Als ich morgens um sieben aus unserem kleinen Wohnwagen raus über das Grundstück von Anu und Jimmy und hinein ins Haus wankte, um auf Toilette zu gehen, war ungewöhnlicher Betrieb. Alle anderen Helfer waren schon auf den müden Beinen, schmierten sich Brote und packten ihre Rucksäcke, denn: Wer zu spät nach Sydney rein kommt, bekommt vielleicht keinen guten Platz mehr, um sich das berühmte Sydney-Feuerwerk zum Jahreswechsel anzuschauen. Sydney, die selbsternannte Silvesterstadt, hat wieder unmengen Geld investiert. Diesmal stand das Feuerwerk dem Milleniumfeuerwerk im Preis an nichts nach, denn es wurden wieder über fünf Millionen Dollar investiert, um die Stadt zu erleuchten. In New South Wales (das „Bundesland“ in dem Sydney liegt) ist es verboten, Feuerwerk zu (ver-)kaufen und so sind auch alle Bewohner jedesmal auf das öffentliche Feuerwerk gespannt. Die Stadt rechnete mit Einnahmen von 150 Millionen durch Touristen aus aller Welt, die einmal mit zu den ersten auf der Erde gehören wollen, die den Jahreswechsel feiern.
Das Jahr 2010 ging ja nun wirklich rum wie Nichts und es war das ungewöhnlichste und ereignisreichste Jahr in Jeres und meinem Leben. Durch die Zeitverschiebung war es zudem 10 Stunden kürzer und die eine eingeplante Schaltsekunde gab es auch nicht, wie ich lesen musste, denn 2010 hat sich die Erde schneller gedreht als erwartet, bzw. ist nicht so stark durch den Mond gebremst worden, wie vorher angenommen. 2010 noch einmal zusammenfassen funktioniert nicht, aber der größte Teil wurde ja eh hier auf dem Blog festgehalten. Bleibt also nur noch, dass wir den letzten Tag beschreiben.
Wie bereits begonnen, sah ich früh am Morgen die anderen Helfer aufbrechen und legte mich noch einmal gemütlich ins Bett, um noch ein wenig zu schlummern, denn: Unser Platz zum Feuerwerk gucken war ja gesichert. Um neun sprangen wir dann aus den Federn und machten uns bereit für die Stadt. Wir trafen Roland und Yvi vor dem abgesperrten Bereich, der zum Opernhaus führte. Eigentlich wollten wir einmal hineinschauen, um die hunderten Wartenden zu betrachten, die bereits ihre Zelte (in manchen Fällen wortwörtlich) aufgeschlagen haben. Jedoch hatten Jere und ich vorher im Einkaufszentrum eine 50er Packung Tischfeuerwerk (kleine Zylinder mit Schnur, an der man zieht und es macht bum) gekauft und die Sicherheitsleute ließen uns damit nicht in den abgesperrten Bereich. Wir schlenderten also stattdessen am Ufer entlang. Auch hier, auf dem harten Betonboden, den ganzen Tag der starken australischen Sonne ausgesetzt, sperrten ganze Familien ihre sechs Quadratmeter mit Strandmuscheln, Decken und aufblasbaren Matratzen ab. Andere waren weniger vorbereitet und saßen ohne Sonnenschutz auf den blanken Betonplatten. Viele nutzten die frühen Sonnenstrahlen, um mit nacktem Oberkörper (Bikini bei Frauen, Nacktheit ist hier so verpönt wie in Neuseeland) ihren Teint noch schnell für das nächste Jahr zu verbessern. Ich weiß nicht, wie diese Menschengruppe Nachmittags ausgesehen haben muss.
Wir liefen bis zu den Anlegestellen der Fähren, die mit zu den öffentlichen Verkehrsmitteln zählen. Man brauch nur einen Tagespass für die öffentlichen Verkehrsmitteln und man kann in den Gewässern herumcruisen so oft man möchte. Natürlich werden auch Touristentouren angeboten, aber die sind viel teurer. Wir kauften uns also einen Tagespass und sprangen auf die Fähre nach Manly Beach. Trotz des heißen Wetters ließ es sich gut auf dem Schiff aushalten, denn der Wind auf dem Wasser war recht kühl. Schon von weitem konnten wir die Wiesen des Botanischen Gartens sehen und sie waren nicht grün, sondern bunt von den ganzen Besuchern, die sich dort auf den beliebtesten Flecken breit gemacht hatten, um direkt auf die Harbourbridge und das Opernhaus gucken zu können, das Zentrum des Feuerwerks. Anstatt sich im Schatten der riesigen Bäume aufzuhalten, lagen, saßen und standen sie direkt in der Sonne um ja nicht ihren Spitzenplatz zu verlieren.
In Manly landeten wir direkt neben einem kleinen Strand an, den wir zuerst für Manly Beach hielten. Ein Netz spannte einen Teil des Wassers ein, um die dort Schwimmenden vor Haien und sonstigen Gefahren aus dem Meer zu bewahren. In der „Bahnhofshalle“ (wie sagt man, wenn ein Schiff anlegt?) gab es viele Geschäfte, doch eines sprang uns gleich ins Auge: Wir wussten ja, dass es in Australien ALDI gibt, hatten aber noch keinen gesehen und so betraten wir unseren ersten australischen Aldi. Wir erkannten viele deutsche Marken mit exakt dem gleichen Verpackungsdesign. Nur die Beschreibungen waren in englisch. Vor lauter Euphorie konnten wir den Laden natürlich nicht verlassen, ohne etwas zu kaufen. So fanden wir noch heruntergesetzte Lebkuchen (ein Traum!). Außerdem teilten wir uns eine Viererpackung Eissandwich und Obst. Die verzehrten wir auf der Steinmauer, die den kleinen Strand umschließt, während wir den braungebrannten entspannten Menschen beim Schwimmen im Haifreien Becken zusahen.
