Ins Kino mit der Kita?

Von Frühlingskindermama @fruehlingsmama
Ich hatte in der vergangenen Woche sehr spontan eine Entscheidung für meinen Großen zu treffen, deren Für und Wider abzuwägen mir nicht leicht fiel. Wer mir auf Twitter folgt, hat es schon mitbekommen: es ging um einen Kinobesuch des Großen mit seiner Kitagruppe. Am Mittwoch Nachmittag las ich beim Abholen der Kinder einen kleinen Aushang, dass am Donnerstag alle 4-5-Jährigen vormittags mit der Kita ins Kino gehen würden. Diese Info hatte am Vortag noch nicht da gestanden. Da weitere Details fehlten, kehrte ich mit den Kindern noch einmal in den Kita-Garten zurück und befragte eine Erzieherin des großen Elementarbereichs dazu. Viel wusste sie nicht, nur, dass ein 45-minütiger Kinderfilm gezeigt wird in einem großen kommerziellen Kino, ca. eine halbe Stunde von der Kita entfernt. Die Bezugserzieherin des Großen, die dies organisiert hat, war noch im Urlaub und keiner wusste Näheres. Da mittlere Panik in mir aufstieg, fragte ich gleich, ob es möglich wäre, dass der Große dann in der Kita bleibt, was bejaht wurde. Ich verblieb so, dass wir es zuhause beraten und dann entscheiden würden.
Den Nachmittag über grübelte ich, soweit möglich, darüber nach und hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl dabei. Der erste Impuls war ganz deutlich, ihn davon auszunehmen und in der Kita zu lassen. Er war noch nie zuvor im Kino gewesen. Wir schauen kein Fernsehen zuhause mit den Kindern, er ist also keine großen Bildschirme/ Leinwände gewöhnt. Er ist äußerst lärmempfindlich und dieses Kino ist ein "lautes" Kino. Die Dunkelheit wird ihm Angst einjagen. Es wäre niemand mit dabei, der ihn beobachten und ggf. auffangen könnte. Und der Kitatag würde danach noch weitergehen (die Vorstellung war um 10 Uhr), d.h. ein eventuelles seelisches Durcheinander des Großen bliebe bis zum Nachmittag bestehen. Mir spukte deutlich ein vor längerer Zeit gelesener Text des Blogs Familiewitz im Kopf herum, in dem es um das Scheitern des ersten Kinobesuchs des gleichaltrigen, ebenfalls hochsensiblen Sohnes der Familie trotz optimaler Voraussetzungen geht. Schon damals beim Lesen sah ich die große Wahrscheinlichkeit, dass es mit unserem Großen genauso ablaufen könnte. Unter anderem deshalb hatte ich bisher einen Kinobesuch noch erfolgreich hinausgezögert und wollte dies eigentlich noch eine Weile aufrechterhalten. Und irgendwann, wenn ich ihn für weit genug in seiner Entwicklung hielt, sollten wir, die Eltern, ihn selbstverständlich beim ersten Besuch begleiten und auffangen.
