nicht geben, und das Internet wird kein virtueller Kiosk, wo die User tolle Printprodukte kaufen.

Mit freundlichem Dank an Stefan Sasse



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