Auf einmal fiel uns ein weißer Schriftzug am Himmel auf und ein winziges Flugzeug, das wie wild enge Kurven flog und dabei weißen Rauch aussendete. Langsam wurden die Worte „Marry me“ deutlich und darunter – wahrscheinlich warteten schon hunderttausend Frauen mit schweißnassen Händen auf die Erlösung – irgend ein ewig langer Name. Weil er so lang war, verschwanden die anderen Buchstaben schon vom leichten Wind. Hoffentlich hat die Angebetete die ganze Zeit zugeschaut. Nach dem kurzen Zwischensnack schlenderten wir im Städtchen herum bis zum tatsächlichen, sehr viel größeren Manly Beach. Auch hier setzten wir uns wieder eine Weile in den Schatten (wir haben ja Urlaub), schauten den sich sonnenden und badenden Massen zu, versuchten, die Ansagen der Lebensretter zu verstehen und redeten wieder über Gott und die Welt. Auf dem Rückweg tauchten wir die Füße ins Wasser, liefen den Strand entlang, wieder durch die Stadt und machten erneut ein Päuschen in einem Café, in dem wir Eisschokolade und -kaffee tranken.
Zurück auf der Fähre fuhren wir die Buchten der Reichen ab. Was für Häuser wir sahen, lässt sich kaum beschreiben! An den Hängen reihte sich eine vornehme Villa an die andere. Alle mit vorzüglichem Blick auf das Feuerwerk. Wahrscheinlich waren mindestens die Hälfte der Einwohner aber nicht mal zuhause. Pool und Jacht direkt vor der Haustür, unmengen Platz, und auf der anderen Seite drängten sich die Menschen aneinander und kämpften fast um jeden Schattenplatz mit Feuerwerksblick. So ungleich ist die Welt. Wir beneideten keinen von beiden (naja, vielleicht die Poolbesitzer ein wenig) und schipperten weiter zwischen den kleinen Anlegestellen umher. Zurück an der Anlegestelle in der Innenstadt hatten wir noch lange nicht genug und sprangen gleich auf die nächste Fähre, die eine andere Route abfuhr. Auch hier sahen wir neue reiche Gegenden und auf der Rückfahrt hüppelten so manche ältere sehr fein angezogene Herrschaften ins Boot, die sich wohl einer kleinen aber feinen Fete in der Stadt anschlossen. Die Pafüms der Frauen waren mit zunehmendem Alter um so umwerfender.
Langsam wurde es Abend und wir hatten genug gesehen, um erst einmal in Roland und Yvis Hotel zu fahren und die Klimaanlage zu genießen. Wir knallten ein paar der Tischfeuerwerke, bis uns der Feuermelder auffiel. Wir beschlossen, ein paar mit auf die Straße zu nehmen und liefen ein wenig im berühmten Prostituierten- und Homosexuellenvierten Kings Cross herum. Die Leute waren bunt und fröhlich auf der Straße und erfreuten sich an den bunten Luftschlangen, die wir durch die Gegend ballerten. Wir fanden einen Fastfood-Mexikaner und genossen unsere letzte Mahlzeit in 2010. Das Essen war zwar eher mäßig, dafür aber die Gesellschaft um so besser. Weiter quatschend verzogen wir uns wieder ins Hotel.
Die Gespräche stoppten, als auf einmal das Kinderfeuerwerk pünktlich um 21:00 startete. Wir hatten zuvor gelesen, dass im Radio Livemusik dazu übertragen wird und schauten den Knallern zu. Schon das Kinderfeuerwerk war riesig. Die Musik dazu störte eher, weil es nicht ein durchgehendes Stück, sondern fast wahllos aneinander gereihten Songs waren. Für das große Feuerwerk, so beschlossen wir, konnten wir die Musik auch auslassen. Als die erste Show vorbei war, gingen wir nahtlos in weitere Gespräche über und ließen nebenbei den Fernseher laufen, wie wahrscheinlich viele Australier auch. Es war sehr witzig, die Bilder zu sehen, die sich nur ein paar hundert Meter entfernt vor der Panoramascheibe der Honeymoonsuit von Roland und Yvi mit perfektem Blick auf die Oper und die Brücke abspielten. So sahen wir einmal im Hintergrund der Moderatoren ein beleuchtetes Schiff und konnten es auch in der Ferne auf dem Wasser sehen. Wir vier hatten ja soviel Glück! Immer wieder musste ich an die armen Tölpel denken, die seit morgens um zehn auf den Steinen saßen! Ich hätte das wahrscheinlich spätestens Mittags um eins bei der größten Tageshitze abgebrochen. Beinahe verpassten wir den Anfang des eigentlichen Jahreswechsels, weil wir so internsiv quatschten. Nur gelegentliche Countdownraketen erinnerten uns immer wieder und so machten wir es uns eine Minute vor zwölf vor dem Fenster gemütlich und genossen die Show.
Und hier das komplette 12 Uhr Feuerwerk!