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Und nun befand ich mich in der Zwangslage, eine schnelle Entscheidung bis zum nächsten Tag treffen zu müssen. Ich weiß, dass die Gruppendynamik noch einmal andere Impulse setzt als die Eltern. Ich möchte ihn auch weder von der Gruppe separieren, als Außenseiter dastehen lassen noch ihn übermäßig in Watte packen und Sonderbehandlungen einfordern. Ich bin der festen Überzeugung, dass gesunde Herausforderungen für solche Charaktere wie meinen Großen sehr wichtig sind. Allerdings begleitet von vertrauten Personen und den jeweiligen Fähigkeiten und Voraussetzungen angemessen. Beides sah ich hierbei nicht. Ich war also hin- und hergerissen zwischen einerseits meinen großen Bauchschmerzen bezüglich seines ersten Kinobesuchs überhaupt, und dann noch mit der Kita, und andererseits dem Wunsch, ihm diese Gruppenerfahrung nicht vorenthalten zu wollen und ihn nichts ins Abseits zu stellen. Man hofft ja auch oft, dass die Gemeinschaft in der Gruppe viele individuell vielleicht unangenehmen Gefühle nivelliert. Allerdings weiß ich aus Erfahrung, dass dies bei mir selbst nicht bis sehr selten der Fall war bzw. die Anstrengung, die das Mithalten in der Gruppe erfordert, so kräftezehrend ist, dass es danach zu einem Zusammenbruch in der vertrauten Umgebung kommt. Wir haben dies ja auch schon mehrfach bei ihm erlebt, dass Erfahrungen, die andere Kinder als durchgehend positiv und anregend empfinden, ihn komplett durcheinander brachten und sogar zu Krankheit führten, wie z.B. die beiden Kita-Übernachtungen. Es kam also vieles an Gedanken und Gefühlen bei mir zusammen und ich zermarterte mir das Hirn.
Zuhause erzählte ich meinem Mann davon und erwartungsgemäß sah er es nicht als großes Problem. Für ihn stand im Vordergrund, den Großen nicht aus der Gruppe herauszureißen. Die individuellen Folgen einer schlechten Erfahrung bedachte er, glaube ich, nicht in dieser Tragweite. Er recherchierte aber, um welche Filme es sich denn überhaupt handelte. Es ging um 2 sehr harmlose Osterfilme, das ganze Angebot nennt sich Spatzenkino. Die Gesamtlänge betrug 45 Minuten. Ich möchte noch einmal betonen, dass unsere Kinder in keinster Weise medienlos aufwachsen oder Ähnliches. Sie benutzen das Handy, spielen am Tablet und schauen kürzere Filmchen am PC und Tablet. Sie sind beide sehr versiert in der Benutzung dieser Geräte und mögen das sehr. Ich hatte auch gar kein Problem mit der Gesamtlänge, das kommt hier auch manchmal vor, vor allem beim Großen zu frühmorgendlicher Stunde, in der Mittagspause oder bei Krankheit der Eltern. Ich halte es für durchaus notwendig, dass Kinder sich sowohl technisch als auch figurenmäßig damit auskennen. Wovon ich allerdings gar nichts halte, ist eine durchgehende oder stundenlange TV-Berieselung, zumal der Bildschirm um ein Vielfaches größer ist und die Eindrücke dementsprechend direkter und überfrachtender wirken. Da hochsensible Kinder nicht gut filtern können, prasselt alles in voller Wucht in ihre Köpfe rein und überfordert sie. Deshalb möchten wir den TV so lange wie möglich unbeachtet lassen und haben dies bisher 5 Jahre lang tatsächlich geschafft. Das ist unser persönlicher Weg, ich möchte damit in keinster Weise andere Wege anprangern, aber auch unseren nicht diskutieren müssen.
Ich rief eine Freundin an, die eine Erzieherausbildung macht. Abgesehen davon, dass sie es (wie ich selbst auch) für zu früh hielt, mit 4-5jährigen Kitakindern ins Kino zu gehen, berichtete sie davon, dass selbst im Kindertheater einige Kinder zu weinen anfangen, wenn es dunkel wird. Sie konnte alle meine Pro-und Contra-Beweggründe nachvollziehen und plädierte dafür, ihn nur mitgehen zu lassen, wenn gewährleistet ist, dass sich eine vertraute Bezugsperson, die ihn gut kennt, in seiner direkten Nähe befindet. Also mailte ich seiner langjährigen Bezugserzieherin, die noch im Urlaub war. Zum Glück schrieb sie schnell und vor allem sehr respektvoll und voller Akteptanz zurück: zwar wäre sie am nächsten Tag wieder in der Kita, würde aber nicht mit ins Kino gehen, sondern mit einigen der älteren Kinder Kuchen backen. Wir könnten den Großen gern in der Kita lassen, sie würde ihn auffangen, wenn er traurig wäre, weil seine Freunde ins Kino gehen. Ich war so erleichtert, dass ich anfing zu weinen. Nicht nur konnte ich nun eine Entscheidung treffen, die ich für richtig hielt, sondern sie fiel mir sogar leicht, weil sie abgefedert war. Und meine Bedenken nicht etwa lächerlich gemacht wurden oder versucht wurde, mich umzustimmen, sondern einfach respektiert wurde, dass eine Mutter ihr Kind am besten kennt und eine gute Erzieherin dies unterstützen sollte, egal ob sie die Beweggründe der Mutter für richtig oder falsch hält. Mit dieser Mail merkte ich wieder einmal, was für eine tolle Bezugserzieherin es ist, die der Große seit mittlerweile 3 1/2 Jahren hat. Da habe ich schon anderes erlebt.
Beim Frühstück am nächsten Tag bereiteten wir den Großen darauf vor, dass er in der Kita bleibt, während seine Gruppe ins Kino geht. Er akzeptierte das problemlos. Ich fragte ihn, was er erwidern würde, wenn seine Freunde ihn fragen, warum er nicht mitkommt. Er sagte: "Weil meine Eltern das nicht erlauben." Ich habe das sanft korrigiert und ihm gesagt, dass wir selbst gern das erste Mal mit ihm ins Kino gehen wollen, weil wir auf ihn aufpassen wollen, falls er sich unwohl fühlt oder es ihm nicht gefällt. Ich sagte, Kino kann toll sein, aber wenn man es nicht kennt, kann es einem auch zuviel werden. Am Nachmittag beim Abholen wirkte er total ausgeglichen und seine Erzieherin bestätigte mir, dass das Dableiben kein Problem gewesen sei. Auch für ihn selbst war es auf Nachfrage okay. Ich hörte dann nachträglich, dass zwar 3 Erzieher mit im Kino gewesen sind, aber zu keinem der 3 hat er eine enge Bindung und keinem von ihnen traue ich zu, den Großen angemessen aufzufangen, falls es ihn überfordert hätte. Ein Mädchen hat wohl tatsächlich auch geweint. Ich war sehr im Einklang mit unserer Entscheidung, beruhigt und überzeugt, dass es so richtig war.
Am nächsten Tag (Freitag) war ich dann selbst nachmittags nach der Arbeit wiedermal im Kino (weil ich abends ja nicht weg kann) und stellte wie jedes Mal fest, wie laut und vereinnahmend die Atmosphäre in einem Kinosaal ist. Die Leinwand ist riesig, der Sound ist ohrenbetäubend und die Bilder schnell und verwirrend. Für jemanden, der das nicht kennt, muss es eine beängstigende Erfahrung sein. Erst recht für ein 5-jähriges, hochsensibles, lärmempfindliches Kind. Und ich erinnere mich noch gut daran, wie ich beim ersten "Herr der Ringe"-Film tatsächlich wegen akuter Reizüberflutung in den Vorraum des Kinos kotzte. Mir war nicht übel und ich fand den Film megatoll, aber die Bilder stifteten solch ein Durcheinander im Kopf und Körper an, dass ich erbrechen musste. Sicherlich eine Extremerfahrung, aber schon allein die Vorstellung, dass dem Großen das eventuell ähnlich ergehen mag, weil er wie ich vieles ungefiltert in sich aufnimmt, verursacht mir Bauchschmerzen. Insofern denke ich, haben wir aus unserer Perspektive, mit unseren Voraussetzungen alles richtig gemacht und ich bin sehr froh über die Unterstützung der Kita gewesen.
Im April wird das gleiche Problem noch einmal auf der Tagesordnung stehen und wir werden sehen, wie wir uns dann entscheiden. Dann geht nämlich wahrscheinlich seine Bezugserzieherin mit ins Kino.